Interview

Hans Peter Doskozil: „Ich weiß, dass es geht“

Über die Frage, wer bei der Nationalratswahl als Spitzenkandidat für die SPÖ antreten soll, will Hans Peter Doskozil erst nach den Landtagswahlen sprechen. Aber könnte er es überhaupt?

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In der SPÖ überlegt man schon lange, ob Hans Peter Doskozil SPÖ-Chef werden möchte. Hinter vorgehaltener Hand fragt man sich aber auch: Könnte er es überhaupt? Würde er einen Wahlkampf durchstehen, Reden halten können, dem Job als Nummer 1 gesundheitlich gewachsen sein? Seit 2017 kämpft der burgenländische Landeshauptmann mit einer Erkrankung des Kehlkopfes.

profil traf Doskozil daher zu einem Gespräch, in dem es ausnahmsweise vorrangig um seine Stimme gehen sollte – und um das Verhältnis zwischen Gesundheit und Politik. Er selbst gibt sich überzeugt: „Wenn ich kein politisches Amt ausüben könnte, würde ich nicht hier sitzen.“

In diesem Gespräch soll es nicht um Ihre Politik oder Ihre Partei gehen, sondern um Ihre Gesundheit. Ab wann hat die Bevölkerung einen Anspruch darauf, zu wissen, wie es Spitzenpolitikerinnen und -politikern geht?
Doskozil
Wenn man als Politiker in der Öffentlichkeit steht, Operationen hat und immer wieder einmal nicht da ist, hat die Bevölkerung zumindest ein Recht darauf, zu erfahren, was los ist. Sie hat den Politiker ja gewählt und sollte wissen, warum er nicht da ist. Aber über diese Dinge reden die wenigsten gern. In meinem Fall geht es gar nicht anders. 
Sie haben eine Erkrankung des Kehlkopfes. 
Doskozil
Es ist eine seltene, aber ungefährliche Erkrankung der Knorpelstruktur des Kehlkopfgerüstes. Seit dem letzten Eingriff ist klar, dass sich diese Knorpelstruktur zunehmend verknöchert. Laut meinen Ärzten ist das eine positive Entwicklung, weil sie das ursprüngliche Stimmbandproblem sogar lösen kann: Auf der Hinterseite des Kehlkopfes laufen die Nerven zusammen, sie sind zum Teil blockiert und bewegen die Stimmbänder nicht mehr komplett. Daher kommt auch das Raue in der Stimme. Es bleibt eine gewisse Beeinträchtigung der Stimme, die ich mit Logopädie verbessern kann. 
Wann haben Sie das erste Mal bemerkt, dass etwas nicht in Ordnung ist? 
Doskozil
Dass sich etwas verändert hat, habe ich am Ende meiner Zeit als Verteidigungsminister bemerkt, also 2017. Ich habe im Klangbild der Stimme die hohen Töne nicht mehr zusammenbekommen, es kamen nur schrille Töne heraus. Irgendwann geht man dann zum Arzt, und das ganze Prozedere beginnt.
Ab wann haben Sie sich überlegt, die Erkrankung öffentlich anzusprechen? 
Doskozil
Mein damaliges Umfeld im Verteidigungsministerium hat mir gesagt: „Sag ja nichts, jede gesundheitliche Beeinträchtigung, die du outest, signalisiert Schwäche. Ein Politiker ist keine Person, die Schwäche zeigt.“ Ich glaube aber, so, wie ich es mache, ist es authentischer. Es müssen viele Menschen mit Behinderungen, Einschränkungen, gesundheitlichen Defiziten leben, arbeiten und schauen, wie sie weiterkommen – und viele mit weitaus schwereren Erkrankungen. 
Hier in Ihrem Büro hängt ein Porträt von Bruno Kreisky. Der frühere Bundeskanzler war Dialyse-Patient und hat über seine Krankheit nie offen gesprochen. Akzeptiert die Gesellschaft jetzt mehr Schwäche als früher? 
