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Deutscher Botschafter Beste: "Irgendwann kommt alles raus"

Der deutsche Botschafter in Wien und ehemalige "Spiegel"-Journalist Ralf Beste über das Wechselspiel zwischen Politik und Presse und seine Entdeckung der österreichischen Sprache.

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INTERVIEW: MARTIN STAUDINGER UND SIOBHÁN GEETS

profil: Wie nehmen Sie Österreich abseits der in Deutschland gängigen Klischees wahr?
Beste: Ich hatte eigentlich relativ wenig Klischees im Gepäck, als ich nach Österreich gekommen bin, insofern musste ich auch nicht viele über den Haufen werfen. Ich nehme Österreich als ein wohlhabendes Land, ein schönes Land und ein stolzes Land wahr.

profil: So stolz, wie es eigentlich seiner Größe entspricht? Nimmt sich Österreich nicht manchmal wichtiger, als es eigentlich ist?
Beste: Das oder Ähnliches höre ich hier immer wieder. Eine Frage, über die ich viel nachdenke, lautet tatsächlich: Wie groß ist Österreich eigentlich?

profil: Und?
Beste: Ein Land, das gemessen an seiner Wirtschaftskraft EU-weit die Nummer neun, weltweit Nummer 27 und damit größer als Ägypten, Nigeria, Iran oder Südafrika ist, muss schon mit einigem Understatement gesegnet sein, um sich als klein zu bezeichnen.

profil: Gemessen an der Bevölkerungszahl ist Österreich mit seinen knapp neun Millionen Einwohnern kleiner als einige deutsche Bundesländer-Bayern nebenan hat zwölf Millionen.
Beste: Ist das klein? Luxemburg ist ein kleines Land, Slowenien vielleicht auch. Ich habe bis jetzt noch keine Antwort darauf, warum sich Österreich immer als kleines Land betrachtet. Es ist größer, als sich die meisten Österreicher zugestehen.

profil: Was die Bedeutung Österreichs für unrühmliche Entwicklungen wie den Aufstieg des Rechtspopulismus betrifft, würden wir Ihnen sogar zustimmen.
Beste: Das Österreich, das ich jetzt erlebe, spiegelt wenig von dem wider, was Sie nahelegen. Ich habe schon den Eindruck, es hier mit einem weltoffenen Land zu tun zu haben.

profil: Haben Sie trotzdem manchmal den Eindruck, Österreich nicht zu verstehen? Wir denken an den alten Satz von Karl Kraus, demzufolge es die gemeinsame Sprache ist, die uns von den Deutschen trennt.
Beste: Den Satz kennt fast jeder, und er ist immer für einen Lacher gut. Aber seine Dimensionen werden mir ehrlich gesagt erst schrittweise klar. Besonders schwierig finde ich dies: Wir glauben, dasselbe zu meinen, weil wir dieselben Wörter verwenden. Dabei ist das manchmal nur eine Illusion von Identität. Zum Beispiel: Wenn die Österreicher "Deutsches Eck" sagen, meinen sie die Straßenverbindung zwischen Salzburg und Tirol, die über deutsches Staatsgebiet führt. Die Deutschen hingegen meinen die Mündung der Mosel in den Rhein. Und beide wissen oft nicht einmal, dass sie verschiedene Sachen meinen.

"Schmäh ist auch so ein Wort, das sich mir nicht ganz erschließt. "

profil: Gibt es Wörter, an denen Sie immer noch scheitern?
Beste: Das Wörtchen "eh" zum Beispiel. Es scheint viele Funktionen zu haben, die ich nicht einmal ansatzweise nachvollziehen kann. Wir haben das Wörterbuch beim Zeitungslesen auf dem Frühstückstisch, und wenn etwa "Haftlmacher" in einem Kommentar steht, schlage ich nach.

profil: Kennen Sie die schöne Definition von Wiener Schmäh?
Beste: Schmäh ist auch so ein Wort, das sich mir nicht ganz erschließt. Es heißt wohl "Witz".In Deutschland würde man es auch mit "Charme" verbinden. Aber ich habe den Eindruck, so ist es nicht gemeint.

profil: Böse gesagt: Wiener Schmäh besteht zu zehn Prozent daraus, witzig zu sein, und zu 90 Prozent daraus, Leute zu beleidigen, ohne dass sie es merken. Man kann sich auf vielen Ebenen missverstehen.
Beste: Nach Gesprächen mit Österreichern schwingen öfter Sätze nach, bei denen ich mir denke: Du hast es jetzt auf der ersten Ebene verstanden. Aber hast du auch kapiert, was er eigentlich damit sagen wollte?

