Pressefreiheit in Weißrussland: "Verhaftungen gehören hier zum Job"

In Weißrussland, dem Staat, in dem man zwischen Lenin-Statuen und Plattenbauten vergeblich nach Rechtsstaat und Demokratie sucht, steht es schlecht um die Pressefreiheit. profil hat mit einem Journalisten aus Minsk gesprochen.

Drucken

Schriftgröße

Zwischen Wien und Minsk liegen nur knapp zwei Flugstunden, aber 144 Länder auf der Rangliste der Pressefreiheit. Unabhängige Journalisten werden regelmäßig mit fadenscheinigen Begründungen verhaftet. Die weißrussische Regierung duldet nur staatlich kontrollierte Nachrichtenportale, brüstet sich aber gleichzeitig damit, sehr vielen unabhängigen Medien Raum zu geben. Dass diese vom Staat erlaubten unabhängigen Medien ausschließlich Rätselhefte, Gartenmagazine und Kochzeitschriften sind, wird in der Propaganda und im Personenkult um Präsident Lukaschenko unter den ideologischen Teppich gekehrt. Weißrussland liegt zwar vor den Toren der EU, im Westen existiert aber nur ein minimales Bewusstsein für die dramatische Lage im Land.

Sowjetische Träume

Generell ruft Weißrussland bei Europäern eher weniger Assoziationen hervor. Dass dort seit 1994 mit Aleksandr Lukaschenko ein Autokrat regiert, die Polizei noch immer KGB heißt und die Todesstrafe regelmäßig vollzogen wird, geht unter. Auch, dass große Flächen im Süden des Landes nach der Tschernobyl-Katastrophe noch immer gesundheitsbedrohend verseucht sind, ist weitgehend unbekannt - sogar in Weißrussland selbst. Lukaschenko relativiert die Katastrophe öffentlich und informiert die Leute nicht. Tausende Menschen leben in kontaminierten Dörfern, essen und trinken radioaktiv versetzte Lebensmittel und sind sich der Ausmaße gar nicht bewusst. Dadurch erspart sich Lukaschenko viele Probleme. Die Rechnung ist einfach: Leugnet Lukaschenko die Kontaminierung, ist der Ruf Weißrusslands und somit der seine besser, außerdem muss er sich nicht um die Menschen kümmern, die in den kritischen Zonen leben. Ein Gewinn auf allen Linien und für Lukaschenko ein wichtiges Teilchen im Mosaik der Macht. Die hat er sich mit Methoden erarbeitet, die an stalinistische und maoistische Handlungsweisen erinnern: Privatisierungen werden gestoppt, Oppositionelle und Journalisten verschwinden, und wenn der Präsident in Uniform auftritt, ist die Stalin-Nacheiferung nicht von der Hand zu weisen.

Zwischen Lenin-Statuen, Plattenbauten und kontaminierten Landstrichen sucht man in Weißrussland vergeblich nach Rechtsstaat und Demokratie.

"Ich bezweifle nicht, dass ich bald verhaftet werde“

Wie ist es, als unabhängiger Journalist in Weißrussland in ständiger Angst vor staatlichen Übergriffen arbeiten zu müssen? profil hat mit Serge Kharytonau, der als Korrespondent für den aus Tschechien operierenden, russischsprachigen Fernsehsender „Current Time TV“ in Minsk arbeitet, gesprochen.

profil: Weißrussland wird oft die „letzte Diktatur Europas“ genannt. Was bedeutet das für weißrussische Journalisten? Kharytonau: Es bedeutet eine ungleiche Behandlung aller in Weißrussland unabhängig arbeitenden Journalisten gegenüber jenen, die bei staatlichen Medien arbeiten. Obwohl wir formell unter dem Schutze des Gesetzes stehen, sind wir Unabhängigen einer größeren Gefahr durch Festnahmen, Bußgelder, Durchsuchungen und Polizeigewalt wegen erfundenen Vorwürfen ausgesetzt. Wenn Wahlen anstehen, werden Journalisten zum primären Ziel der Polizei und der SWAT-Teams.

