Medizintechnik: Nanoroboter bekämpfen Krebs

Was früher Science-Fiction-Fantasie war, ist in greifbare Nähe gerückt: Schon bald sollen Nanoroboter, ferngesteuerte Bakterien und Mikromaschinen durch die Adern schwimmen - und dort Gewebeproben einsammeln, Krebs bekämpfen und verdächtige Moleküle aufspüren.

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Es ist der Blick in eine Nacht, in der zwei Lichter wie Autoscheinwerfer leuchten. Doch als sie sich bewegen, werden sie nicht größer, sondern bewegen sich flackernd zur Seite. Nicht lange, dann stehen sie still, als hätten sie in der Dunkelheit ihr Ziel erreicht. Byung-Wook Park blickt von seinem Lichtmikroskop auf: "Ich schätze, die Bakterien haben sich ungefähr acht Mikrometer weit bewegt, also acht tausendstel Millimeter. Das ist ein passables Ergebnis.“

Die Bakterien, die Park durch die Linsen beobachtet, heißen Escherichia Coli und tummeln sich gerne im Darm des Menschen. Parks Exemplare sind aber keine gewöhnlichen Mikroben: Sie wurden über Hunderte Generationen wie Rennpferde für Geschwindigkeit gezüchtet. Ihr Tempo verleihen ihnen korkenzieherförmige Geißeln auf der Zellmembran. Die Richtung wiederum gibt den galoppierenden Bakterien eine erhöhte Säurekonzentration vor, die der Umgebung eines Krebsgeschwürs im Magen ähnelt. Dort sollen sie an ihnen haftende, phosphoreszierende Nanoteilchen aus Kunststoff abliefern. "Das könnte auch ein medizinischer Wirkstoff sein“, sagt Park. Mit anderen Worten: eine Möglichkeit, eines Tages Tumorzellen im Menschen zu attackieren.

Winziger geht es kaum

Park ist Postdoktorand in der Abteilung für Physische Intelligenz am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme. Ihr Leiter, Metin Sitti, sitzt in weißen Shorts und hellem T-Shirt auf einem Drehstuhl neben Park. Seit Jahren - zuerst in Japan, dann in den USA und seit vorigem Herbst in Stuttgart - verfolgt er die Vision, mit nur Nano- und Mikrometer kleinen Robotern in den Mikrokosmos des Körpers abzutauchen. Winziger geht es kaum: Ein Nanometer entspricht einem millionstel Millimeter. Die Miniaturmaschinen sollen im Körper punktgenau Medikamente abladen, Innenansichten von Magen oder Lunge aufnehmen, Gewebeproben im Darm einsammeln oder gar mit winzigen Skalpellen operieren.

Neu ist die Idee nicht. Weltweit arbeiten Robotiker an dem Projekt, das der US-Physiker Richard Feynman in einem Vortrag erstmals 1959 imaginierte, als er vom "schluckbaren Chirurgen“ sprach. In den 1960er-Jahren schickte dann der Science-Fiction-Film "Die fantastische Reise“ ein bemanntes, auf Mikrometer geschrumpftes Mini-U-Boot in den Kopf eines Forschers, um ein Blutgerinnsel zu beseitigen. Doch was früher nur Vision war, sei inzwischen in greifbare Nähe gerückt, meint Sitti, der im Februar einen Überblicksartikel über Mikrorobotik publizierte: "Jüngste Fortschritte in der Mikrorobotik haben wichtige Hürden genommen, um den Traum Wirklichkeit werden zu lassen.“

Zwar schwimmen Parks Biohybridroboter derzeit noch in einer wässrigen Lösung. Das ändert sich aber, sobald am Stuttgarter Max-Planck-Institut 2016 ein Tierversuchslabor fertiggestellt ist. Dann werden die aufgerüsteten E.Coli-Bakterien in Mäuse- oder Kaninchenmägen tätig.

Doch auch durch den Menschen wandern Roboter bereits: etwa in Gestalt der PillCam, die Anfang des Jahrtausends in Europa und den USA auf den Markt kam. Die mit zwei Kameras ausgestattete Kapsel durchläuft den Magen-Darm-Trakt in sechs bis acht Stunden und nimmt Bilder der Schleimhaut von Dick- und Dünndarm auf, die mittels eines Senders an ein Speichergerät gesendet werden. Die Prozedur ist weniger belastend als eine Darmspiegelung und medizinisch äußerst hilfreich, weil sie Bilder des sonst nicht vollständig einsehbaren Dünndarms liefert. Doch diese Kapseln sind mehr als zwei Zentimeter lang - in der Welt der Mikrorobotik ungelenke Schlachtschiffe.

