US-Literatur im 'Post-Müllzeitalter'

Literatur im Post-Müllzeitalter: Starautoren widmen sich den US-Kriegstraumata

Starautoren widmen sich US-Kriegstraumata

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Es ist ein langer Abschied im Zorn. George W. Bush, so merkte Philip Roth, der Altmeister der US-Literatur, bereits vor über einem Jahr an, sei ein „unglaublich beschränkter Dummkopf“. Auch Pulitzer-Preisträger Jeffrey Eugenides („Middlesex“, 2002) erinnerte sich vor einiger Zeit an jene Periode der US-Geschichte, als noch amouröse Grenzverletzungen die Politik der Supermacht nachhaltig erschütterten; seine amerikanische Seele sei nach den Sexeskapaden von Bill Clinton im Oval Office nicht besonders erschüttert gewesen: „Aber angesichts der grausamen Fotos aus dem Irak empfinde ich grenzenlose Scham.“

Traditionellerweise betätigen sich Schriftsteller in den USA nur selten als politische Zwischenrufer – mit Ausnahme von institutionalisierten Polit-Polterern wie dem Romancier Gore Vidal und dem im Vorjahr verstorbenen Literaturkraftprotz Norman Mailer. „Hier würde niemand auch nur 30 Sekunden lang hinhören, was ein Schriftsteller zu sagen hat“, formulierte einst Philip Roth. „‚Wer ist denn der‘, würde man fragen. Es gibt keinen besonderen Respekt für Schriftsteller, keiner versteht, was sie genau machen. Sie haben keine größere moralische Autorität als ein Klempner. Ja, es ist, als würde der Installateur plötzlich Statements zur Weltlage abgeben, da würden sich auch alle wundern.“ Je mehr Autoren über Politik redeten, „desto idiotischer“ wirkten sie, äußerte sich auch John Updike, von dem auf Deutsch zuletzt die Gewaltstudie „Terrorist“ (2006) erschienen ist, kürzlich in einem Interview zum Thema. Vor allem über die deutschsprachigen Kollegen habe er sich bei internationalen Konferenzen stets gewundert: „Da saß ein Häuflein subventionierter Autoren, deprimiert wegen ihres Schreibens und deprimiert wegen der Zustände in Deutschland. Es brach einem das Herz.“

Im Fall des scheidenden US-Präsidenten macht nun eine Phalanx prominenter amerikanischer Schriftsteller dem aufgestauten Ärger über die verstrichenen acht Regierungsjahre Luft: Der republikanische Vorgänger des soeben triumphal gewählten neuen Staatsoberhaupts Barack Obama wird von den Autoren mit aller gebotenen Häme aus dem Amt verabschiedet. Neben einzelnen Wortmeldungen in Zeitungen und Zeitschriften ziehen Literaten wie Paul Auster, Denis Johnson und Philip Roth vor allem in ihren jüngsten Büchern eine katastrophale Gesamtbilanz der Bush-Jahre und prognostizieren zudem Langzeitschäden in vielerlei Hinsicht, finanziell, moralisch, diplomatisch, militärisch, juristisch, kulturell. Die Polit-Abrechnung erfolgt in diesen Romanen – wie auch in neuen Kinoarbeiten zum Thema – gleichsam über die Bande gespielt: mithilfe des hintergründigen, auf die Länge eines Romans ausgebreiteten Kommentars.

Drei Kriege der jüngeren US-Geschichte, ausnahmslos nationale Traumata, bilden die Grundlage für die literarischen Anklageschriften, die mitunter – siehe Denis Johnsons 900-Seiten-Opus über den amerikanischen Waffengang in Vietnam – monumentale Ausmaße annehmen. Im Roman „Indignation“, unlängst im englischsprachigen Original veröffentlicht, erweitert Philip Roth seine seit Jahrzehnten fortgeschriebene, meisterhaft autobiografisch verspiegelte Werkliste um eine tragisch verlaufende Coming-of-Age-Episode zu Zeiten des Korea-Konflikts: Der 18-jährige Ich-Erzähler Marcus Messner, Sohn eines jüdischen Fleischhauers, wird anno 1951 in dem Roman, der Roth’sche Erzählstandards wie eine übermächtige Vaterfigur und verlässlich ins Missliche kippende Erotikszenen in extenso präsentiert, mit den Schrecknissen des Kriegs konfrontiert – ebenso wie CIA-Nachwuchsagent Skip Sands, einer der Protagonisten von Denis Johnsons wuchtiger Vietnam-Chronik „Ein gerader Rauch“, dem literarischen Pendant zu Bernd Greiners 2007 publiziertem Geschichtsstandardwerk „Krieg ohne Fronten“ (Hamburger Edition) über die zwischen 1965 und 1975 erfolgte US-Invasion in Vietnam; sie ist nicht nur im US-Kollektivgedächtnis nach wie vor eine der wichtigsten Metaphern für den Irrsinn des Kriegs. „Willkommen im Dritten Weltkrieg“, werden die Soldaten in „Ein gerader Rauch“ von einem ihrer Vorgesetzten am Einsatzort begrüßt.

