Trump in China auf dem Cover eines Magazins

China: Kann Donald Trump mit der Herausforderung umgehen?

China: Kann Donald Trump mit der Herausforderung umgehen?

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Hic sunt dragones – hier sind Drachen. So ist es auf einem mittelalterlichen Globus über dem Meer östlich von Asien vermerkt. Ein Satz, der wohl davor warnen sollte, dass die See gefährlich ist oder gar gänzlich unerforscht. Nur wer genug Mut aufbringt, sollte sich dorthin wagen – und wer schlau ist, es nicht einmal versuchen. Der Spruch hat bis heute überlebt. Computernerds verwenden ihn, Filmhelden zitieren ihn. In der Finanzwelt heißt es TBD („There Be Dragons“), wenn das Risiko einer Aktion oder Anlage mit den verfügbaren Informationen nicht abschätzbar ist.

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Es kam nicht ganz unerwartet: Schon im US-Wahlkampf echauffierte sich Donald Trump über die chinesische Währungspolitik, drohte mit hohen Strafzöllen und sagte sogar, dass China aufhören müsse, sein Land zu „vergewaltigen“. Wer glaubte, mit der gewonnenen Wahl sei das populistische Geschrei vorbei, wurde in den vergangenen Tagen eines Besseren belehrt: Unbekümmert warf der designierte US-Präsident das außenpolitische Regelbuch weg, nach dem sich seine acht Vorgänger in den vergangenen 40 Jahren gerichtet hatten.

Donald Trump scheint wild entschlossen, in unbekannte Gewässer vorzudringen. Ganz ohne Not wärmte der 70-Jährige einen Konflikt auf, der zu allseitiger Zufriedenheit als eingefroren galt: Taiwan – eine Insel vor der Küste Chinas, gerade einmal so groß wie die Schweiz, etwas mehr Einwohner als Rumänien. Hierher flüchteten die Nationalisten der Republik China im Jahr 1949, als sie von den Maoisten vom Festland vertrieben wurden.

Es ist äußerst kompliziert, und alle Beteiligten fanden es besser, nicht mehr darüber zu reden.

Taiwan sieht sich seither nicht nur als wahres China, sondern nennt sich auch so: die Republik China. Peking betrachtet sie bis heute als abtrünnig und verfolgt die sogenannte Ein-China-Politik, mit der sie Taiwan, aber auch die Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macau zu einem Land verschmelzen will. Die USA wiederum handeln zwar mit Taiwan und liefern verlässlich Waffen, den Chinesen zuliebe erkennen sie die Regierung aber nicht als rechtmäßig an.

In anderen Worten: Es ist äußerst kompliziert, und alle Beteiligten fanden es besser, nicht mehr darüber zu reden – bis Trump in seinem New Yorker Penthouse zum Telefonhörer griff. Am anderen Ende der Leitung: Tsai Ing-wen, die taiwanesische Präsidentin. Seit 1979 hatte kein US-Präsident mehr offiziell mit einem Staatsoberhaupt der Insel gesprochen. Diplomaten aus aller Welt rätselten daraufhin, ob Trump überhaupt wusste, was er da tat oder ob er einfach ohne Hintergedanken abgehoben hatte. „Ehrlich, das Problem mit Donald ist, dass er nicht weiß, was er alles nicht weiß“, sagte ein Republikaner, der ihm nahe steht, aber nicht namentlich genannt werden wollte, vor Monaten gegenüber dem US-Magazin „The New Yorker“.

In der Vergangenheit hatte die chinesische Führung immer wieder deutlich gemacht, dass sie auf eine Unabhängigkeitserklärung oder Anerkennung Taiwans mit einer Militärintervention reagieren würde. Vor diesem Hintergrund klangen die ersten Protestnoten gegen Trump noch verhalten. Einen „kleinen Trick“ der Taiwanesen nannte der chinesische Außenminster das Telefonat und machte klar, dass er erst einmal abwarten wolle. Der designierte US-Präsident antwortete mit patzigen Anti-China-Tweets. In einem Fernsehinterview mit Fox News erhöhte er am vergangenen Sonntag den Einsatz: „Ich verstehe die ‚Ein-China-Politik‘ vollkommen. Ich weiß nur nicht, warum wir uns daran halten sollten, bevor wir Deals gemacht haben“, sagte Trump. Das Signal ist laut und klar: Nichts soll so sein wie vorher, alles ist möglich.