Hightechpflaster und Medikamenten-App

Kleiner ist dagegen eine Tablette des kalifornischen Unternehmens Proteus Digital Health, in der sich ein Funkchip von der Größe eines Quadratmillimeters verbirgt. Wird die Pille geschluckt, löst sich ihr Mantel auf, und der mit Magnesium und Kupfer beschichtete Chip kommt in Kontakt mit Magensäure. Für fünf bis zehn Minuten hat der Chip dann genügend Energie, um einen Code über die Konzentration bestimmter Arzneimittel im Magen an ein Hightechpflaster auf der Haut zu schicken. Das leitet die Information weiter an eine App. Der Hintergedanke: Ärzte können sicherstellen, dass ein Patient tatsächlich die verschriebenen Medikamente in passender Dosierung einnimmt.

Doch auch diese Tablette bewegt sich nicht im Mikro- oder Nanobereich, in dem die Ingenieure wie Sitti und seine Kollegen die Zukunft der Miniroboter sehen. Sie wünschen sich kleinere, wendigere und vielseitigere Gefährte, die in die letzten Winkel des Körpers vorstoßen. Die Vorteile sind klar: Während Pillen sich über den Magen im ganzen Körper verteilen und bei Injektionen nur ein Teil des Wirkstoffs am gewünschten Ziel ankommt, könnten Nano- und Mikroroboter direkt zu Tumoren vordringen, in Adern Blutklumpen mithilfe von Minibohrern beseitigen oder Gewebeproben einsammeln.

Um das zu bewerkstelligen, müssen die Roboter mit dem ungewohnten Mikrokosmos unseres Körpers zurechtkommen: "Wenn wir in die Region der Mikro- und Nanometer absteigen, müssen wir unser Verständnis von Robotik und Künstlicher Intelligenz erweitern“, sagt Bradley Nelson, Professor am Institut für Robotik und Intelligente Systeme der ETH Zürich. Natürlich gelten die Gesetze der Physik weiterhin, haben aber andere Effekte als in der uns sichtbaren Welt. Je kleiner ein Objekt ist, desto stärker hat es mit dem Widerstand der Flüssigkeit zu kämpfen. Sie wird zäh wie Honig. Außerdem muss das Problem der Energiequelle gelöst werden, mit der sich ein Roboter fortbewegt, da es nennenswerte Akkus in dieser Größenskala nicht gibt. Aus demselben Grund kann das Vehikel kein Bordcomputer steuern - die sind einfach zu groß. Und schließlich dürfen die winzigen Maschinen das Immunsystem des Körpers nicht alarmieren, um keine Abwehrreaktionen hervorzurufen.

Trotz dieser Hindernisse gibt es längst eine - zwar nicht im Menschen, aber bereits oftmals an Tieren getestete - Menagerie von Maschinen, die diese Probleme erfolgreich umschifft. David Gracias von der Johns Hopkins University in Baltimore hat beispielsweise kabellose, seesternförmige Mikrogreifer mit nur 500 Mikrometer im Durchmesser entwickelt. Diese entlässt er zu Hunderten in den Verdauungstrakt. Dort löst sich ihr wasserlöslicher Kunststoffüberzug in Reaktion auf die Körpertemperatur, auf Säure oder Enzyme auf und setzt die Greifer frei, die dann ihre Finger automatisch nach innen biegen. Einige umschließen und lösen so Gewebe aus einem Darmtrakt. Nach einigen Stunden können die Greifer dann aus dem Stuhl des Patienten zurückgewonnen werden. Der Robotiker hat das System kürzlich an Schweinen getestet und festgestellt, dass rund ein Drittel von ihnen Gewebeproben einsammelte. Das wäre eine schonende Biopsie für Patienten, die aufgrund von Entzündungen keine Darmspiegelung vertragen.

