David Frum: George W. Bushs ehemaliger Redenschreiber im Interview

David Frum, ehemaliger Redenschreiber von George W. Bush, über dessen Bruder und Präsidentschaftskandidaten Jeb Bush und den "politischen Selbstmord" der Republikaner.

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profil: In eineinhalb Jahren wird Barack Obama als US-Präsident abtreten. Der Kampf um das Weiße Haus zwischen Demokraten und Republikanern hat bereits begonnen. Was wird am Ende den Ausschlag geben? David Frum: Die Bedingungen sind bei diesen Wahlen ganz andere als bei jenen im Jahr 2012. Zum einen erleben wir eine langsame, aber stabile Erholung der US-Wirtschaft. Das ist sicherlich ein Vorteil für die regierenden Demokraten. Zum anderen gibt es aufgrund der instabilen politischen Weltlage ein erhöhtes Sicherheitsrisiko für die USA -was wiederum den oppositionellen Republikanern in die Hände spielt.

profil: Sie sind einer der wenigen verbliebenen moderaten Republikaner und ein scharfer Kritiker der rechtsradikalen Tea-Party-Bewegung. Im profil-Interview vor den Präsidentschaftswahlen 2012 meinten Sie, dass die Republikanische Partei langsam, aber sicher zur Vernunft finden werde. Wie ist die Lage der Grand Old Party heute? Frum: Der Prozess der Selbstheilung der Partei dauert immer noch an. Die Republikanische Partei ist noch lange nicht dort angelangt, wo sie sein sollte, um bei den Präsidentschaftswahlen wirklich wettbewerbsfähig zu sein. Gleichzeitig hat die Partei in den vergangenen vier Jahren große Schritte in Richtung Normalisierung gemacht.

Das aggressive, zum Teil rassistisch aufgeladene Wüten gegen die US-Institutionen wird seltener

profil: Inwiefern? Frum: Sehen Sie sich doch die Kandidaten an, die sich für die republikanische Präsidentschaftskandidatur bewerben: Das sind weitgehend seriöse Politiker, die nichts mit den paranoiden Hassreden früherer Kandidaten gemein haben. Diese Kandidaten setzen ernstzunehmende politische und wirtschaftliche Agenden, die für die Amerikaner im Allgemeinen relevant sind und nicht nur für eine kleine, radikale Wählerschicht. In ihren Kampagnen sprechen sie die Bedürfnisse der Mittelklasse und der unteren sozialen Schichten an.

profil: Ist die Zeit der Tea Party also vorbei? Frum: Ja, langsam, aber sicher. Das aggressive, zum Teil rassistisch aufgeladene Wüten gegen die US-Institutionen wird seltener. Überhaupt gibt es mehr Vielfalt unter den Kandidaten. Mit Carly Fiorina ist beispielsweise eine sehr kompetente Frau unter den Herausforderern. Fiorina hat sich in der Privatwirtschaft einen sehr guten Ruf erarbeitet. Mit Ben Carson geht wiederum ein Afroamerikaner ins Rennen, der zugleich ein anerkannter Mediziner ist. Beide werden sich letztlich wohl nicht als Spitzenkandidaten durchsetzen, aber sie stehen stellvertretend für eine positive Entwicklung der Grand Old Party. Mit den Idiotien einer Michelle Bachmann oder einer Sarah Palin haben diese Leute nichts zu tun.

profil: Und dennoch sind Sie nicht zufrieden mit dem Zustand der Partei. Frum: Es steht noch viel Arbeit an, der Selbstheilungsprozess erfordert Zeit und Geduld. Im Moment begehen die Republikaner vor allem einen wesentlichen Fehler, der sie meiner Meinung nach den Wahlsieg kosten dürfte: das sture Festhalten am Widerstand gegen die allgemeine Krankenversicherung, die mit Abstand größte innenpolitische Leistung der Obama-Regierung. 2012 war Obama-Care zwar bereits per Gesetz beschlossen, aber noch nicht umgesetzt. Jetzt ist die Krankenversicherung -mit allen Problemen, die es noch zu bewältigen gilt -tatsächlich gültig. Das wiederum heißt: Zwischen 16 und 23 Millionen Amerikaner haben heute dank Obama eine Krankenversicherung.

