Argentinien

100 Tage Javier Milei: Präsident Scheiße-nochmal

Seit 100 Tagen regiert Javier Milei Argentinien mit einer radikal-liberalen Kettensägenpolitik. Was hat der selbst ernannte Anarchokapitalist bis jetzt bewirkt? Und drohen in dem Land bald Hungeraufstände?

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An den Haaren herbeigezogen: Diese Frisur ist eine Charakterdarstellerin. Der argentinische Staatspräsident Javier Milei, 53, trägt sein Haupthaar in wirrer Pracht und unvorteilhafter Länge und erklärt zu dem Thema gern schalkhaft, dass er von der „unsichtbaren Hand“ gestylt werde. Der Ökonomen-Scherz bezieht sich natürlich auf Adam Smiths Konzept von der Selbstregulierung des Marktes und zeigt, dass Javier Milei sich selbst nicht ganz so ernst nimmt, wie er vielleicht sollte.

Immerhin steht der studierte Wirtschaftswissenschafter und selbstbewusste Radikalreformer seit dem 10. Dezember der zweitgrößten Volkswirtschaft Südamerikas als Staatspräsident vor. Drei Monate später warten Millionen seiner Landsleute immer noch auf die Pointe.

Dass mit Milei kein ganz normaler Politiker in den Präsidentenpalast von Buenos Aires einziehen würde, war kein Geheimnis. Schon als Kandidat betonte er seine Andersartigkeit mit einiger Verve und legte einen Wahlkampf hin, der wie aus einer überdrehten Politsatire herauskopiert wirkte – und blendend funktionierte: In der Stichwahl am 19. November wurde der Polit-Newcomer Milei mit 56 Prozent der Stimmen zum argentinischen Präsidenten gewählt.

Das argentinische Kettensägenmassaker

Javier Gerardo Milei, Sohn eines Busunternehmers und einer Hausfrau aus Buenos Aires – von den Eltern hat er sich längst entfremdet –, studierte Wirtschaftswissenschaften, arbeitete als Berater und Chefökonom für die Flughafen-Holding des Milliardärs Eduardo Eurnekian, bevor er als TV-Experte und Talkshow-Gast landesweite Bekanntheit erreichte. In dieser Rolle wurde er mit zunehmend abstrusen Auftritten populär, unter anderem schwärmte er von seinen tantrischen Talenten und inszenierte sich im schwarzgelben Superheldenkostüm als „General Ancap“ (für Anarcho-Capitalist), Herrscher von „Liberland“, dem Land, in dem niemand Steuern zahlt.

Im Wahlkampf erklärte er die Kettensäge zu seinem politischen Symbol, sie soll für Bürokratieabbau und Privatisierung stehen. Den Papst bezeichnete er als „linken Hurensohn“, er selbst hingegen habe den Auftrag für seine politische Laufbahn von Gott empfangen.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.