Will man die Mikrodiagnostik aber nicht nur mit dem Blutstrom treiben lassen oder der Magenperistaltik überantworten, ist Fortbewegung Schwerstarbeit. Doch Nanorobotiker sind auch hier erfindungsreich - und Biohybridroboter, wie Sitti und Park sie erforschen, nicht die einzige Option. Mikroroboter kommen ebenso vom Fleck, indem sie chemisch auf das Umfeld im Körper reagieren. So hat eine Forschergruppe um Joseph Wang von der University of California in San Diego einen Mikromotor aus Zink entwickelt, der in Reaktion mit der Magensäure einen Strom von Wasserstoffbläschen erzeugt, der das Vehikel vorwärts treibt. In einem Experiment, über das die Forscher im Januar berichteten, konnten die Motoren erfolgreich Frachtgut - in diesem Fall Goldpartikel - in den Magenwänden von Mäusen abladen. Nach getaner Arbeit lösten sie sich einfach auf.

Magnetfelder als Steuerungshilfen

Bisweilen holen sich Mikrorobotiker Hilfe aus der für uns sichtbaren Welt. Genauer: bei Spulen, die Magnetfelder induzieren. Sie können helfen, die winzigsten Partikel zu lenken und mitunter sogar anzutreiben. Das ist eine Spezialität der Arbeitsgruppe um Bradley Nelson in Zürich. Auch sein Team erkannte die Vorteile der Geißeln, mit der sich Bakterien fortbewegen. Doch statt echter Mikroben bauten sie Flagellen nach - als 16 Mikrometer kurze Roboter mit magnetischen Köpfchen. Ähnlich wie im Kernspintomografen legen die Forscher dann von außen Magnetfelder an, um die rotierenden Minischwimmer zu steuern - eine Technik, die sich auch nutzen lässt, um Katheter präzise zum Ziel zu führen. Im Jänner veröffentlichte Nelsons Arbeitsgruppe außerdem eine Studie, die darlegte, wie die künstlichen Flagellen ringförmige DNA-Moleküle in menschlichen Nierenzellen abliefern.

Aber auch im Glaskörper von Augen hat Nelsons Team bereits winzige Gefährte tetestet - in den Augen toter Schweine vom Schlachthof, um genau zu sein. In einem Experiment überzogen die Robotiker Metallkügelchen mit einem Farbstoff, dessen Fluoreszenz sich abhängig vom Sauerstoffgehalt in seiner Umgebung änderte. Als sie von außen ein Magnetfeld anlegten, ließen sich die Kugeln im Auge exakt steuern - und aufgrund der Fluoreszenz konnte man den Sauerstoffgehalt präzise bestimmen. Diese Information kann helfen, um Augenkrankheiten wie Glaukom, das zur Blindheit führen kann, frühzeitig zu erkennen.

Doch darf ein Gefährt, das nach schweren, außen angebrachten Magnetspulen verlangt, Mikroroboter heißen? Nelson gesteht zu, dass Selbststeuerung - wie sie bei Autos längst verwirklicht ist - kein Ziel in greifbarer Nähe ist. Und selbst mit externer Steuerung können die Mikroroboter vorerst keine großen Distanzen im Körper zurücklegen. Von geschluckten Robotern abgesehen, die durch den Magen-Darm-Trakt wandern, müssen die Minimaschinen stets in der Nähe ihres Einsatzortes in den Körpers injiziert werden.

Das hindert Mikrorobotiker nicht daran, ständig neue Konzepte auszuprobieren. So arbeitet das Forschungslabor Google X Lab daran, magnetische Nanopartikel in den Blutkreislauf zu schleusen, wo sie nach verdächtigen Zellen, Proteinen oder anderen Molekülen Ausschau halten und sich an diese haften. Als Paket wandern sie dann durch die Adern und werden - so zumindest der Plan - von einem mit Sensoren versehenen Armband registriert. Auf diesem Wege wollen die Google-Ingenieure ein Frühwarnsystem ermöglichen, das vor Krebs, Herzattacken oder anderen Krankheiten warnt. Die Technik steckt freilich noch in den Kinderschuhen.

Den ersten regulären Einsatz von Mikrorobotern sagen Forscher wie Sitti und Nelson für das kommende Jahrzehnt voraus. Auf dem Weg dahin durchlaufen ihre Miniaturarbeiten - seien es Biohybridroboter, Minigreifer oder Mikroschwimmer - eine Entwicklung, die sich immer besser in die Innenwelt unseres Körpers einfügt. Am Ende steht indes kein geschrumpftes U-Boot, sondern ein bunter Zoo neuer Minimaschinen, die für unser internes Ökosystem geschaffen sind. "Es geht nicht anders“, sagt Sitti. "Wir müssen uns dem Mikrokosmos anpassen, wenn wir etwas erreichen wollen.“