profil: In der jüngeren Vergangenheit hat sich Österreich auf EU-Ebene in unterschiedliche Ecken hineinreklamiert: Mal in die Visegrád-Gruppe, zuletzt zu den "sparsamen Vier". Wo steht es aus deutscher Sicht im EU-Kontext?
Beste: Wir sehen Österreich als mittelgroßes, wohlhabendes, stark exportorientiertes Industrieland in zentraler europäischer Lage, das ein hohes Interesse daran hat, diese Position auch in seiner Politik zu spiegeln. Auch im Bewusstsein, davon zu profitieren, wenn es seinen Nachbarländern gut geht, und andersherum. Da gibt es viele Ähnlichkeiten zu Deutschland. Dass Österreich konsens-und einigungsbereit ist, hat es ja immer wieder gezeigt; am Ende auch beim vergangenen EU-Gipfel.

"Viele Journalisten fragen mich, wie unzufrieden ich mit österreichischen Medien bin, und ich muss immer sagen: Ich bin eigentlich zufrieden."

profil: Wir hatten eher den Eindruck, Österreich ist alles andere als konsensbereit: Die Regierung hat - gegen den Ratschlag vieler Wirtschaftsfachleute - nicht darauf geschaut, dass es Italien gut geht.
Beste: Im Einzelnen kann das die Regierung selbst am besten erklären. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass Österreich versucht, eine Einigung zu verhindern. Dass sie andere Schwerpunkte gesetzt hat, müssen wir hinnehmen, weil auch wir unsere Position teilweise geändert haben und nicht erwarten können, dass jeder das gleichermaßen tut. Und ich glaube, dass die Motive der österreichischen Bundesregierung - etwa den Kostenrahmen zu halten-absolut legitim waren: Durch den Wegfall des Vereinigten Königreichs hat sich in der Machtbalance der EU einiges geändert, das betrifft auch Österreich. Dass man in dieser Situation versucht, seine eigenen Interessen zu verfolgen, ist erst einmal niemandem vorzuwerfen.

profil: Man könnte auch sagen: Österreich spielt jetzt Little Britain: Es will höhere Rabatte; stemmt sich gegen mehr Integration; verweigert sich in Bereichen wie etwa der Verteilung von Flüchtlingen ...
Beste: Österreich sagt klar, was es möchte und was nicht. Aber wir sind nicht diejenigen, die Noten dafür verteilen.

profil: Wie nehmen Sie die österreichische Medienszene wahr? Dinge wie die Medienförderung müssen für jemanden aus einem anderen Land ja bizarr wirken.
Beste: Viele Journalisten fragen mich, wie unzufrieden ich mit österreichischen Medien bin, und ich muss immer sagen: Ich bin eigentlich zufrieden. Ich lese gerne österreichische Zeitungen. Und dass es hier keine "New York Times" gibt, liegt vielleicht daran, dass es eben nur eine "New York Times" gibt. Ich schätze den Ehrgeiz der österreichischen Journalisten, die sich sagen lassen wollen, dass ihre Medien viel besser sein könnten, aber ich kann da nicht meckern.

profil: Das profil feiert heuer sein 50-jähriges Bestehen. Was ist Ihr profil-Moment?
Beste: Mein profil-Moment war, als ich letzten Herbst auf dem Weg zu einem Termin in Oberösterreich das Sonderheft zum 30. Jahrestag des Mauerfalls durchblätterte. Das war ein sagenhaft gutes Heft: gut kuratiert, tolle Texte. Der Schönste war von Eva Linsinger über Wien als "tote Stadt" vor 30 Jahren, von dem ich sehr viel gelernt habe über das Aufblühen dieser Metropole nach dem Fall des Eisernen Vorhangs.

profil: Sie waren lange genug selbst Journalist, unter anderem für den "Spiegel": Was unterscheidet die Art und Weise, wie man als Journalist und als Diplomat berichtet?
Beste: Berichte zu schreiben, ist nur eine der vielen Aufgaben eines Diplomaten. Dabei hat man deutlich weniger Leser. Aber es kommt dort wie da auf eine klare Analyse und Nachvollziehbarkeit an.

