Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Woche der Vernunft

Woche der Vernunft

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Nicht selten erschrickt man, wenn man die weltpolitischen Nachrichten der vergangenen Tage Revue passieren lässt. Man wähnt sich in einem Tollhaus. Dem Gefühl, wir marschierten sehenden Auges in den Abgrund, kann man sich kaum entziehen. Umso erstaunlicher, wenn eine Woche hinter uns liegt, in der sich die Anzeichen verdichten, dass jäh die Vernunft sich auf dem Vormarsch befindet. Genau das aber haben wir nun erlebt. Gute Nachrichten zuhauf – aus Washington, aus Karlsruhe und aus Amsterdam.

Seit vergangener Woche scheint es klar zu sein: Barack Obama wird weitere vier Jahre im Weißen Haus residieren. Die Chancen Mitt Romneys, bei den Wahlen im November die Präsidentschaft zu erobern, sind nur mehr minimal.

Üblicherweise machen die Kandidaten nach ihrem jeweiligen Nominierungsparteitag einen „Bounce“, einen Sprung nach vorne in den Meinungsumfragen. Romney ist das nicht gelungen, die demokratische Party Convention hat laut Demoskopen den amtierenden Präsidenten davonziehen lassen. Sollte nichts Außergewöhnliches passieren – wie etwa ein desaströses Auftreten bei den Kandidaten­debatten oder ein tiefer Absturz der US-Wirtschaft –, ist ­Obama der Sieg kaum mehr zu nehmen.

Und dass der kontrollierte und eloquente Präsident einen groben Schnitzer bei der Konfrontation mit Romney macht, ist ebenso unwahrscheinlich wie eine abrupte weitere Verschlechterung der ökonomischen Situation. Am vergangenen Donnerstag hat Ben Bernanke, der Chef der US-Notenbank Fed, klargemacht: Solange die Arbeitslosigkeit nicht drastisch runtergeht – sie liegt bei über acht Prozent –, so lange werde man Geld drucken und regelmäßig in die amerikanische Wirtschaft pumpen. Eine kräftige Wahlhilfe für Obama.

Ob man nun meint, Obama sei bloß das kleinere Übel, oder aber wie der Autor dieser Zeilen dessen voraussichtlichen Wahlsieg trotz allem für verdient hält – klar dürfte sein: Die von Romney und seinen Leuten propagierte Wende hätte katastrophale Auswirkungen. Und nicht nur in Amerika. Der von der weit nach rechts abgedrifteten Republikanischen Partei getragene Manager, der sich als außenpolitischer Rambo mit Kalter-Krieg-Ideologie geriert, könnte als Amerikas Präsident die ohnehin fragil-prekäre Weltordnung weiter destabilisieren. Romney bleibt uns nun, wie es seit ein paar Tagen aussieht, erspart.

Auch in der EU geht plötzlich alles in die richtige Richtung. Noch vor Kurzem schien die Eurokalypse unvermeidlich, das Zerbrechen der Eurozone nur noch eine Frage der Zeit und „Grexit“, die Rückkehr der Griechen zur Drachme, ausgemachte Sache zu sein. Und nun versichert nicht nur die Europäische Zentralbank EZB, man werde mit „unbegrenzten Mitteln“ den Euro verteidigen, vergangenen Dienstag gaben die hohen deutschen Richter in Karlsruhe auch grünes Licht für die Etablierung jener Institution, die der EZB-Politik des lockeren Gelds den politischen Rahmen gibt: Der Europäische Stabilitätsmechanismus EMS wird demnächst Wirklichkeit. Kaum jemand redet noch vom Austritt Griechenlands. Und das Vertrauen der Weltmärkte steigt wieder angesichts der Aktionen der amerikanischen Fed, der Europäischen Zentralbank und der Perspektive eines wohldotierten Euro-Rettungsfonds.

Nicht nur das: Die Idee eines europäischen Bundesstaats übersiedelt aus dem Bereich der Utopie in jenen der ­Realpolitik. So vorsichtige Männer wie der konservative EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso propagieren ihn ganz konkret. So geschehen in seiner „Rede zur Lage der Union“ am vergangenen Donnerstag. Und schon wird vereinzelt etwas ernsthaft diskutiert, was bisher kaum einer auch nur zu denken wagte: Sollte man der Eurozone nicht eine „fiscal capacity“ geben, ein echtes zentrales Budget, mit dem man Krisen antizyklisch begegnen kann? (In den USA macht der Bundeshaushalt 24 Prozent des BIP aus, in der Schweiz zwölf Prozent, in der EU bisher aber nur ein Prozent.)

Natürlich kann Europa noch auf der Fahrt aus der Krise entgleisen. Aber die Zeit der hysterischen Fünf-vor-zwölf-Reden und der lustvollen Angst vor dem Untergang Europas dürfte vorbei sein.

Dass sich da seit dem Sommer mental einiges verändert hat, zeigt eindrücklich ein weiteres Ereignis: die holländischen Wahlen. Es war lange sonnenklar: Der antieuropäische Populismus ist im Aufschwung, sei es nun der rechte des Geert Wilders oder der linke der ex-maoistischen Sozialistischen Partei. Und dann kam das überraschende Ergebnis des 9. September: Die deklariert proeuropäischen Mitteparteien, die Sozialdemokraten und die Rechtsliberalen, triumphierten. Die links- und rechtsextremen Antieuropäer aber erlitten eine empfindliche Schlappe. Einige Umfragen in anderen europäischen Ländern lassen erahnen, dass die Niederlande kein Sonderfall sind: Die Feindschaft gegenüber der EU und dem Euro ist im Abklingen begriffen.

Man soll es nicht verschreien: Aber es ist nicht auszuschließen, dass dereinst der September 2012 als jener Monat gelten wird, an dem sich die Weltpolitik zum Guten gewendet hat. Für Optimisten war die vergangene Woche jedenfalls eine gute Woche.

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Georg Hoffmann-Ostenhof