9/11-Katastrophe. Der New Yorker Autor Paul Auster wandelt sich offenbar allmählich zum Chronisten der Bush-Zeit, einer Ära verdrängter Wahrheiten. Nach „Die Brooklyn-Revue“ (2006), einem Versuch, sich der 9/11-Katastrophe literarisch anzunähern, rechnet der Romancier in dem vor Kurzem publizierten labyrinthischen Roman „Mann im Dunkel“ mit der Politik der Jahre 2000 bis 2008 ab, mit den nach Austers Ansicht inferioren Leistungen des 43. Präsidenten in der Geschichte der Großmacht. Auch wenn Roth und Johnson ihre neuen Erzählungen in der jüngeren US-Vergangenheit ansiedeln, so steckt dahinter doch erkennbar die Absicht, auch ein Bild der derzeitigen politischen Situation in den USA zu entwerfen, Interventionen zur Lage der Nation zu gestalten: Wie sähe das Land, so die unausgesprochene Frage, wie die Welt aus, hätte das massenhafte Töten in Korea und Vietnam nie stattgefunden?

Sowohl Roths vorwiegend auf dem Campus einer Universität angesiedelter neuer Kurzroman als auch Johnsons jede Kategorisierung sprengendes Opus magnum über die Hölle auf Erden sind großartige Beispiele dafür, dass sich sehr wohl aus der Geschichte lernen lässt. Die fiktiven, auf realem Geschichtsmaterial aufbauenden Erzählwerke „Indignation“ und „Ein gerader Rauch“ können trotz aller Historizität durchaus als vernichtende Schiedssprüche über den 2003 vom Zaun gebrochenen Irak-Konflikt aufgefasst werden: In diesen Romanen findet Vergangenheits- und Gegenwartsbewältigung gleichermaßen statt. „Ist doch scheißegal, ob wir das Ding hier gewinnen oder verlieren“, lässt Johnson etwa einen Militärbefehlshaber, eine weitere, zuweilen von Wahnvorstellungen verfolgte Zentralfigur in „Ein gerader Rauch“, an einer Stelle deklamieren. „Wir leben im Post-Müllzeitalter. Das wird ganz kurz sein. Da unten im ektoplasmatischen Schaltkreis, wo die führenden Köpfe der Menschheit unbewusst miteinander und mit den Massen verbunden sind, Mann, da wurde die einstimmige, weltweite Entscheidung getroffen, den Planeten in die Tonne zu treten und einen neuen anzuschaffen.“ Die fiktiven, auf das Jahr 1967 datierten Kampfzonenberichte in „Ein gerader Rauch“ lesen sich wie strategisch-geopolitische Überlegungen zum aktuellen US-Desaster im Irak: „Andererseits erfreuen sich die Vereinigten Staaten selbst in dieser Kriegssituation keineswegs der Klarheit kriegsähnlicher Ziele. Wir spielen vielmehr ein reines Bauernspiel mit der nie ganz ausgesprochenen Vorgabe, dass die hinteren Reihen, die mächtigen Figuren, die Weltmächte, auf keinen Fall ins Spiel gebracht werden dürfen.“

Reise in die Hölle. Eine Welt im Ausnahmezustand beschreibt auch Paul Auster in „Mann im Dunkel“, allerdings eher als Roth und Johnson im Stil eines politischen Frontalangriffs. In einer Binnenerzählung des Romans rund um den betagten, ans Bett gefesselten Literaturkritiker August Brill herrscht nationaler Waffenkampf auf dem Gebiet der USA, der pensionierte Journalist liegt nachts wach und pflegt seine Albträume von Amerika. In Brills Vorstellungen gleitet das Land nach der Präsidentschaftswahl 2000 in einen blutigen Bürgerkrieg ab: 1,5 Millionen Tote sind zu beklagen, Föderalisten kämpfen gegen Sezessionisten. Der Wahl vor acht Jahren, als der Supreme Court nach endlosen Pannenserien bei der Auszählung der Stimmzettel Bush per Dekret vor Al Gore zum US-Präsidenten ernannte, ist für Auster nach wie vor einer der „unglücklichsten Momente meines Lebens“: „Ich habe mich genauso elend und verzweifelt gefühlt wie an dem Tag, als mein Vater starb. Ich dachte, ich sehe dabei zu, wie mein Land stirbt. Seit diesem Tag habe ich das schreckliche Gefühl, dass wir nicht mehr in der realen Welt leben“, vertraute er erst vorvergangene Woche dem deutschen „Spiegel“ an.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben in Brills Vorstellung nie stattgefunden, das Leben gleicht einer Reise in die unteren Kreise der Hölle. Die Verantwortlichen für die Katastrophe hat der bettlägrige Literaturfachmann längst ausgemacht. In einem Gespräch mit seinem zukünftigen Schwiegersohn, den am Ende des Romans ein grauenvolles, durch den Irak-Krieg bedingtes Schicksal ereilt, stellt Brill fest, dass der Konflikt in dem Staat am Persischen Golf „der schlimmste Fehler in der Geschichte Amerikas“ sei: „Man sollte Bush ins Gefängnis werfen – zusammen mit Cheney, Rumsfeld und der ganzen Bande faschistischer Verbrecher, die dieses Land ­regieren.“

Von Wolfgang Paterno