Doskozil
Ich glaube, dass Schwäche der falsche Begriff ist. Es ist einfach menschlich. Jeder ist in seinem Umfeld mit so etwas konfrontiert. Ich merke aber auch, dass das Thema Gesundheit bei mir genutzt wird, um mich in ein gewisses Eck zu stellen. Nach dem Motto: „Mit seiner Stimme wird er es wohl nicht machen.“ 
Es. Also die Kandidatur für die SPÖ bei der Nationalratswahl. 
Doskozil
Es wird ganz allgemein versucht, aus meinem gesundheitlichen Thema ein Politikum zu machen – vom politischen Gegner, aber manchmal wird es mir auch aus der eigenen Partei zugetragen. Das muss man aber aushalten. 
Und wer sagt das in der SPÖ?
Doskozil
Es handelt sich nicht um Pamela Rendi-Wagner, mehr sage ich nicht. Manchmal wundert mich, wie weit man in der eigenen Partei geht. Gleichzeitig darf man aber nicht überrascht sein, denn es geht um Macht und Einfluss.
Man spricht laut darüber, ob Sie Spitzenkandidat werden wollen, Sie kokettieren auch damit. 
Doskozil
Vor den Landtagswahlen in Kärnten und Salzburg werde ich nichts mehr zu dem Thema sagen. 
Es gibt Medienberichte, dass es schon vor den Landtagswahlen zu einem Wechsel kommen könnte. 
Doskozil
Wir halten uns aus diesen Diskussionen raus. Das sind wir Peter Kaiser in Kärnten und David Egger in Salzburg schuldig. 
Hinter vorgehaltener Hand fragt man sich aber eben auch, ob Sie es gesundheitlich könnten. Können Sie es? 
Doskozil
Wenn ich kein politisches Amt ausüben könnte, würde ich hier nicht sitzen. Es geht um Verantwortung gegenüber der Bevölkerung – ich hätte niemals als Landeshauptmann mit dem Wissen kandidiert, keine volle Legislaturperiode arbeiten zu können. Wenn das nicht mehr der Fall ist oder es dem Umfeld nicht zumutbar ist, dann weiß ich eh, was ich zu tun habe. Aber solange ich weiß, dass es geht, wird die Stimme nicht der Grund sein, nicht mehr Politik zu machen. 
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Was ist mit Wahlkampfdiskussionen und Bierzelt-Auftritten? 
Doskozil
Im Fernsehen ist es kein Problem, das funktioniert schon. Das gilt auch für Reden, wenn ich ein Mikrofon habe und die Leute zuhören. Ich habe kurz nach Operationen Parteitagsreden gehalten. Da sind im Burgenland bis zu 3000 Menschen, das hat gut funktioniert. Ich habe aber unbestritten ein gewisses Problem damit, durch ein Bierzelt zu gehen und mit Leuten zu reden. Wenn die Lärmkulisse da ist, ist es schwierig für mich, eine Unterhaltung zu führen. Man versucht, immer lauter zu sprechen, und dann überdreht sich die Stimme. 
Ex-Bürgermeister Michael Häupl sagte über Sie: „Mir tut der Doskozil mit seiner Krankheit sehr leid, die Stimme ist das Werkzeug des Politikers. Als hätte ein Tischler einen kaputten Hammer.“ In Ihrer Partei gibt es also Zweifel. 
Doskozil
Politische Auseinandersetzungen muss man eben akzeptieren, und man muss sich immer fragen: cui bono? Wem nützt das, welche Agenda gibt es? Das subtile Disqualifizieren nützt immer irgendwem. Mit Michael Häupl hatte ich aber immer eine gute Gesprächsbasis. 
Sie glauben also, es geht gar nicht um Ihre Stimme? 
Doskozil
