Rosa Burc: "Es gibt einen gewissen ideologischen Zusammenhalt zwischen Erdogans AKP und dem IS."

Anschlag in Istanbul: "Die Türkei hat ein ambivalentes Verhältnis zum IS"

Am Dienstag, 12. Jänner, wurde in Istanbul, im Bezirk Sultanahmet ein Selbstmordanschlag verübt. Die Polizei hat bereits Verdächtige festgenommen, darunter drei russische Staatsbürger. profil hat mit Rosa Burc über den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat und die Kurdenfrage in der Türkei gesprochen.

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profil: Warum ist Istanbul für den sogenannten Islamischen Staat ein „attraktives“ Ziel? Rosa Burc: Die Türkei wurde im vergangenen Jahr mehrfach Ziel von Attentaten. Allerdings trafen diese die Linke, Oppositionelle und insbesondere die Kurden. Mit den jüngsten Anschlägen in Istanbul wurde erstmals die Türkei Opfer eines Attentats des sogenannten Islamischen Staats. Die Tourismusbranche ist in der Türkei, wie in jedem anderen Nationalstaat auch, das schwächste Glied, der IS versuchte demnach die Türkei genau dort zu treffen. Der Distrikt Sultanahmet in Istanbul ist der Tourismus-Hotspot der Stadt und somit ein attraktives Ziel für den sogenannten Islamischen Staat.

profil: Mittlerweile wurden Verdächtige festgenommen, darunter drei Russen – welche Folgen könnten diese Festnahmen haben? Burc: Es wird spannend zu sehen sein, wie die türkische Regierung mit diesen Festnahmen im Konflikt mit Russland umgeht. Durch den Abschuss des russischen Jets in der Türkei im vergangenen Jahr ist die Situation zwischen den beiden Ländern prekär. Eine tatsächliche Einschätzung ist dennoch schwierig.

Dschihadisten haben das Land lange als Transitland genutzt, die Türkei hat sie gewähren lassen.

profil: Die Türkei ist dem sogenannten Islamischen Staat geographisch am nächsten - welche Bedeutung kommt den Anschlägen im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat zu? Burc: Wie wir in den letzten zwei Jahren gesehen haben, hat die Türkei ein ambivalentes Verhältnis zum IS. Dschihadisten haben das Land lange als Transitland genutzt, die Türkei hat sie gewähren lassen. Die Türkei ist der Anti-IS-Koalition nur beigetreten um ihren Kampf gegen die Kurden im eigenen Land fortführen zu können. Mit dieser Koalition hat die Türkei die innenpolitische Lage auf die Außenpolitik übertragen. Mit der EU als Verbündetem gegen den IS kann die Türkei ihren fast schon genozidalen Krieg gegen die eigene Bevölkerung, die Kurden, fortführen.

profil: Präsident Erdogan wurde mittels „Fatwa“ vom sogenannten Islamischen Staat zum Tode verurteilt. Was macht Erdogan zu einem „Verräter des Islams“? Burc: Die Fatwa des IS gegen Erdogan ist insofern sehr interessant, als dass Erdogan und die AKP durch islamistische Rhetorik ihre Macht erhalten. Die Beziehung zwischen Raqqa, der Hochburg des IS, und der Türkei ist überaus undurchsichtig. Es gibt oft Erklärungen von Seiten der AKP, die fragwürdig erscheinen. So auch 2014 als die Jesiden im Irak vom IS vertrieben wurden: Es herrschte damals, wie auch heute, eine gewisse ideologische Übereinstimmung zwischen Erdogans AKP und dem IS. Stellt man sich eine Skala vor, ist der IS das Extrem, die Mitte Erdogan.

Die EU hatte große Probleme mit dem späten Eintritt der Türkei in die Anti-IS-Koalition.

profil: Die Türkei beteiligt sich an der Koalition gegen den sogenannten Islamischen Staat– wie wird es diesbezüglich für die Türkei weitergehen? Burc: Die EU hatte große Probleme mit dem späten Eintritt der Türkei in die Anti-IS-Koalition. Für die Türkei bedeutet der Beitritt zur Koalition, dass die EU wenig bis keinen Druck in der Kurdenfrage ausübt. Erdogan kann in der Südost-Türkei mit den landeseigenen Kurden verfahren, wie er möchte. Die EU verhält sich aktuell angesichts der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen auffällig ruhig.

Zur Person

ROSA BURC ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Sie beschäftigt sich unter anderem mit der Kurdischen Frage, der Türkei und Nationalismusforschung.