Glaubt man Graham Allison, wird es wohl Krieg geben, zumindest statistisch gesehen.

In den 1970er-Jahren, unter Richard Nixon und Mao Tse-Tung, begannen die USA und China ihre Beziehungen zu normalisieren. Alle acht US-Präsidenten spielten seither nach demselben Plan: Das Eine-Milliarde-Menschen-Land sollte als schwieriger Partner behutsam in die internationale Ordnung integriert werden – wenn nötig, mit moderatem Druck, aber immer in der Hoffnung, dass freie Marktwirtschaft und Demokratie mit der Zeit auch den Chinesen als attraktivstes Gesellschaftssystem erscheinen würden. Diese Strategie überdauerte selbst schwere Spannungen: das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989, die US-Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad im Jahr 1999, etliche Treffen von US-Präsidenten mit dem von China verachteten Dalai Lama und etliche Schiffsladungen voller Waffen für Taiwan.

Nun kommt Präsident Nummer neun. Und viele zweifeln, ob das gut geht. Glaubt man Graham Allison, wird es wohl Krieg geben, zumindest statistisch gesehen. Der 76-jährige Politikwissenschafter und Harvard-Professor untersuchte lange vor Trumps Wahlerfolg, wie sich mächtige Nationen in den vergangenen 500 Jahren verhielten, wenn sie in einer ähnlichen Situation waren wie die USA und China heute. Das Ergebnis: In zwölf von 16 Fällen endete der Konflikt mit einem offenen Krieg.

Allison nennt es die Thukydides-Falle, ein Verweis auf den griechischen Historiker, der die Kriege zwischen den Stadtstaaten Athen und Sparta dokumentierte. Die Theorie: Wenn eine herrschende Macht – in diesem Fall die USA – sich von einer aufstrebenden Macht – also China – herausgefordert sieht, wird es ernst. Der Aufsteiger tendiere dazu, zu viel zu wollen. Und der Platzhirsch beginne, ängstlich und paranoid zu werden. „Die überragende geostrategische Herausforderung unserer Zeit sind nicht der gewalttätige islamische Extremismus oder ein wiederauflebendes Russland“, schreibt Politologe Allison: „Es sind die Auswirkungen des Aufstiegs Chinas auf die US-geführte internationale Ordnung.“

Kaum ein Land hat einen so rasanten Aufstieg geschafft wie China in den vergangenen Jahren.

Seine pessimistische Metapher sorgte jedenfalls schnell für Unruhe. „In unserer Welt gibt es diese sogenannte Thukydides-Falle nicht“, stellte der chinesische Präsident Xi Jinping bereits vergangenes Jahr bei einem Staatsbesuch in Seattle vorsorglich klar: „Aber sollten große Länder wieder und wieder den Fehler von strategischen Fehlkalkulationen machen, könnten sie eine solche Falle für sich schaffen.“ Wenn die USA nun von einem Mann regiert werden, der China bei jeder Gelegenheit öffentlich als Gegenspieler und Bösewicht vorführt, ist das dann die Falle, die zuschnappt?

Kaum ein Land hat einen so rasanten Aufstieg geschafft wie China in den vergangenen Jahren. In nur einer Generation schob sich der ehemalige Agrarstaat in etlichen Wirtschaftsstatistiken an die Spitze: Im Jahr 1980 belief sich der Wert aller chinesischen Exporte auf gerade einmal sechs Prozent der amerikanischen, im Jahr 2014 hatten sie die USA mit 106 Prozent bereits überholt. In derselben Zeit wuchs die chinesische Wirtschaftsleistung (gemessen in US-Dollar) von sieben Prozent auf rund 60 Prozent der amerikanischen an. Die Währungsreserven Pekings sind heute 28 Mal so hoch wie jene der USA.