Eine allgemeine Krankenversicherung zu haben, ist etwas Großartiges.

profil: Doch die Republikaner wollen sie wieder abschaffen. Frum: Es ist Parteilinie, und niemand schert aus. Alle republikanischen Präsidentschaftskandidaten wollen Obama-Care rückgängig machen, was einem politischen Selbstmord gleichkommt. Jeder Politiker, der eine Wahl gewinnen möchte, kann sich nicht ernsthaft gegen eine allgemeine Krankenversicherung aussprechen und sich damit bis zu 23 Millionen Amerikaner zum Feind machen. Es gibt sehr viel berechtigte Kritik an der Obama-Regierung, aber eine allgemeine Krankenversicherung zu haben, ist etwas Großartiges. Mit ihrer Radikalopposition werden die Republikaner auch im kommenden Jahr kaum Chancen auf einen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen haben.

profil: Die Republikaner würden dann zum dritten Mal in Folge verlieren? So etwas gab es seit fast 70 Jahren nicht mehr. Frum: Es gibt immer historische Phasen, in denen eine Partei wesentlich stärker ist als die andere - auch dann, wenn zu diesem Zeitpunkt gerade Repräsentanten der jeweils anderen Partei im Weißen Haus sitzen. Im Moment haben die Demokraten das Sagen.

profil: Sie meinen: seit dem Sieg von Barack Obama 2008? Frum: Nein, viel früher. Blicken wir kurz zurück: Zwischen Roosevelt (1933-1945) und Lyndon B. Johnson (1963-1969) waren die Demokraten die dominierende Partei. Dann setzte ein republikanisches Zeitalter ein, das von Richard Nixon (1969-1974) bis George Bush senior (1989-1993) andauerte. Seit Bill Clinton haben wiederum die Demokraten die Oberhand. Es gibt immer historische Zufälle, die solche Phasen auf den Kopf stellen. Nichts ist also unmöglich, doch es wird für die Konservativen auch diesmal sehr schwierig.

profil: Mehrere Polizeiübergriffe gegen Schwarze, Massenproteste bis hin zum Massaker in Charleston: Anders als in Europa kämpfen die USA derzeit weniger mit wirtschaftlichen als mit sozialpolitischen Problemen. Wie wird sich das auf den Wahlkampf auswirken? Frum: Die Demokraten haben potenziell viel mehr Wähler als die Republikaner. Aber sie haben ein Problem: Es fällt ihnen viel schwerer, ihre Wähler zu mobilisieren. Zwischen 2008 und 2012 hat Obama knapp drei Millionen Stimmen verloren, dennoch hatte er genügend Rückhalt für einen Sieg, was vor allem an den schwarzen Wählern lag: 1996 stieg die Zahl der schwarzen Wähler rasant, 2008 waren die Zahlen auf einem neuen Höhepunkt und blieben auch 2012 auf einem sehr hohen Level. Die Frage ist nur: Wird Hillary Clinton, die wahrscheinliche Kandidatin der Demokraten, die schwarzen Wähler mobilisieren können, wie das Barack Obama geschafft hat? Ich habe da meine Zweifel. Sie müsste viel klarere Worte zu den aktuellen Problemen finden.

profil: Wie beurteilen Sie Clintons bisherigen Wahlkampf? Frum: Hillary tritt heute viel linker auf als noch 2008, wo sie für kulturellen Konservativismus und einen harten außenpolitischen Kurs eintrat. Sie attackierte Obama offensiv und stellte ihn als einen außenpolitischen Naivling dar. Sie war damals die Kandidatin der Weißen und der Arbeiterklasse. Doch in den vergangen Jahren sind die Demokraten weiter nach links gerückt und Hillary passt sich diesem Status quo an.

