Brauereien

Bierpapst Seidl: „Turbobier hat bei mir keinen Eindruck hinterlassen“

Conrad Seidl ist Österreichs bekanntester Bier-Connaisseur. Im Interview spricht er über den Kampf der kleinen Brauereien gegen Heineken, den Trend zum „Bier von hier“ und das Gebräu von Marco Pogo.

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Der Innenpolitikjournalist Conrad Seidl ist der Vorkoster der Nation: Kaum jemand hat so ein profundes Wissen über die Bierkultur wie er. Sein Bierguide feiert heuer 25-jähriges Jubiläum. Grund genug für ein Gespräch über den umkämpften österreichischen Biermarkt, Brauereischließungen und die Frage, wie sich der Geschmack der Konsumenten verändert.

Die Bierpartei will bei der Nationalratswahl kandidieren, Parteichef Dominik Wlazny vertreibt seit Jahren sein Turbobier – das er allerdings nicht selbst produziert. Haben Sie es schon probiert?
Conrad Seidl
Dominik Wlazny ist sehr gut in der Eigen-Vermarktung – sein Turbobier war ja ursprünglich zur Bewerbung seiner Band gedacht. Das Bier ist, im Gegensatz zu Marco Pogo und der Band allerdings geschmacklich unauffällig, ein helles, eher malzbetontes Lagerbier – hat bei mir keinen besonderen Eindruck hinterlassen.
Im Bundespräsidentschaftswahlkampf wurde Wlazny vorgeworfen, er würde Alkoholismus verharmlosen. Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Seidl
Ich habe nicht alle seine Aussagen verfolgt und nicht alle seine Videos gesehen – jedoch das, was ich gesehen habe, hat für mich eher den Eindruck gemacht, dass er sich über die Unkultur des übermäßigen Alkoholkonsums lustig macht.
Wie hat sich der Markt der Brauereien seit dem ersten Bierguide vor 25 Jahren verändert?
Seidl
Was man auf den ersten Blick sieht: Die Zahl der Betriebe hat sich vervielfacht – damals gab es bundesweit 99 Braustätten, heute sind es rund 350. Es sperren immer wieder welche auf und andere zu, das ergibt eine Vielzahl von Bieren, bei der man mit dem Verkosten gar nicht nachkommt. Wobei man nicht übersehen darf, dass das Absatzvolumen sich kaum verändert hat: 1999 wurden in Österreich 8,8 Millionen Hektoliter Bier verkauft, im Jahr 2023 waren es 8,55 Millionen – obwohl die Bevölkerung um eine Million Personen gewachsen ist, von denen leider viele keine Biertrinker sind. Für die Brauereien bedeutet das: Konzentration im oberen Segment mit dem mit gut 60 Prozent Marktanteil dominierenden Player BrauUnion, seit 2003 eine Tochter des Heineken-Konzerns. Bei den bundesweit bedeutenden Marken Stiegl und Egger sowie den vor allem regional starken Marken wie Ottakringer, Hirter, Schloss Eggenberg oder Mohren hat es keine auffälligen Verschiebungen gegeben, die treten jetzt mehr oder weniger geschlossen gegen Heineken an – gewinnen aber kaum Marktanteile.
Es gibt große Probleme bei einigen Brauereien: Villacher Bier wird von der Brau Union geschlossen und in Graz gebraut.  Gibt es wirklich zuviel Kapazitäten wie Brau Union Chef Hans Böhm sagt?
Seidl
In einem insgesamt stagnierenden Markt, der noch dazu unter stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreisen leidet, ist es für den Marktführer verlockend, sich auf das zu konzentrieren, was er am besten kann: Biere mit klarem Profil zu vertretbaren Kosten zu brauen. Das geht in Brauereien mit einer Kapazität von einer Million Hektoliter – das sind im BrauUnion-Konzern Puntigam, Göss, Schwechat, Wieselburg und Zipf – eben leichter als in Villach. Offenbar will man in Villach ähnlich vorgehen wie schon vor zehn Jahren in Hallein: Da wurde die Großbrauerei in Kaltenhausen geschlossen und die Produktion im Wesentlichen nach Zipf verlegt – dafür wurde in Kaltenhausen eine Spezialitätenproduktion aufgezogen. Das ist mengenmäßig unbedeutend, die Kosten pro Hektoliter sind wesentlich höher als in den großen Braustätten, aber man kann damit ein Spezialisten-Profil aufrecht erhalten.
