In this file photo taken on January 16, 2018, US writer Paul Auster looks on in Lyon. - The 44-year-old son of acclaimed US novelist Paul Auster has died, New York police said on April 28, 2022, just over a week after he was charged in the death of his baby daughter. Daniel Auster died of an accidental drug overdose, the New York Post reported. The New York Police Department told AFP that Auster was found unconscious on a subway platform in Brooklyn on April 20.
Nachruf

Schriftsteller Paul Auster mit 77 Jahren gestorben

Der Parade-New-Yorker blieb bis zuletzt der – zum Altmeister gereifte – Ex-Jungstar der US-Gegenwartsliteratur.

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Über vielen Romanen, Erzählungen und autobiografischen Essays des New Yorkers könnte das heimliche Motto stehen: wie das Leben und die Literatur so spielen. Bei Paul Auster war das eine ohne das andere schwer denkbar. Er blieb stets ein Autor zum Angreifen. Bekannt waren seine Zigarillo-Marke und Friseuradresse; seine Manuskripte klopfte er in eine alte Olympia-Schreibmaschine, 1974 für 40 Dollar erworben. Auster war ein nachdenklicher, fröhlich-freundlicher Gesprächspartner, der Interviews hasste – dennoch finden sich auffallend viele davon in den Archiven. Niemals mit Journalisten reden, betonte er im Roman „Sunset Park“ (2012), das Interview sei eine mindere Form. In die Politik mischte sich der Parade-New-Yorker immer wieder ein. In der Untergangsvision „Mann im Dunkel“ (2008) attackierte er die Bush-Administration, diese „ganze Bande faschistischer Verbrecher“. In „Sunset Park“ schrieb er gegen Guantánamo und Folterwillkür an, mit „Bloodbath Nation“ (2023) veröffentlichte er zuletzt einen wütenden Essay gegen die grassierende Waffengewalt in den Vereinigten Staaten. 

Auf seine Weise schrieb Auster seit Jahrzehnten an einem einzigen großen Buch, worin sich wiederkehrende Fragen und Themen finden: Familie, Künstlertum, Fiktion und Realität, Liebe und noch größere Liebe, der Alltag des Lebens und jener der Kunst; schließlich die zahllosen Versuche, Antworten auf noch gar nicht gestellte Fragen zu finden. Die Schwärmerei über Schreibmaschinengeklapper und Am-Schreibtisch-Sitzen (und wie das Leben hoffnungslos dazwischen funkt), die Magie von Notizbüchern und Manuskriptstapeln: das war Austers Kunst seit seinem ersten Roman „Stadt aus Glas“ (1985), Teil eins der sogenannten „New-York-Trilogie“. Austers Werk ist das ziemlich einzigartige Zeugnis eines jahrzehntelangen Schreibens und Nachdenkens über die Grenzen der Literatur. Er selbst blieb stets der zum Altmeister gereifte Ex-Jungstar der US-Gegenwartsliteratur, der im Schnitt ein Buch pro Jahr veröffentlichte. Es gibt nicht viele Autoren, die derart konsequent an einer einzigen großen Erzählung arbeiten, sich am Großen amerikanischen Roman abarbeiten – siehe „Die Erfindung der Einsamkeit“ (1982), „Mond über Manhattan“ (1989), „Reisen im Skriptorium“ (2006), „Winter Journal“ (2012), schließlich „Baumgartner“ (2023) als letzter Roman. Vieles in „Baumgartner“ erinnert an die Qualität großer Literatur: ein Erzählen, das die Vergangenheit und die Gegenwart elegant miteinander in Berührung bringt, das heitere Spiel mit Leben, Trauer und Tod: „Nach dem Tod geschieht Folgendes: Du kommst in das Große Nirgendwo, das ist ein schwarzer Raum, in dem nichts zu sehen ist, ein geräuschloses Vakuum der Nullität, der Orkus des Nichts.“

Im März des Vorjahres gab Austers Ehefrau, die Schriftstellerin Siri Hustvedt, auf Instagram bekannt: „Bei meinem Mann wurde im Dezember Krebs diagnostiziert, nachdem er schon mehrere Monate zuvor krank war.“ Sie lebten seitdem an einem Ort, den sie „Krebsland“ nenne. Am 30. April ist Paul Auster 77-jährig in New York an den Folgen seiner Krebserkrankung gestorben.

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.