profil: Wie stehen die Amerikaner heute zu ihr? Frum: Ich denke, dass die Stiftungen der Familie Clinton noch großes Thema in diesem Wahlkampf werden. Die Art und Weise, wie Bill und Hillary ein Milliardenvermögen gemacht haben, gefällt vielen Amerikanern nicht.

profil: Hillary Clintons wahrscheinlicher Gegner im republikanischen Lager heißt Jeb Bush. Sie waren einst Redenschreiber von George W. Bush und kennen ihn auch persönlich. Inwiefern unterscheidet sich George W. von seinem jüngeren Bruder Jeb Bush? Frum: Ich denke nicht, dass die Unterschiede zwischen den beiden wirklich groß sind.

Für Einwanderung zu sein, ist im gesellschaftlichen Sinne eine nicht unbedingt linke Position

profil: Tatsächlich? In Europa herrscht oft der Eindruck, Jeb sei der wesentlich liberalere von beiden, weil er etwa eine offene Einwanderungspolitik verfolgt. Frum: Das ist ein Irrtum, dem viele erliegen. Wer für eine liberale Migrationspolitik eintritt, gilt umgehend als Moderater. Was dabei vergessen wird: Migranten sind sehr arme Leute, sie sind daher billige Arbeitskräfte, die den Unternehmen helfen. Für Einwanderung zu sein, ist daher im gesellschaftlichen Sinne eine nicht unbedingt linke Position. Die berühmten Koch-Brüder - zwei Ölmagnaten und republikanische Hardliner - treten etwa für eine liberale Einwanderungspolitik ein - so auch Jeb Bush und früher George W. Bush.

profil: Was haben die beiden Brüder sonst noch gemeinsam? Frum: Beide sind Vertreter des "Compassionate Conservatism", was bei George W. Bush aufgrund der Ereignisse von 9/11 schnell in Vergessenheit geriet. Jeb Bush setzt sich etwa für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein und organisiert regelmäßig Charity-Events - das war auch George W. Bush ein wichtiges Anliegen. Beide sind gesellschaftlich Konservative, die einen sehr moderaten Sprachstil pflegen. Erinnern wir uns: George W. Bush wurde 2000 als Alternative zu Newt Gingrich gewählt, weil er als gemäßigter galt, dasselbe gilt auch für Jeb Bush.

profil: Mögen die Amerikaner Jeb Bush? Frum: Jeb Bush hat - wie Hillary Clinton auch - zunächst einen großen Startvorteil: Beide haben bekannte Namen und verdanken ihre Position den Familienbeziehungen. Beide haben beste Beziehungen zu den reichsten Amerikanern, die ihre Kampagnen unterstützen werden. Und dennoch ist der Name Bush auch eine Last, weil George W. Bush wegen des Desasters im Irak und Hurrikan Katrina noch immer in schlechter Erinnerung ist. Jeb ist also viel damit beschäftigt, sich für die Politik seines älteren Bruders zu rechtfertigen.

profil: Wir wollten Sie noch um eine Wahlprognose bitten, aber das haben Sie ja bereits gemacht: Die Demokraten werden auch 2016 das Weiße Haus erobern. Frum: Sie sind die klaren Favoriten. Dennoch: Die Republikaner haben kommendes Jahr viel bessere Chancen als 2008 und 2012. Und wie schon gesagt: Es gibt immer historische Zufälle, die historische Trends auf den Kopf stellen.

Zur Person

Frum, 55, verfügt über die kanadische und die US-Staatsbürgerschaft. Er war einer der Redenschreiber des früheren US-Präsidenten George W. Bush, von ihm stammt der Kampfbegriff der "Achse des Bösen". Er gilt als Kritiker der erzkonservativen Tea Party und der Nähe der Republikaner zum TV-Sender Fox News.