Im Internet tauchen seit Jahren Fotos von österreichischen Waffen auf, die in Kriegsgebieten eingesetzt werden - vor allem Modelle von Glock und Steyr.

Das 19-Millionen-Euro-Rätsel

Österreichische Waffen in Saudi-Arabien

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Am Ende werden es genau 37.165 Stück sein. Ob sie mit dem Flugzeug, dem Schiff oder dem LKW ins Land gebracht wurden, ist nicht vermerkt. In wie vielen Kisten sie verpackt waren und wie lange sie brauchten, um ihr Ziel zu erreichen, bleibt unklar. Fest steht nur eines: die Zahl 37.165. Ein österreichischer Beamter meldete sie an das UN-Waffenexport-Register in der Kategorie selbstladende Pistolen und Revolver: 29.073 Stück für das Jahr 2015 und 8092 für das Jahr 2014.

Es ist eine brisante Spur. Denn die Ware ist für Saudi-Arabien bestimmt -jenes Land, das im Jemen einen Krieg führt; aus dem Waffen in den syrischen Bürgerkrieg geschmuggelt wurden; das systematisch die Menschenrechte verletzt; in dem die Todesstrafe gilt und die Staatsgewalt religiösen Fundamentalismus erzwingt. Es scheint, als könnten sich die heimischen Export-Kontrolleure nicht mehr ernst nehmen, wenn sie in ein solches Land Waffen liefern lassen. Oder ist das alles am Ende nur ein Dokumentationsfehler?

Glocks einfache und widerstandsfähige Pistolen haben den Weltmarkt ähnlich revolutioniert wie in den 1940er- Jahren die russische Kalaschnikow.

Die Daten legen nahe: Hier wurden gute Geschäfte gemacht. Es gibt neben dem UN-Register nur zwei weitere öffentlich zugängliche Quellen, die offizielle Zahlen zu den österreichischen Waffenexporte erfassen: einen EU-Bericht und die Statistik Austria. Nach Brüssel meldeten die Beamten, dass im Jahr 2014 kleinkalibrige Schusswaffen im Wert von rund 19,4 Millionen Euro nach Saudi-Arabien geliefert wurden. Die Wiener Statistiker verzeichneten dieselbe Summe, allerdings aufgeteilt auf 2014 und 2015; von Jänner bis Mai 2016 wurden noch rund vier Millionen Euro an Waffen für Saudi-Arabien vermerkt. Die Rechnungen dazu sind kompliziert, aber eines ist klar: In kurzer Zeit wurden mehr Waffen ins Königreich geliefert als in den sechs Jahren zuvor insgesamt.

Die Causa bleibt an vielen Stellen unklar - nicht nur, weil die österreichischen Behörden laut Gesetz keine Waffenexporte an Länder freigeben dürften, die an Kriegen beteiligt sind, Rüstungsgüter weiterschmuggeln oder sich nicht um die Menschenrechte scheren, sondern auch, weil diese Geschichte exemplarisch für ein Export-Kontrollsystem steht, das sich überlebt zu haben scheint.

Selbst die Frage, ob es sich bei der Lieferung um Pistolen oder Revolver gehandelt hat, ist nicht zweifelsfrei zu klären. Tatsächlich gibt es nur zwei österreichische Unternehmen, die in großem Stil Handfeuerwaffen herstellen: die oberösterreichische Traditionsschmiede SteyrMannlicher, die zwar für ihre Gewehre bekannt ist, aber auch Pistolen fabriziert, und der niederösterreichische Produzent Glock. Seine einfachen und widerstandsfähigen Pistolen haben den Weltmarkt ähnlich revolutioniert wie in den 1940er- Jahren die russische Kalaschnikow.

22.105 Granaten, 379 Granatwerfer und 10.636 Maschinenpistolen waren auf der Liste verzeichnet, die Pilz für die Jahre 2006 bis 2016 bekam.

Hier endet die Spur auch schon wieder. Steyr sagte bereits mehrmals, dass das Unternehmen seit Jahren keine Lieferungen nach Saudi-Arabien getätigt habe. Ein profil-Mail an die Pressestelle von Glock blieb unbeantwortet. Wer versucht, den österreichischen Waffenhandel zu verstehen, stößt auf eine Mauer.

Detaillierte Rüstungsberichte, wie sie in anderen Ländern üblich sind, fehlen; der nationale Report wurde im Jahr 2010 ersatzlos eingestellt. Zahlen werden nur nach langen Umwegen über die EU oder die Vereinten Nationen publiziert. Die zuständigen Ministerien wehren alle Nachfragen höflich mit dem Verweis auf Datenschutz ab. "Österreich ist eines der intransparentesten Länder Europas, wenn es um den Waffenhandel geht", sagt Pieter Wezemann, der als Analyst beim renommierten Stockholm Institute Peace Research Institute (SIPRI) arbeitet. "Selbst die Ukraine oder Rumänien sind besser."