Es spielen schon auch andere Motive eine Rolle. Dass Teile der Wiener Landespartei nicht begeistert wären, wenn ich Spitzenkandidat der Sozialdemokratie wäre, ist ja hinlänglich bekannt. Das ist eben die aktuelle Situation, die man zur Kenntnis nehmen muss. 
Sie sind nun in einer deutschen Klinik in Behandlung … 
Doskozil
Bei der ersten Beurteilung in Wien wurde mir gesagt: Der Kehlkopf muss raus. Da muss man erst einmal nachdenken, was das bedeutet: Gar keine Stimme mehr zu haben, eine komplett andere Lebenssituation – wie man atmet, isst und funktioniert. Die Rektorin der Musikuni Wien, eine Bekannte, hat mir dann geraten, mich an eine Hamburger Klinik zu wenden. Dort wurde ich zum Universitätsklinikum Leipzig weitervermittelt. 
War es politisch jemals ein Thema, dass ein österreichischer Politiker mit Gesundheitsproblemen nicht das österreichische Gesundheitssystem nutzt? 
Doskozil
Es ist nur kurzfristig mal aufgepoppt und war kurz in den sozialen Medien Thema. Es handelt sich eben um eine ganz seltene Erkrankung. In dieser Form gibt es höchstens eine Handvoll Betroffene in Europa, deswegen war auch ein Spezialist notwendig. Ich habe ihn lange gesucht und dann in Leipzig gefunden. 
Die letzten Operationen hatten aber nichts mit der ursprünglichen Erkrankung zu tun. 
Doskozil
Bei der vorletzten OP habe ich eine Entzündung bekommen. Innerhalb weniger Tage hat sich so etwas wie ein Abzess gebildet und hat alles abgedrückt. Ich habe nicht einmal mehr schlucken können. Ich habe mich dann mit einem Spuckkübel ins Auto gesetzt und bin nach Deutschland gefahren. Ich hätte wohl früher zum Arzt müssen. Bei der letzten OP ging es um eine verhältnismäßige unaufwendige Korrektur wegen der schon angesprochenen Verknöcherung.
Sie sind nach Ihrer ersten Operation wieder zu früh in den politischen Alltag eingestiegen. Verlernt man als Politiker, auf den eigenen Körper zu hören? 
Doskozil
Nein, das war eine andere Situation: Die erste Operation war die schrecklichste für mich, weil ich so was ja noch nicht erlebt hatte. Ein damaliger ÖVP-Führungsfunktionär im Burgenland hat gestreut, dass es Krebs sei. Das hat mich besonders herausgefordert, weil es ein bösartiges politisches Spielchen war und ich das Gegenteil beweisen wollte. Gleichzeitig musst du nach einem Luftröhrenschnitt darauf achten, dass es wieder zuwächst. Die Stimmbänder müssen wieder trainiert werden, das dauert eine gewisse Zeit. Mittlerweile kann ich besser damit umgehen, und es geht auch schneller. 
Nach Ihren Operationen sind Sie meistens zu einem großen Event zurückgekehrt – oder es gab eine große Schlagzeile. Haben Sie das Gefühl, Sie müssen sich besonders laut zurückmelden? 
Doskozil
Wieso, was war denn? 
Sie sind zum Beispiel zur großen Budgetrede zurück zum Landesfeiertag. Und kurz danach haben Sie auch eine Umfrage lanciert, die der SPÖ bessere Umfragewerte unter Ihnen als Obmann als unter Parteichefin Rendi-Wagner attestiert. 
Doskozil
Es war für mich psychologisch wichtig, mir ein Ziel zu setzen und vor der OP zu sagen: Ja, ich muss zur Budgetrede wieder da sein. 
Und die Umfrage?
Doskozil
Ich weiß gar nicht, in welchem Zeitraum das genau war. Vielleicht war es nicht gescheit, die Umfrage so zu platzieren. Aber wir haben auch viele andere nicht platziert gehabt. Und es ging ja nicht um das Demonstrieren der eigenen Stärke, sondern darum, das Potenzial aufzuzeigen. Aber natürlich sind wir in den Ländern alles Prinzessinnen. Jeder will die Nummer eins sein. 
