Land des Lächelns: Van der Bellens Kuschel-Strategie

Nur nicht anecken, nur nicht verschrecken: Alexander Van der Bellen setzt auf weichgezeichnete Heimat-Plakate und eine Kuschel-Strategie – und auf die Internet-Generation, die sich in Eigenregie formiert.

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Das Licht ist edel dunkelviolett, die Musik dudelt sanft; die Stimmung im Dinner-Club „Albertina“ nahe der Wiener Staatsoper schwankt an diesem lauen Frühsommerabend zwischen urbanem Chic und fröhlichem Geburtstagsfest. Kleine Häppchen und großes Gedränge im Publikum, gepflegtes Scherzen auf dem Podium. Auftritt Brigitte Ederer, ehemalige SPÖ-Europastaatssekretärin und Ex-Siemens-Österreich-Chefin. „Wenn mir vor drei Jahren jemand erzählt hätte, dass ich einmal den gleichen Kandidaten unterstütze wie Christian Konrad, hätte ich gesagt: Nie im Leben“, grinst Ederer. Christian Konrad, langjähriger Raiffeisen-Generalanwalt, heute Flüchtlingskoordinator, ergänzt ebenso launig: „Ich habe bisher nur ein Mal in meinem Leben für einen Menschen Wahlwerbung betrieben: für Erwin Pröll. Das ist ihm nicht schlecht bekommen.“

Anschwellendes Gelächter im Publikum, Applaus – und Scheinwerferlicht auf Alexander Van der Bellen, der etwas ungelenk auf die Bühne stakst und so wirkt, als wüsste er nicht recht, wie er in diese Situation hineingeraten konnte. Lobesworte auf dem Podium, Zuspruch aus dem Menschenknäuel von den Künstlern, Politikern und Wirtschaftstreibenden, die sich zum „Abend für Van der Bellen“ versammelt haben. Politische Schwergewichte wie Wiens Bürgermeister Michael Häupl, derzeit vorübergehend auch SPÖ-Parteivorsitzender, sind gekommen, auch Ex-ÖVP-Obmann Josef Pröll, Künstler wie der Maler Arik Brauer oder Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann und Wirtschaftstreibende wie Almdudler-Chef Thomas Klein. Den Titel des Partykönigs strebt Van der Bellen offenbar nicht an; er geht um 21.45 Uhr als einer der Ersten.

Dennoch ist es ein Abend ganz in seinem Sinne, so wie er sich wohl den gesamten Stichwahlkampf gegen Norbert Hofer erträumt hätte. Der recht eigenwillige, aber honorige Universitätsprofessor surft auf einer Welle der Anerkennung und Empathie, getragen von einer breiten Allianz von Unterstützern aus allen Ecken der Gesellschaft.

So weit die Fantasie. In der Realität muss sich der Kandidat mit unerwarteten Kalamitäten herumschlagen. Aus der erhofften „Van der Bellen, wer sonst“-Stimmung wurde nichts, im Gegenteil. Der schwarze Fanklub will und will sich nicht formieren. Keiner der amtierenden ÖVP-Spitzenpolitiker bekannte sich bisher öffentlich zu Van der Bellen, mit der einzigen Ausnahme des EU-Abgeordneten Othmar Karas – der aber immer schon dafür bekannt war, gern gegen den Parteistrom zu schwimmen. Bei vielen Konservativen steht Van der Bellen unter akutem Linksverdacht und gilt damit quasi als unwählbar.

Namhafte ÖVP-Unterstützer

Das erkennen auch schwarze Granden: Michael Ikrath, Generalsekretär des Sparkassenverbandes, und Ferry Maier, früherer Raiffeisen-Generalsekretär, haben einen offenen Brief verfasst, in dem sie appellieren, dass Hofer für bürgerliche Wähler keine Alternative sei – und ein weißer Stimmzettel nur Hofer nütze. Prominente Unterzeichner unter anderem: Ex-ÖVP-Obmann Wilhelm Molterer, Claus Raidl, Präsident der Nationalbank, und Ex-ÖVP-Ministerin Maria Rauch-Kallat Ein polternder Feuerkopf war der bedächtige Van der Bellen nie. Auf die vor allem in ländlichen Regionen verbreiteten Vorbehalte reagiert er mit selbst für seine Verhältnisse beachtlicher Entschleunigung. Nur nicht auffallen, nur nicht anecken, nur niemanden verschrecken, scheint das Wahlkampf-Motto zu sein. Demonstrationen gegen FPÖ-Kandidaten Nobert Hofer finden ausdrücklich nicht die Zustimmung der Grünen Parteispitze, aus Sorge darüber, dass jede Polarisierung der FPÖ nutzen könnte.

Das Resultat ist ein betont kuscheliger Wahlkampf mit weichgezeichneten Heimat-Plakaten im Almöhi-Stil. Alles schmuck, alles adrett – aber wenig elektrisierend. Die selbstständige Strategieberaterin Nina Hoppe versucht in Eigenregie, die Initiative „Wirtschaft für Van der Bellen“ auf die Beine zu stellen, und rennt dabei gegen Mauern: „Es ist kaum jemand bereit, sich zu deklarieren. Das hätte ich nie gedacht.“

Das macht den Wahlkampf auf dem Land nicht gerade leichter, in jenen Regionen also, wo den Grünen immer noch der Ruf als „Haschtrafikanten“ (was auch immer das sein mag) nachhängt.

