profil 13/2009: Helmut Zilk, Spion
Das in die Jahre gekommene Espresso an einem der hässlichsten Orte Wiens, dem Südtiroler Platz, war keine schlechte Lokalität für ein vertrauliches Treffen. Damals, im März 2009, gab es den Hauptbahnhof noch nicht, und die Wahrscheinlichkeit, in diesem tristen Tschocherl von Bekannten überrascht zu werden, war denkbar gering.
Die mir im verrauchten Café übergebenen Akten waren heiß, sie bewiesen zweifelsfrei: Wiens wenige Monate zuvor verstorbener Ex-Bürgermeister Helmut Zilk hatte jahrelang für den tschechoslowakischen Geheimdienst spioniert, und er hatte sich dafür bezahlen lassen. Er lieferte der Staatssicherheit der kommunistischen ČSSR zwischen Dezember 1965 und Juni 1968 Informationen aus für sie unzugänglichen Kreisen der österreichischen Politik.
Gerüchte über eine Spitzeltätigkeit des späteren Bürgermeisters hatte es schon einige Jahre zuvor gegeben, Zilk dementierte sie polternd und bekam vom tschechischen Staatspräsidenten Václav Havel in Anwesenheit einer österreichischen Journalisten-delegation einen Persilschein ausgestellt: Da sei nichts gewesen.
Das 2009 im Rahmen der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit zufällig aufgetauchte Aktenbündel dokumentierte anderes. Es enthielt Protokolle von Gesprächen, die Zilk mit seinen an der ČSSR-Botschaft in Wien stationierten Führungsoffizieren geführt hatte, Einschätzungen seiner Person durch die Prager Zentralstellen, Wünsche seiner Auftraggeber, Abhörprotokolle aus Zilks Hotelzimmern – und die von Zilk unterschriebenen Quittungen für Honorare, die ihm Prag für seine Dienste gezahlt hatte.
Ich ließ die Dokumente sofort übersetzen, fünf Tage später lagen sie auch auf Deutsch vor.
Was hatte den einstigen Lehrer und damaligen Top-Journalisten des österreichischen Fernsehens in den Dienst des tschechoslowakischen Geheimdienstes treten lassen?
Zilk war denkbar ungeschickt in die Agentenrolle gerutscht. Er hatte 1964 zwei viel beachtete „Stadtgespräche“ in Prag durchgeführt – Live-TV-Diskussionen hinter dem Eisernen Vorhang mit durchaus kritischen Tönen, das gab es noch nie. Nach zwei Sendungen setzten die Machthaber in Prag dem liberalen Treiben freilich ein Ende. Als Zilk auf eine dritte Sendung drängte, nahm der Geheimdienst den 38-Jährigen genauer unter die Lupe.
In einem Bericht aus dem Dezember 1965 heißt es, Zilk habe „ein gepflegtes Äußeres, er hat Erfolg bei Frauen und führt ein persönlich aufwendiges Leben. Isst in teuren Restaurants. Er macht kein Geheimnis daraus, dass er Geld nicht im Überfluss hat.“ Also macht man ihm Versprechungen und ein Angebot: Über einen weiteren Sendetermin könne man ja irgendwann reden, für kleine Dienstleistungen sei man auch bereit, ein Honorar zu bezahlen. Der Vorschlag wird Zilk von einem Geheimdienstmitarbeiter namens Starek überbracht. Drei Tage später kommt es zur ersten Honorarübergabe, einer Vorabzahlung in der Höhe von 5000 Schilling, damals etwa ein Lehrergehalt. Zilk unterschreibt die Quittung mit seinem eigenen Namen. Jetzt ist er festgenagelt.
In den folgenden zweieinhalb Jahren trifft Zilk – im Akt wird er jetzt Holec genannt – seinen Führungsoffizier und dessen Nachfolger im Durchschnitt alle zwei Wochen. Anfangs kommt Starek noch in Zilks Büro in der Argentinierstraße, bald weicht man ins Restaurant Sacher, ins „Kerzenstüberl“, ins Hotel Intercontinental oder ins Hotel am Parkring aus. Manchmal empfängt Zilk Starek in seiner Wohnung im 1957 fertiggestellten Hochhaus am Matzleinsdorfer Platz. Der aufstrebende Journalist wohnt dort mit Gattin Erika und Sohn Thomas. Starek holt Material und bringt Geld.
Die Treffen in Prag finden stets im Hotel Alcron am Wenzelsplatz statt. Zilk hat immer dasselbe Zimmer, die Staatssicherheit hat es verwanzt. Auch Geldübergaben finden im Alcron statt.
