Grasgeflüster

Colorado: Bilanz nach fünf Monaten der Legalisierung von Marihuana

Colorado. Bilanz nach fünf Monaten der Legalisierung von Marihuana

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Bis zu fünf Stunden standen die Menschen in den ersten Jännertagen Schlange, nachdem Colorado zum Jahreswechsel 2014 als erster US-Bundesstaat den Verkauf von Cannabis komplett legalisiert hatte. Die Einnahme von Marihuana auf ärztliches Rezept war hier schon seit dem Jahr 2000 straffrei gewesen. Seit Anfang Jänner darf Gras aber auch zum Freizeitgebrauch erworben werden – an Ausgabestellen, die wie Apotheken und nicht wie versiffte Amsterdamer Coffeeshops aussehen. Voraussetzung: Die Konsumenten müssen mindestens 21 Jahre alt sein, und geraucht werden darf nur in privater Umgebung.

Anfangs war der Andrang so groß, dass einige Ausgabestellen bereits am Nachmittag ausverkauft waren. Doch wie stellt sich die Situation im neuen Kifferparadies Colorado fünf Monate später dar? Wie baut man eine legale Branche mit einem Produkt auf, das vom US-Bundesgesetz weiterhin auf eine Stufe mit Heroin gestellt wird? Und wie groß ist der neue Markt, den es im Schatten der Kriminalität schon lange gibt? Eine Zwischenbilanz in fünf Punkten:

Dominoeffekt

Wie einst die Alkoholprohibition fällt nun in einem Bundesstaat nach dem anderen das Marihuana-Verbot: Neben Colorado und Washington könnte Alaska noch in diesem Jahr der dritte US-Staat werden, in dem Marihuana auch für den privaten Gebrauch gekauft und konsumiert werden darf. Eine Gruppe von Aktivisten konnte dort deutlich mehr als die rund 30.000 benötigten Unterschriften sammeln, um die Abstimmung über ein entsprechendes Gesetz zu erwirken. In 14 weiteren Bundesstaaten werden einschlägige Petitionen gerade diskutiert. Schon jetzt erlauben 20 Bundesstaaten Cannabis in der einen oder anderen Form – meist als Medizin, wobei die Bedingungen unterschiedlich streng sind. Der Bundesstaat New York wird bald der 21. auf der Liste sein.

Land des Lächelns

Als US-Präsident Barack Obama im vergangenen Jänner erklärte, er halte Kiffen nicht für gefährlicher als Alkoholkonsum, hielt sich die Empörung in Grenzen – durchaus erstaunlich in einem Land, das nicht gerade als liberale Hochburg bekannt ist, wenn es um Genussmittel mit Suchtpotenzial geht. Das Mindestalter für den Einkauf von Alkohol liegt in den USA bei 21 Jahren, strenge Rauchverbote gab es in den Vereinigten Staaten lange, bevor sie in Europa eingeführt wurden. Seit einigen Jahren gewinnen die Befürworter der Legalisierung von Marihuana jedoch an Unterstützung. Im vergangenen Oktober sprach sich erstmals eine Mehrheit in Umfragen dafür aus; inzwischen sind es 58 Prozent.

Viel Rauch um viel

Während die einen aus ideologischen Gründen für die Freigabe von Marihuana streiten, ist sie für andere zunächst einmal vor allem eines: ein Geschäft. Der Aktienkurs des Unternehmens Tranzbyte, das in Colorado Marihuana verkauft, hat in diesem Jahr etwa bereits um 2383 Prozent zugelegt. Auch die öffentliche Hand verdient mit: In Colorado fallen auf Cannabis für nicht-medizinische Zwecke insgesamt stolze 25 Prozent Steuern (medizinische: 15 Prozent) an, was die Droge zu einem der höchstbesteuerten Konsumartikel in dem Bundesstaat macht.

In der Hauptstadt Denver gibt es bereits seit Jahren mehr Ausgabestellen für Marihuana zu medizinischen Zwecke als Starbucks-Filialen. Anfang Jänner hatte allerdings nur eine Handvoll davon die Lizenz für den Verkauf für den Freizeitgebrauch. Das und die Vielzahl neuer Kunden führten dazu, dass sich der Preis für die Unze – also die erlaubten 28 Gramm pro Kopf – auf 500 Dollar verdoppelte. Fünf Monate später existieren bereits 75 lizenzierte „Freizeit-Ausgabestellen“ (136 in ganz Colorado, sogenannte „recreational stores“); der Preis hat sich auf 200 bis 350 Dollar pro Unze eingependelt.