Die Vereinigten Staaten, insgesamt noch immer die Nummer eins der Welt, stehen gehörig unter Druck. Fabriken wandern ab, ganze Industrien verlagerten ihre Produktion nach China. Auch deswegen haben mehr als 60 Millionen US-Amerikaner mit Trump einen aggressiven Nicht-Politiker an ihre Spitze gewählt, der gegenüber China betont harte Töne anschlägt. Ist das die Angst der herrschenden Macht vor ihrem ersten Konkurrenten?

Abseits des völlig unnötig vom Zaun gebrochenen Taiwan-Streits muss der designierte US-Präsident nun durch gefährliche Gewässer navigieren, ohne dabei schlafende Drachen zu wecken. Nordkorea bastelt seit Langem an Atomwaffen. Im südchinesischen Meer patrouillieren unzählige Kriegsschiffe zwischen Korallenriffen, die China zur Verteidigung lebenswichtiger Schiffsrouten und Rohstoffvorkommen zu Militärbasen ausgebaut hat. Schon ein kleiner Zwischenfall dort könnte mehr als eine regionale Krise auslösen. Das ist durchaus kein unrealistisches Szenario: Nur wenige Tage nach der US-Wahl ließen die Chinesen einen ihrer Nuklearbomber übungshalber über den umstrittenen Gebieten kreisen.

Doch Rivalen können einander auch weh tun, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern, zum Beispiel mit einem Handelskrieg.

Dass aus diesen Sticheleien in naher Zukunft ein echter Krieg werden könnte, gilt dabei vorerst als sehr unwahrscheinlich. Obwohl die Chinesen seit Jahren im großen Stil aufrüsten, sind sie den US-Truppen bislang noch klar unterlegen. So wurde zum Beispiel der einzige chinesische Flugzeugträger gebraucht aus der Ukraine zugekauft, die US-Armee hat allein im pazifischen Ozean fünf derartige Riesenschiffe stationiert.

Doch Rivalen können einander auch weh tun, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern, zum Beispiel mit einem Handelskrieg. Dass er dazu bereit wäre, hat Donald Trump im Wahlkampf immer wieder bekräftigt. Strafzölle bis zu 45 Prozent werde er einführen, um chinesische Produkte aus dem US-Markt zu drängen, kündigte der designierte Präsident an. Außerdem werde er China gleich am ersten Tag seiner Amtszeit von seinen Beamten als „Währungsmanipulator“ brandmarken lassen. Das von Barack Obama fix und fertig ausverhandelte Freihandelsabkommen Transpazifische Partnerschaft (TPP) will er wieder aufkündigen.

Vieles spricht dafür, dass die ersten zwei Punkte eher leere Drohungen sind. Würde Trump alle chinesischen Waren pauschal um 45 Prozent verteuern, müssten das auch seine Wähler im Supermarkt zahlen – da sind schmerzhafte Vergeltungsmaßnahmen noch nicht eingerechnet. Strafzölle auf einzelne Produkte, mit denen die Chinesen mithilfe von staatlich gefördertem Preisdumping die Märkte überschwemmen wollten (wie zum Beispiel bestimmte Stahlsorten oder Bleche), waren schon unter Obama und George W. Bush üblich. Und dass Peking den Kurs seiner Währung Renminbi beeinflusst, ist ein offenes Geheimnis.

Mit dem TPP-Aus macht Trump seinem Gegenspieler wiederum weniger Probleme als vielmehr ein großes Geschenk: Das Freihandelsabkommen wurde konzipiert, um das Reich der Mitte mit einem Ring US-freundlicher Märkte zu umzingeln. Es war das Kernstück des „Schwenks nach Asien“, den Präsident Obama ausgerufen hatte. Der von den US-Missionen im Nahen Osten frustrierte 44. US-Präsident wollte damit die Energien auf einen Kontinent lenken, in dem die Vereinigten Staaten mit offenen Armen empfangen wurden.

Es scheint, als nehme Peking den designierten US-Präsidenten nicht sonderlich ernst.

Dafür ließ er China mehr oder weniger nach Belieben schalten und walten. Es setzte kaum Schelte, wenn verlassene Sandbänke im Südchinesischen Meer zu voll funktionstüchtigen Militärflughäfen ausgebaut wurden. Seine politische Kraft wandte Obama auf, um Peking zur Unterzeichnung eines Klimavertrags zu bringen, an dem es ohnehin Interesse gezeigt hatte.