Dass österreichische Markenwaffen in Saudi-Arabien landen, ist nicht ganz neu. Der Grün-Politiker Peter Pilz geht davon aus, dass dadurch österreichisches Recht gebrochen wird. Deshalb wollte er vor Monaten vom Innenministerium (BMI) wissen, was genau und wie viel ins Königreich geliefert wurde. 22.105 Granaten, 379 Granatwerfer und 10.636 Maschinenpistolen waren auf der Liste verzeichnet, die Pilz für die Jahre 2006 bis 2016 bekam. Die Tausenden Pistolen der vergangenen beiden Jahren fehlen darauf jedoch. Eine profil-Anfrage an das BMI blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Der türkische Geheimdienst fand im Jahr 2010 fünf Glocks bei einer Al-Kaida-Zelle, und die US-Armee musste zugeben, dass sie 200 fabrikneue Glocks im Jemen einfach "verloren" hatte.

Die österreichischen Gesetze gelten als überaus streng. Bis zu vier Ministerien prüfen die Anträge, allerdings hinter verschlossenen Türen. Aus welchen Gründen die Beamten eine Lieferung für genehmigungswürdig befinden, eine andere jedoch nicht, bleibt geheim. Niemand erklärt, warum die unbekannten Empfänger in Saudi-Arabien als vertrauenswürdig beurteilt wurden. Auch das gehört zum Rätsel um die 37.000 Pistolen.

Dabei wäre die Liste an Warnsignalen lang genug: Im Jahr 2011 rückte die saudische Armee im benachbarten Bahrain ein, um Demonstrationen gegen das dortige Regime brutal niederzuschlagen. Zwei Jahre später deckte die britische Zeitung "Guardian" auf, dass saudische Waffen systematisch nach Syrien geschmuggelt werden. Im Jahr 2015 schrieb profil, dass in Syrien aufgetauchte Steyr-Gewehre wahrscheinlich aus saudischen Waffenkammern stammen, wo sie seit den 1980er- Jahren gelagert waren. Im selben Jahr tauchten laut mehreren Quellen so viele Steyr-Gewehre im Jemen auf, dass die Preise auf dem Schwarzmarkt in den Keller stürzten.

Dass österreichische Markenwaffen über Hinterhofmärkte in Kriegsgebiete gelangen, lässt sich nur schwer verhindern. Gerade Kleinwaffen wie Pistolen und Gewehre sind anfällig für Diebstahl und Schmuggel. So landeten Glock-Pistolen in den Händen der Terrormiliz "Islamischer Staat". Der türkische Geheimdienst fand im Jahr 2010 fünf Stück bei einer Al-Kaida-Zelle, und die US-Armee musste zugeben, dass sie 200 fabrikneue Glocks im Jemen einfach "verloren" hatte.

Der saudische Waffenhandel funktioniert anders. Das haben Journalisten des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) und Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) vor Kurzem aufgezeigt. Sie beobachteten ein Jahr lang, wie mehrere osteuropäische Regierungen riesige Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien zuließen. Von dort seien Gewehre, Granatwerfer und Munition im Wert von mehr als einer Milliarde Euro an syrische Kämpfer geschmuggelt worden.

Die einjährigen Recherchen der osteuropäischen Journalisten wurden mit Geldern der österreichischen Entwicklungshilfe finanziert.

Möglich macht das eine Systemschwäche: das Endnutzer-Zertifikat. Theoretisch soll mit diesem Papier sichergestellt werden, dass Staaten oder Behörden die gekauften Waffen nur für genau umrissene Zwecke einsetzen und nicht weiterverkaufen. Das Problem: Ist einmal geliefert, wird nicht mehr kontrolliert, ob sich der Käufer auch daran gehalten hat. Konkret heißt das: Die Tausenden österreichischen Pistolen müssen längst nicht mehr in Saudi-Arabien sein. Die hiesigen Behörden würden das wohl nur durch Zufall bemerken, wenn sie beispielsweise auf einem Twitter-Foto auftauchten oder ein Geheimdienstler davon erführe.

Nahezu alle Waffenexportländer der Welt bauen auf dieses Mischsystem aus Zertifikaten und Vertrauen. Nur die USA versuchen, die Spur der Waffen nach der Lieferung weiter zu verfolgen. Deutschland startete im vergangenen Juni ein ähnliches Pilotprojekt. "Für Post-Shipment-Kontrollen gibt es in Österreich keine rechtliche Basis", erklärt ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums.

Dass der Milliarden-Schmuggel der Osteuropäer mit Saudi-Arabien am Ende bekannt wurde, ist - zumindest ein wenig - den sonst so verschwiegenen Österreichern zu verdanken: Die einjährigen Recherchen der osteuropäischen Journalisten wurden mit Geldern der österreichischen Entwicklungshilfe finanziert.