Der Wiener Fernsehmann liefert Material von unterschiedlicher Brisanz. Anfangs übergibt er seinem Führungsoffizier bloß harmlose Info-Blätter für SPÖ-Funktionäre. Aber die Aufträge werden spezifischer und heikler. So soll sich der prominente Journalist mit Bundeskanzler Josef Klaus treffen und in einem Off-Records-Gespräch dessen Osteuropa-Strategie erkunden. Auch den neuen SPÖ-Vorsitzenden Bruno Kreisky muss Zilk bei einem Mittagessen aushorchen, wobei Prag besonders die parteiinterne Stimmung zur Annäherung an die EWG interessiert. Einmal verrät er den Tschechen die österreichische „Schmerzgrenze“ bei bevorstehenden Restitutionsverhandlungen. Regelmäßig liefert Zilk Informationen aus Regierungskreisen, die ihm in seiner Funktion beim ORF zukommen. Auch an den Machtverhältnissen im ORF selbst ist Prag interessiert.
Der Informant Zilk kann sich neben seinem Honorar jetzt auch Sachgüter wünschen: Wein, Liköre, einen Pelzmantel für die Gattin, einmal sogar einen großen Luster aus böhmischem Bleikristall. Zilk darf sich ein Modell aus einem Prospekt aussuchen. Prag meldet dem Wiener Führungsoffizier, die Lieferzeit des gewünschten Lusters betrage vier Monate.
Selbst als Zilk 1967 Fernsehdirektor wird, setzt er seine Spitzeltätigkeit fort. Einmal besucht er mit seinem Chef und Förderer, ORF-Generalintendant Gerd Bacher, Prag und empfängt insgeheim zwei Führungsoffiziere, die ihm Geld ins Hotel bringen. Er warnt sie: Gerd Bacher wohne am selben Stockwerk, der dürfe sie ja nicht sehen.
Auch das steht im Akt.
Nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts beendet Zilk seinen „Nebenjob“. Im Sommer 1969 will ihn der Geheimdienst noch einmal reaktivieren, aber Zilk lehnt ab.
Am Samstag vor ihrem Erscheinen veröffentlichte profil in einer Aussendung erste Details der Zilk-Story. Die SPÖ protestierte sofort und heftig, Kanzler Werner Faymann rückte höchstpersönlich zur Verteidigung Zilks aus, die „Kronen Zeitung“ tobte.
Bevor die Story in der profil-Ausgabe vom 23. März 2009 erschien, informierte ich Gerd Bacher, zu dem ich trotz weltanschaulicher Differenzen immer ein gutes Verhältnis hatte. Bacher war entsetzt. 1969 waren zwei Staatspolizisten bei ihm aufgetaucht und hatten ihm erzählt, nach der Niederschlagung des Prager Frühlings seien Überläufer des Geheimdienstes nach Österreich gekommen und hätten von Zilks Spitzeltätigkeit berichtet. Bacher hatte die Stapo-Leute empört hinausgeworfen, weil sie ihm zutrauten, dass er, ein glühender Antikommunist, einen Spion für ein KP-Regime beschäftige.
Am Samstag vor ihrem Erscheinen veröffentlichte profil in einer Aussendung erste Details der Zilk-Story. Die SPÖ protestierte sofort und heftig, Kanzler Werner Faymann rückte höchstpersönlich zur Verteidigung Zilks aus, die „Kronen Zeitung“ tobte.
Am Sonntag änderte der ORF das Thema für die abendliche Diskussion „Im Zentrum“, die damals noch im Haas-Haus am Stephansplatz stattfand. Teilnehmer waren Gerd Bacher, Zilks Ex-Sekretär Kurt Scholz, der Historiker Stefan Karner, der tschechische Botschafter Jiří Gruša und ich. Vor Beginn saß ich mit Gerd Bacher und dem Sendungsverantwortlichen Elmar Oberhauser noch im Restaurant Do&Co, als der Regisseur ins Lokal stürzte, um uns mitzuteilen, Zilks Witwe Dagmar Koller sei auf dem Weg von ihrer Wohnung in der nahen Naglergasse zum Stephansplatz und habe angekündigt, sie werde in die Sendung eindringen. Gerd Bacher wollte flüchten, Oberhauser war selig: Das versprach Quote.
Also wurde noch ein Sessel an den Tisch gerückt, auf dem Dagmar Koller Platz nahm und vor sich das Kreuz platzierte, das Zilk nach dem Briefbombenanschlag bei der Pressekonferenz im AKH in der Hand gehalten hatte.
Die Debatte verlief turbulent: Ich las aus den Akten vor, Botschafter Gruša bestätigte deren Echtheit, Bacher war auf meiner Seite, Kurt Scholz entsetzte sich über „diese Infamie“, Dagmar Koller machte Anstalten, mich mit dem Kreuz zu exorzieren.
Mag sein, dass sie später zu Hause, als sie das Licht anknipste und der Kristallluster aus Böhmen erstrahlte, noch einmal an diese Akten gedacht hat.
Den Akten der österreichischen Staatspolizei zum Fall Zilk war übrigens kein langes Leben beschieden. Sie wurden offenbar bald, nachdem die SPÖ 1970 an die Regierung kam, „skartiert“, also in den Reißwolf gesteckt. Später fand sich zufällig noch das Deckblatt der Kladde.