Aus diesem Grund hat die Brau-Union „Linzer Bier“ neu belebt?
Seidl
Die großen Brauereien – und das betrifft nicht nur den Heineken-Konzern, das machen alle Weltkonzerne – versuchen, die Nachfrage nach besonderen Bieren zu befriedigen. Da geht es um regionale Angebote, weil die Menschen gerne „ein Bier von hier“ trinken wollen. Es geht aber auch um geschmacklich differenzierte Biere: Es gibt ein sehr gutes „Linzer Pale Ale“, das mit der eigens für die Linzer Brauerei im Mühlviertel angebauten Hopfensorte Sorachi Ace gebraut wird. Dafür braucht man kleine Braustätten.
Die Privatbrauereien werben mit Unabhängigkeit, dem Label „Konzernfrei“ und lokalen Produkten. Können die der Brau Union tatsächlich Marktanteile abjagen?
Seidl
Die Idee, sich als „Privatbrauerei“ zu positionieren, hatte in den 1970er Jahren die Brauerei Jacob Stauder in Essen – aber der Begriff ist irreführend: Heineken ist ja keine Staatsbrauerei, sondern eine Aktiengesellschaft in privaten Händen, nicht viel anders als etwa die Ottakringer Getränke AG. In Europa gibt es ja kaum Staatsbrauereien – mit den bekannten Ausnahmen Budweiser Budvar, Bayerische Staatsbrauerei Weihenstephan, Hofbräuhaus München und Badische Staatsbrauerei Rothaus. Der berechtigte Einwand der konzernfreien Brauereien gegen die Marktmacht von BrauUnion/Heineken ist: Ein Großkonzern kann aufgrund seiner Größe viel größere Rabatte bei Zulieferern bekommen – das beginnt bei Etiketten und Kronkorken und geht bis hin zur gesamten Brautechnik-Ausstattung. Dazu kommt, dass große Unternehmen mit ihren stark beworbenen Marken leichter Shelfspace im Handel und Zugang zu Gastrobetrieben bekommen. Natürlich kann man Regionalität und „small is beautiful“ ins Treffen führen, wenn man sich als Kleiner positionieren will – aber große Marktanteile wird man nicht bewegen können.  
Das traditionsreiche Grieskirchner-Bier ist pleite. Wo liegen die Probleme?
Seidl
Grieskichner ist der traurige Fall einer Brauerei, die durch viele Hände gegangen ist – was meist bedeutet, dass zu wenig in die Technik und in den Markt investiert worden ist. Sie war schon mehrfach von Schließung bedroht, ehe sich Marcus Mautner-Markhof erbarmt und einen Neustart versucht hat. Jetzt ist er aber schon zum zweiten Mal an die finanziellen Grenzen gestoßen. Doch hat die Brauerei eine starke regionale Fanbasis, da dürfte es also eine Chance geben, dass die Brauerei weitergeführt wird.
Der Zwettler Brauerei-Chef Karl Schwarz ist auch Chef des Verbands der Brauereien. Ist diese Doppelfunktion glaubwürdig, wenn er auch Interessen der BrauUnion vertritt?
Seidl
Es liegt in der Natur der Sache, dass Funktionäre in einer Kammerorganisation auch die Interessen der Mitbewerber zu vertreten haben – und das funktioniert im Verband der Brauereien meist sehr gut. Es haben ja die Brauereien aller Größen auch gemeinsame Interessen – etwa in der Steuerpolitik, speziell im Hinblick auf die Biersteuer, oder bei der Regelung von Pfandsystemen und nicht zuletzt in der Gestaltung der Kollektivverträge. Karl Schwarz wird seiner Aufgabe da sehr gut gerecht – so wie seine Vorgänger aus der BrauUnion in früheren Jahren auch die Interessen des Mittelstands und der Kleinbrauereien in fairer Weise vertrerten haben.
Ist bei den Kleinbrauereien ein Ende des Trends in Sicht?
Seidl
Wenn eine kleine Brauerei ein klares Konzept und einen gesicherten Vertriebsweg, vor allem auch Eigengastronomie, hat, dann kann sie durchaus erfolgreich sei. Wobei es natürlich hilft, wenn man die Finanzierung auf eine solide Basis gestellt hat. Einige Brauereigründungen der letzten Jahre haben sich im unteren Mittelstandssegment etwablieren können, namentlich Gusswerk, Bierol, Loncium, Brauschneider und Bevog. Denen ist gemeinsam, dass sie nicht einfach Großbrauereien im kleinen Maßstab kopieren, sondern eigenständige Biere produzieren, die es teilweise auf einen internationalen Markt geschafft haben. Da könnte noch Platz für andere sein – aber viele Gründer machen es sich zu bequem und brauen in ihrer Gasthausbrauerei schlechte Kopien von Märzen- oder Pilsbieren.