Im März wurde in Colorado für den Freizeitgebrauch Cannabis im Wert von 19 Millionen Dollar in Umlauf gebracht. Insgesamt verspricht sich der Bundesstaat aus Steuern plus Konzessionsgebühren 70 Millionen Dollar für das Gesamtjahr 2014. Der Großteil des Geldes ist für den Bau und die Instandhaltung von Schulgebäuden vorgesehen.

Washington vs. Colorado

Selbst mit klarem Kopf sind die Ungereimtheiten zwischen den geltenden Bundesgesetzen und der Rechtslage in den einzelnen Bundesstaaten verwirrend: Auf Bundesebene bleibt Cannabis weiterhin illegal, allerdings hat die Regierung in Washington zugesichert, nicht einzugreifen, solange gewährleistet bleibt, dass Jugendliche nicht an den Stoff kommen. Daraus ergibt sich beispielsweise, dass Marihuana-Anbieter keinen Bankkredit beantragen und kein Konto eröffnen dürfen, da die Geldinstitute sonst fürchten müssen, von Bundesbehörden wegen Geldwäsche belangt zu werden.

Der von der Liberalisierungsidee wenig begeisterte US-Justizminister Eric Holder hat kürzlich erste Richtlinien an Banken ausgegeben, nach denen sie von nun an mit lizenzierten Marihuana-Anbietern zusammenarbeiten dürfen. Die Geldhäuser müssen demnach penibel darauf achten, dass ihre Kunden über die nötigen Lizenzen verfügen und sich an die gesetzlichen Auflagen halten. Außerdem müssen sie regelmäßig Bericht erstatten und „verdächtige Aktivitäten“ melden. Eine Garantie für die rechtliche Unbedenklichkeit von Marihuana-Geschäften wollte die Regierung aber bislang nicht abgeben.

Gefahr der breiten Masse

Vorerst dürfen nur jene Läden eine Lizenz beantragen, die bereits Marihuana für medizinische Zwecke verkaufen. Der Großteil der bereits existenten Ausgabestellen wartet noch immer darauf, dass neben der bundesstaatlichen Lizenz auch die Gemeinde, die das letzte Wort bei der Vergabe der Konzessionen hat, grünes Licht gibt. Der Andrang ist derweil so hoch, dass die Geschäfte mit der Produktion kaum nachkommen. Das Regulierungsdurcheinander führt zu Engpässen beim Angebot, was wiederum den Preis in die Höhe treibt und die Kunden erst recht auf den Schwarzmarkt drängt.

Die größten Bedenken betreffen bis heute die Frage, ob die Legalisierung Jugendliche zum Drogenkonsum animiert und ob man im Straßenverkehr mehr benebelten Autofahrern begegnet. Die Anzahl der bekifften Fahrer in Colorado lässt sich schwer eruieren, da die Polizei diese erst seit Anfang des Jahres separat ausweist: Mit Stand Ende Mai machten sie 1,5 Prozent aller Anzeigen wegen Alkohol oder Drogen am Steuer aus. Die Zahl der Überfälle und Gewaltverbrechen ist laut einem Bericht der „New York Times“ in den ersten fünf Monaten 2014 im Vergleich zu den Vorjahresmonaten um bis zu 4,8 Prozent gesunken. Ein knappes Dutzend Kinder und Jugendliche ist seither nach dem Verzehr von Marihuana-Keksen und -Zuckerln im Krankenhaus gelandet, zwei Menschen starben: Ein Mann sprang nach dem Verzehr von Haschisch-Keksen vom Balkon, ein weiterer soll seine Frau im Rausch erschossen haben. So weit die kurzfristige Entwicklung, denn: Experten weisen darauf hin, dass es mindestens drei Jahre dauert, ehe man eine erste seriöse Bilanz über die Auswirkungen der Legalisierung auf die Kriminalität ziehen kann.