profil: Erst Mitte August gab es wieder einen massiven Schlag gegen die Presse in Minsk. Was genau ist passiert? Kharytonau: Strafverfolgungseinheiten haben Razzien in vier unabhängigen Nachrichtensendern und in Wohnungen von mehreren Journalisten durchgeführt. Mindestens 18 Journalisten wurden verhaftet, aber später wieder freigelassen. Alle wurden dazu gezwungen, einen Geheimhaltungsvertrag zu unterschreiben. Sie werden der illegalen Informationsbeschaffung von einer staatlich geführten Nachrichtenagentur bezichtigt. In den letzten Monaten wurden immer mehr Journalisten und Blogger bedroht und verhaftet. Die Regierung hat ein neues, restriktives Mediengesetz, das auch Strafen für kritische Kommentare in den sozialen Medien vorsieht, verabschiedet. Um das Internet zu benutzen, muss man sich mit einem Ausweis anmelden und registrieren.

profil: Werden Journalisten auch Opfer von Polizeigewalt? Kharytonau: Das passiert regelmäßig. 2017 wurden von dem weißrussischen Journalistenverband über 200 Fälle von Polizeigewalt gegenüber Journalisten registriert. Einer der aufsehenerregendsten Fälle passierte vor zwei Jahren, als ein Freund von mir, Paul Dabravolski, der damals Korrespondent für „tut.by“ war, von sechs SWAT-Mitgliedern zusammengeschlagen wurde. Nur weil er seine Arbeit gemacht hat. Nachdem er schwer verletzt wurde, wurde er wegen öffentlichem Fluchen und Widerstand gegen die Staatsgewalt verhaftet. Diese beiden Vorwürfe sind übrigens sehr populär, um politische Verfolgungen und willkürliche Verhaftungen von Journalisten recht zu fertigen, zusammen mit dem Vorwurf der illegalen Medien-Produktion. Unter diesen Begriff fällt fast alles, was online gestellt wird.

profil: Wie rechtfertigt die Polizei die Razzien und die Festnahmen? Kharytonau: Das Problem mit politisch motivierten Razzien gegen Journalisten und der Verletzung der Rechte der Journalisten ist, dass alle Aktionen der Autoritäten, speziell der Polizei und der Staatssicherheit, durch Gesetze gestützt werden. Und sobald du vor Gericht bist, ist die Chance den Prozess gegen den Staat zu gewinnen gegen null. Die achtzehn Journalisten, die diesen Monat verhaftet wurden, waren mit einer Lawine an Anschuldigungen und Vorwürfen seitens der staatlichen Medien konfrontiert. Fotos von ihren Wohnungen und ihren Bankdaten wurden veröffentlicht. Letztes Jahr publizierte die größte staatliche Zeitung mit 400.000 Auflagen einen Artikel von mir, ohne mich zu fragen. Sie haben ganze Absätze hinzugefügt und einfach meinen Namen darunter geschrieben. Die Behörden haben so getan, als wäre das nicht passiert. Anscheinend sind 400.000 Kopien nicht Beweismaterial genug um zu zeigen, dass die Zeitung meinen Text gestohlen hat.

profil: Wie werden die Journalisten in den Gefängnissen behandelt? Kharytonau: Die Behandlung variiert von Fall zu Fall. Es sollte sich eigentlich nach der Schwere der Delikte richten, kommt aber viel eher auf die Stimmung der Gefängnisbetreuer an.

profil: Bei welchen Themen ist es gefährlich, darüber zu berichten? Kharytonau: Die Grundregel ist, dass es keine Regeln gibt. Heute können Sie über ein Thema berichten, von dem man als sicher ausgeht, aber morgen könnten Sie dafür schon verhaftet werden. Das sowjetische Gedankengut, das wir geerbt haben, besagt aber, dass man sich entweder positiv äußert oder seinen Mund hält.

profil: Haben Sie Angst, dass Sie jemals für Ihre Arbeit verhaftet werden? Kharytonau: Ich bezweifle nicht, dass mir das früher oder später passieren wird, das ist ein fixer Bestandteil meiner Arbeit. Genauso, wie es hunderten meiner Kollegen zuvor passiert ist. Ich fühle mich natürlich unwohl, aber ich habe es schon als unvermeidlich akzeptiert. Vor dem Tod kann man ja auch nicht wegrennen. Alles was man tun kann, ist den Umstand, dass es irgendwann passieren wird, zu akzeptieren.

profil: Was erwarten Sie sich für die Zukunft von Weißrussland? Glauben Sie, dass es eine Chance für Veränderungen gibt? Kharytonau: Ich habe überhaupt keine Erwartungen für positive Entwicklungen im Bereich der Medien und der Politik im Allgemeinen.