Unter dem Parteichef und Präsidenten Xi Jinping begannen die Chinesen, sich mehr und mehr von äußeren Einflussnahmen abzuschotten. Fällt nun TPP, steht der Machtpolitik à la Peking ein Hindernis weniger im Weg. Seit einigen Jahren forciert die Regierung ihr Projekt einer neuen Seidenstraße, mit dem sie Schiffsrouten, Bahnverbindungen und Straßen bis nach Europa ausbauen will. Finanzieren soll all das die Asian International Investment Bank (AIIB), die als Gegenstück zur US-dominierten Weltbank gegründet wurde und in die auch etliche westliche Verbündete der Vereinigten Staaten (darunter Österreich) einzahlen.

Wollte Barack Obama noch mehr Asien, fordert Trump mehr Amerika: Die Nummer eins verlässt das Spielfeld.

Vielleicht liegt darin einer der Gründe, warum Trumps Ankündigungen in China bislang eher besonnen aufgenommen wurden. Es scheint, als nehme Peking den designierten US-Präsidenten nicht sonderlich ernst. Würden sich die beiden Volkswirtschaften tatsächlich voneinander abschotten – wer baut dann die vielen Apple-Handys zusammen? Wer kauft sie? Und woher sollen die billigen Schuhe kommen – oder die T-Shirts?

Dass die Märkte der Nummer eins und Nummer zwei schon heute nahezu untrennbar ineinander verwoben sind, weiß niemand so gut wie Donald Trump selbst: Seine „Trump Organization“ hat einen Kredit über mehrere hundert Millionen Euro bei der Bank of China laufen. Diesen könnte die chinesische Staatsbank wohl ziemlich schnell fällig stellen. Sie mietet außerdem noch rund elf Prozent aller Büros im Trump Tower. Im Jahr 2019 muss der Vertrag neu verhandelt werden. Auch hier könnte der zukünftige US-Präsident dann auf den einen oder anderen Drachen treffen.

Infobox

Nordkorea Nordkorea ist das am meisten abgeschottete Land der Welt. Die Diktatur hat die USA zum Erzfeind erklärt und bastelt an Atombomben. Noch dazu befindet sie sich formal noch im Krieg mit dem US-Verbündeten Südkorea. Die Mithilfe des Nord-Nachbarn China ist für einen US-Präsidenten wichtig, um den notwendigen Druck aufzubauen.

Taiwan Die im Jahr 1949 nach Taiwan geflüchtete Regierung wird bis heute von den USA mit Geld und Waffen unterstützt. Seit 1979 verzichtet Washington aber den Chinesen zuliebe mehr oder weniger auf offizielle Kontakte. Peking sieht den Inselstaat als abtrünnige Provinz und droht in regelmäßigen Abständen mit dem Einmarsch.

Südchinesisches Meer Eine Inselgruppe fern des chinesischen Festlandes, die verschiedene Anrainerstaaten (darunter Taiwan) für sich reklamieren. China beansprucht aus historischen Gründen das gesamte Gebiet für sich, nach geltendem Seerecht steht vieles dagegen. Hier verlaufen bedeutende Seerouten, dazu liegen am Meeresboden wichtige Rohstoffe.

Handel China ist die größte Exportnation der Welt. Im Jahr 2001 trat es der Welthandelsorganisation (WTO) bei, derzeit bemüht es sich dort um den Status als anerkannte Marktwirtschaft. Das würde es anderen Ländern erschweren, die Überproduktion einiger staatlich geförderter chinesischer Betriebe weiterhin mit Strafzöllen zu belegen.

Währungsstreit Es ist ein offenes Geheimnis, dass Peking über Jahre alles tat, um den Kurs seiner Währung Renminbi künstlich niedrig zu halten. Diese Manipulation verbilligt die Exporte, verteuert aber die Importe. Nicht nur US-Experten bemängeln, dass die Chinesen mit unfairen Mitteln agieren, und stellten den Vorwurf des versuchten Währungskrieges in den Raum.