Der Absatz alkoholfreier Biere nimmt zu. Manche schmecken schon echt nach Bier. Wird der Marktanteil steigen?
Seidl
Ich bin da wahrscheinlich nicht die richtige Zielgruppe – aber ich weiß natürlich, dass es heute Technologien gibt, sehr gute alkoholfreie Biere zu brauen. Beim Guinness ist die alkoholfreie Version kaum von der Hauptsorte zu unterscheiden; bei einem Stout oder auch einem Hefeweizen gelingt das auch leichter als bei einem Hellen. Und ja: Die Absatzzahlen zeigen, dass da noch mehr Marktanteil drinnen ist.
Zu den Bierpreisen: Ein Krügel kostet oft schon über fünf Euro. Wo sehen Sie die Schmerzgrenze?
Seidl
Die Bierpreise sind ein psychologisches Problem: Beim Wirt werden wir jeden Tag daran erinnert, dass das Bier heute teurer ist als wir es gewohnt waren. Dass es jedes Jahr eine kollektivvertragliche Gehaltserhöhung oder eine durchaus die Inflation abdeckende Pensionserhöhung gegeben hat, haben wir nach der ersten Überweisung typischerweise vergessen. Und wir übersehen auch, dass der Bierpreis in der Gastronomie in vielen anderen Ländern höher ist als bei uns. Was wir aber wahrnehmen, sind die vielen Preisaktionen des Handels: Wenn die Dose Bier im Supermarkt unter einem Euro kostet, dann verstehen viele Konsumenten nicht, warum das Bier in der Gastronomie das fünf- bis sechsfache kostet.
Welche Bierinnovationen könnten sich am Markt durchsetzen?
Seidl
Die österreichischen Bierkonsumenten sind sehr konservativ – da hat sich über die Jahrzehnte nicht viel geändert. Und was sich auch nicht geändert hat: Die meisten Gastronomiebetriebe sind ebenso konservativ und versäumen, Biere jenseits des Mainstreams aktiv zu verkaufen. Dass Sauerbiere perfekte Begleiter zu Fischgerichten sind, ist in den meisten Restaurants unbekannt – da wissen die Leute oft gar nicht, was Sauerbier eigentlich ist. Dabei sind solche Biere gut geeignet, Weißweintrinker, die bei der Bestellung des Fisches gar nicht an Bier denken, für Bier zu gewinnen. 
Sie haben ein neues Buch über die Bierkultur geschrieben. Was steht drin?
Seidl
In meinem Buch „Biermythen“ geht es um die vielen falschen Vorstellungen, die über Bier verbreitet sind – das fängt schon damit an, dass eigentlich alle glauben, dass Bier den Durst löscht. Das Gegenteil ist der Fall: Gutes Bier soll erfrischen, es soll aber Lust machen, weiter davon zu trinken. Oder der Kult, der um die schönen alten Holzfässer gemacht wird – obwohl diese gar keinen Einfluss auf den Biergeschmack haben; während die erst seit 1992 etablierte Reifung von Bier in Whiskyfässern vielen Konsumenten völlig unbekannt ist. Ein anderer, von Brauereien gern gepflegter Mythos ist, dass die Biere, die wir trinken, seit Ewigkeiten so schmecken, wie wir sie kennen. Tatsächlich sind viele Bierrezepte ziemlich neu – manche Bierstile gibt es erst seit wenigen Jahrzehnten. Und selbst bei den gängigen Markenbieren hat es aufgrund besserer Rohstoffe und modernerer Technologien Veränderungen gegeben, ohne dass die durchschnittlichen Konsumenten viel davon gemerkt hätten. Die „Biermythen“ sind ein Buch, das zum bewussteren Bierkonsum ermuntern will.
Verraten Sie uns Ihre drei Lieblingssorten?
Seidl
Ich habe so viele Bierstile gern, dass ich mich da nicht auf drei beschränken will. Sicher trinke ich gerne stark gehopfte Biere vom Pils bis zum Imperial IPA; aber ich mag auch englische Barley Wines, bayrisches Hefeweizen oder die gesamte Palette belgischer Biere.