Sie auch.
Doskozil
Ich habe eh gesagt: alle.
Wie sucht man als Politiker die Vertretung aus, wenn man öfter nicht da ist? 
Doskozil
Es gibt eine formale, rechtliche Vertretung.
An die Sie sich nicht immer halten. Das war immer wieder Thema im Burgenland. 
Doskozil
Das ist von der Opposition hochgespielt worden, die versucht hat, Sand ins Getriebe zu streuen. Es kommt auf die Situation und auf die Themen an. 
Gehen Sie Ihre Reden nun anders an, müssen Sie sie anders konzipieren? 
Doskozil
Nein, gar nicht. Das Instrument ist beeinträchtigt, der Inhalt nicht. 
Sie sagten, dass es kurz so aussah, als würden Sie Ihre Stimme ganz verlieren und es dann mit der Politik ganz vorbei gewesen wäre. Sollte Politik nicht auch dann machbar sein? 
Doskozil
Es gibt in der Spitzenpolitik Menschen mit Behinderungen.
Sehr selten.
Doskozil
Wolfgang Schäuble sitzt im Rollstuhl.
Er war Bundesinnenminister in Deutschland, als er 1990 Opfer eines Schuss-Attentats wurde. Zu der Wochenzeitschrift „Zeit“ sagte er einmal über seine Beeinträchtigung: „Das ist richtig scheiße“ – auch in der politischen Praxis. Erkrankungen sind keine Behinderungen. Aber ist es bei Ihnen auch „richtig scheiße“?  
Doskozil
Vielleicht nicht scheiße, aber es ärgert mich manchmal. Es stört mich persönlich, wenn ich durch eine Veranstaltung etwa in einem  klassischen Festzelt gehe und die Leute mit mir reden wollen, ich aber die Lautstärke nicht immer zusammenbekomme. Es sollte in der Politik nicht um laut oder leise gehen, sondern um richtig oder falsch.  Aber natürlich brauchst du die Stimme. Was willst du sonst machen? Ich kann mir nicht vorstellen, ohne Stimme Politiker zu sein.
Nicht?
Doskozil
Ich schreibe ja nicht dauernd E-Mails, wie soll man sonst kommunizieren? Das Persönliche, die Stimme ist das Wichtigste, es wird alles mündlich durchdiskutiert. 
Irgendwo ist für Sie also die Grenze. Damit schließt man Menschen ohne Stimme aus der Spitzenpolitik aus. 
Doskozil
Wer bestimmt, wer in die Spitzenpolitik kommt? Auf der einen Seite bestehen sicher Vorurteile, wenn man sagt: Der kann das nicht. Und vielleicht trauen es sich Betroffene nicht zu. Das könnte vielleicht auch ein Grund sein, dass es so wenige Politikerinnen und Politiker mit augenscheinlicher Beeinträchtigung gibt. 
Und es fehlen die Rahmenbedingungen.
Doskozil
Ja. Und es braucht Glück, damit man in der Politik Karriere machen kann.
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Ganz allgemein: Wie sehr sind Gesundheit und Politik überhaupt vereinbar? In Wahlkämpfen fließt zum Beispiel ziemlich viel Alkohol. 
Doskozil
Ich trinke kaum Alkohol, das hat mit der Stimme nichts zu tun. Das muss jeder selbst entscheiden. Würde ich um 9 Uhr in der Früh einen Spritzer trinken, würde ich das nicht durchhalten. Dann bist du ja auch nicht klar im Kopf– aber du musst wissen, was du tust und was du sagst. Bei mir ist eher das Problem, dass ich zu viel sitze und zu wenig Bewegung mache.

Interview: Iris Bonavida
Fotos: Walter Wobrazek 

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.