Unverdrossen rekrutiert das Team Van der Bellen Unterstützer um Unterstützer, um an Breite zu gewinnen. Diesmal sind es die Sängerin Anna F. („weil er die richtige Wahl ist“) und zwei Pressesprecher von ehemaligen oder bald ehemaligen Bundespräsidenten: Heinz Nußbaumer, einst Sprachrohr von Kurt Waldheim und Thomas Klestil, sowie Bruno Aigner, seit über vier Jahrzehnten Sprecher von Heinz Fischer, deklarieren sich für Van der Bellen – im Unterschied zu Irmgard Griss, der Politaufsteigerin des Jahres, die sich partout nicht entscheiden will, ob sie Norbert Hofer oder Alexander Van der Bellen für den besseren Bundespräsidenten hält.

Zudem formieren sich, nach einer langen Schrecksekunde über den deutlichen Wahlerfolg Hofers im ersten Wahlgang, Graswurzel-Bewegungen im Internet. „Austrian Expats for Van der Bellen“ postet intensiv auf Facebook und Twitter; vor allem junge Menschen senden aus allen Teilen der Welt Videobotschaften, warum ihnen nicht egal ist, wer Österreich als Staatsoberhaupt vertritt. Darunter finden sich auch überraschende Testimonials wie jenes von Peter Sichrovsky, von 2000 bis 2002 Generalsekretär der FPÖ. Exakt 42.830 Auslands-Österreicher sind bei der Bundespräsidentschaftswahl wahlberechtigt – das sind immerhin doppelt so viele Stimmbürger wie in der Stadt Bregenz.

Bobo-Mobilisierung

Auch im Inland versucht die Internet-Generation, auf ihre Art Wahlkampf zu machen. „Wir haben die Umfragen geglaubt, dass Van der Bellen meilenweit vorne liegt. Jetzt sind viele erschreckt aufgewacht und probieren, ihre Netzwerke zu mobilisieren“, berichtet Georg Demmer stellvertretend für viele. Der Wiener Demmer ist ein Bobo wie aus dem Bilderbuch. Er war schon „Salat-Pirat“, hat das Modegetränk „Bubble-Tea“ forciert und betreibt derzeit als Kreativer das Gemeinschaftsbüro „Co-Working-Space“ in Wien. Demmer trommelte Freunde, Bekannte und Gleichgesinnte zusammen und stellte das Projekt „The Great Schlep“ auf die Beine – dem Wahlkampf von Barack Obama nachgekupfert. 2008 lancierte die US-Komikerin und Schauspielerin Sarah Silverman eine Kampagne, bei der junge Menschen die Stimmen ihrer Eltern und Großeltern zu Obama „schleppen“ sollten. Der Trupp um Demmer probiert Ähnliches: „Viele Wiener sind aus den Bundesländern hierhergezogen. Wir mobilisieren, dass sie ihre Eltern und Omas bearbeiten, für die Zukunft der Kinder und Enkel zu stimmen.“

Derartige spontane, handgestrickte Initiativen boomen derzeit. In der Gewerkschaft bildet sich die Internet-Plattform „Gewerkschafter für Van der Bellen“, die auf Facebook Stimmung zu machen versucht. „Das war eine spontane Sache nach dem ersten Wahlgang“, berichtet Mitinitiator und Gewerkschafter Markus Koza.

Das wirkt alles rührend, aber auch etwas unorganisiert – vor allem für jemanden wie Alexander Van der Bellen, der seit Monaten damit spekuliert, in die entscheidende Runde der Stichwahl zu kommen. Im ersten Wahlkampf-Durchgang kämpfte der langjährige Grüne mit der für ihn völlig ungewohnten Favoritenrolle, in der zweiten Runde ist er klarer Außenseiter. Die FPÖ liegt in beinahe allen entscheidenden Kriterien vorne: Sie verfügt über mehr finanzielle Mittel, mehr quer über Österreich verstreute Funktionäre, die Wahlkampf betreiben können – und über ein seit Jahren aufgebautes Informationsnetz in den sozialen Medien. Nicht zuletzt begünstigt die politische Großwetterlage, von der Flüchtlingskrise im Allgemeinen über die jüngsten Kriminalfälle im Besonderen, eher den blauen Kandidaten.

Getreu dem Prinzip Hoffnung versuchen die Grünen zu retten, was zu retten ist. Wien-Lindengasse, eine Bar für frisch gepresste Gemüsesäfte, ein Geschäft für „Gesundes Wohnen“, daneben ein Yoga-Store – viel mehr Bobo geht kaum. Im nächsten Haus logieren die Wiener Grünen, an diesem Abend vergangene Woche drängen sich vier Dutzend Leute in einem nüchternen Saal. Zwei haben Sakkos an, nur drei scheinen älter als 40, alle tragen Pickerl mit ihren Vornamen auf T-Shirts und Hemden. Es ist die dritte Schulung in dieser Woche für Aktivisten, die sich gemeldet haben und sich erstmals in ihrem Leben politisch engagieren wollen.

Sie bekommen einen Crashkurs in Straßenwahlkampf: „Lächeln ist gut“, sagt Lisbeth, die Schulungsleiterin, und: „Redet überzeugt. Nur dann könnt ihr jemanden überzeugen.“ Den Neo-Wahlkämpfern werden Argumente und Textbausteine mitgegeben: „Es kommt oft der Einwand, dass Van der Bellen älter ist. Da könnt ihr sagen: In unsicheren Zeiten haben wir lieber einen erfahrenen Kapitän.“

Es wird mitgeschrieben und in iPads getippt. Bei Weitem nicht alle im Raum sind treue Grün-Wähler, im Gegenteil: „Mir passt die Fundamentalablehnung von TTIP gar nicht. Ich bin eher bei den NEOS daheim und natürlich für Freihandel“, sagt Jakob, ein junger Brillenträger aus Wien-Kagran. Er will erstmals in seinem Leben Wahlkampf machen. Glaubt er an einen Erfolg Van der Bellens? „Ich will nicht nach der Bundespräsidentenwahl dasitzen und mir vorwerfen müssen, ich hätte nichts getan.“

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin