LOIS-PROJEKTLEITERIN LUCIA MALFENT: "Wir wollen eine
zielgerichtete Öffnung im Wissenschaftsbetrieb herstellen.“

"Lab for Open Innovation"-Lehrgang der Ludwig Boltzmann Gesellschaft

Wenn Forscher nochmals die Schulbank drücken, ist Paradigmenwechsel angesagt. Mit ihrem "Lab for Open Innovation“ stellt die Ludwig Boltzmann Gesellschaft den Wissenschaftsbetrieb auf den Kopf und die vorherrschende Wettbewerbskultur infrage.

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In der Wirtschaft gehört Executive Education längst zum guten Ton: Denn es sind vor allem Führungskräfte in den Enddreißigern bis Mittvierzigern, die ihre Lebensläufe gern mit einem internationalen Postgraduate-Sahnehäubchen garnieren. Ein MBA-Abschluss oder Business-School-Modul an einer der großen Kaderschmieden wie Fontainebleau in Frankreich, "Oxbridge“ in Großbritannien oder Harvard in den USA gilt als perfekter Schub für die Aufstiegsleiter.

Wenn aber Doktoren der Wissenschaft nochmals eine Schulbank drücken, rührt dies definitiv an einem Tabu. Gerade in der Welt der Forscher machte sich im vergangenen Jahrzehnt eine bedenkliche Kultur aus Rankingmentalität und Ellenbogentechnik breit, die auf die wachsende Geldknappheit und die damit verbundene ausgeprägte Wettbewerbskultur zurückzuführen ist (profil berichtete über den steigenden Performance-Druck in der Ausgabe 26/2015: "Publiziere oder krepiere“). Und jetzt sollen sich auf einmal alle gemeinsam weiterbilden?

"Alternativen zu diesem unheimlichen Druck"

Die Wiener Ludwig Boltzmann Gesellschaft wagt jedenfalls das Experiment und startet mit ihrem "Lab for Open Innovation in Science“ (LOIS) als erste Forschungsorganisation in Europa einen "Post-Doc“-Lehrgang für jene, die Auswege aus dem Einzelkämpfertum suchen. "Wir wollen damit eine zielgerichtete Öffnung im Wissenschaftsbetrieb herstellen und Alternativen zu diesem unheimlichen Druck bieten“, so Projektleiterin Lucia Malfent. Dabei gehe es nicht um eine Neuerfindung wissenschaftlicher Methoden und um "keinen neuen heiligen Gral“, sondern um eine "Fähigkeit zur Zusammenarbeit, von der alle profitieren“.

"Open Innovation in Science“ nennt sich diese Abkehr vom Elitären, bei der auch ganz normale Bürger an Forschungsprojekten direkt beteiligt werden. Vor allem in skandinavischen Ländern ist diese Praxis, die Bevölkerung an Forschungsprojekten partizipieren zu lassen, gängig. Ein Vorteil dieser Methode ist die umfassendere Recherche, da viele Teilnehmer wesentlich mehr Daten erheben können als eine kleine Gruppe von Wissenschaftern. In Österreich laufen ebenfalls mehrere "Citizen Science“-Projekte, eines davon ist "Roadkill“, bei dem Bürger mittels App an eine Arbeitsgruppe an der Universität für Bodenkultur auf Straßen überfahrene Tiere melden. Damit sollen Ursachen aufgezeigt und Gegenmaßnahmen ermöglicht werden.

Initiative "Reden Sie mit!"

Ein wissenschaftliches Projekt mit Bürgerbeteiligung stand auch am Beginn des neuartigen Ausbildungsprogramms, das am 14. April startet und mit insgesamt 13 Modulen bis Februar 2017 dauert: Mit der Initiative "Reden Sie mit!“ rief die Ludwig Boltzmann Gesellschaft im Vorjahr die Bevölkerung auf, Fragen zu psychischen Erkrankungen einzureichen, auf die die Wissenschaft stärker eingehen sollte (siehe auch profil 34/2015). Der Zulauf war hoch - mit an die 400 Einsendungen, bei denen "erstaunlich viele analysefähig waren“, wie Malfent erzählt. Drei große Themenbereiche haben sich daraus ergeben, deren wissenschaftliche Aufarbeitung wohl auch in das Ausbildungsprogramm integriert werden wird - Kinder und Jugenderkrankungen, die Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen und Versorgungsforschung.

Die 20 LOIS-Studierenden aus Österreich, Deutschland und Rumänien werden darin instruiert, wie sich Potenzial aus dem Zusammenwirken zwischen Laien und Experten ziehen lässt. Und wie Wissen besser öffentlich zugänglich gemacht und dabei gleichzeitig kapitalisiert werden kann. "Wissenschaftliches Wissen zu verwerten, spielt bei dem Ganzen keine unbedeutende Rolle“, sagt LOIS-Initiatorin Claudia Linger. Ziel sei, "dass man für sein Tun neue Werkzeuge erhält. Dabei wird die große Herausforderung für die Forschung darin liegen, das Wechselspiel von Sich-öffnen, Sich-schließen und wieder Sich-öffnen besser zu verinnerlichen.“