"Journalisten und Diplomaten kennen denselben Zielkonflikt: Get it first, but get it right first - sei schnell, aber sei vor allem zuverlässig."

profil: Aber man muss nicht so zuspitzen.
Beste: Es gibt vielleicht mehr Raum für Differenzierung, weil man auch einen viel exklusiveren Leserkreis hat.

profil: ... der vermutlich auch höhere Standards setzt, was Akkuratesse betrifft.
Beste: Vermutlich. Aber man schreibt auch nicht im luftleeren Raum, denn die Medien werden ja auch gelesen. Und das prägt den Erwartungshorizont.

profil: Ist es oft so, dass man ganz anders berichtet als die Medien - möglicherweise auch aufgrund besserer Quellenlage?
Beste: Journalisten und Diplomaten kennen denselben Zielkonflikt: Get it first, but get it right first - sei schnell, aber sei vor allem zuverlässig. Und wenn es darum geht, ist die Richtigkeit in der Diplomatie nochmals wichtiger. Da hilft es, dass man nicht der manchmal halsbrecherischen Zeitkonkurrenz wie im Journalismus ausgesetzt ist.

profil: Kommt es vor, dass Ihre Einschätzung der Lage eine andere ist als die der Medien?
Beste: Klar - aber es ist ja auch nicht so, dass alle Medien dieselben Einschätzungen hätten. Ein Vorteil ist, dass wir die Einschätzung der Medien mitlesen können, die Medien unsere aber umgekehrt nicht. Was ich schreibe, würde man in moderner Mediensprache als eine Art exklusiven Informationsdienst für den Kreis meiner Regierung bezeichnen.

profil: Kommt es vor, dass Sie lesen, was Journalisten in Vorgänge hineininterpretieren - und sich denken: Du meine Güte, es ist doch alles viel einfacher, als ihr glaubt.
Beste: Auch manche Journalisten glauben gerne an Verschwörungen. Wenn man denkt, dass auf staatlicher Ebene alles immer bis ins Letzte diskutiert und strategisch durchdacht ist, dann muss ich sagen: Schön wär's. Aber der Glaube daran ist letztlich auch nur normal: Die Vorstellung, dass staatliche Akteure alles immer drei Züge im Voraus wissen, ist irgendwie romantisch-und führt dann zur Empörung darüber, wenn etwas nicht nach Plan läuft.

profil: Nerven Journalisten eigentlich, wenn man auf der anderen Seite steht?
Beste: Nö.

profil: Eine sehr diplomatische Antwort.
Beste: Im Gegenteil: Eine sehr klare, wenn auch nicht die erhoffte. Ich sehe den Journalismus immer noch mit gewisser Empathie - auch im Bewusstsein, dass sich viele Produktions- und Arbeitsbedingungen doch eher verschlechtert haben. Deswegen werfe ich Journalisten manches auch nicht vor: Mir ist klar, dass sie oft unter Bedingungen arbeiten, mit denen nicht jeder klarkommen würde.

profil: Der zunehmende Einfluss von Social Media macht die Arbeit nicht einfacher. Kürzlich hat eine Meinungsredakteurin der "New York Times" gekündigt - unter anderem mit der Begründung, dass Twitter zwar nicht im Impressum stehe, aber zur eigentlichen Chefredaktion geworden sei, also zur Instanz, die über die Berichterstattung entscheidet.
Beste: Die Relevanz von Social Media ist eine Angelegenheit, die klassische Medien-wie andere Institutionen auch-eigentlich stärker in der Hand haben, als sie glauben. Letztlich entscheiden sie mit darüber, ob ein Thema den Sprung aus den sozialen in die klassischen Medien schafft und durch diese Adelung ein Eigengewicht entwickelt - oder ob es oft genug bei einem Sturm im Wasserglas bleibt. Man muss sich nicht jedem Urteil aus sozialen Medien unterwerfen.

profil: Es scheint, dass viele Institutionen-Universitäten, große Medien - genau das tun: sich dem Druck von Social Media zu unterwerfen. Das führt zur bizarren Situation, dass mit Social Media alle ein Tool in der Hand haben, um ihre Meinung zu äußern - und dass viele gleichzeitig nicht wagen, das zu tun, weil sie Konsequenzen fürchten müssen.
Beste: Interessant an der Debatte um die Meinungsfreiheit ist für mich: Früher blieben manche Meinungsäußerungen auf den Freundeskreis beschränkt - es gab ja auch gute Gründe, gewisse Dinge nur im Privaten zu sagen und nicht in aller Öffentlichkeit. Wenn man seine Meinung heute auf Social Media kundtut, ist es einigermaßen naiv, zu erwarten, dass sie dennoch als privat behandelt wird.

profil: Es gibt aber immer wieder Fälle, in denen Institutionen wie Universitäten Leute für Meinungsäußerungen sanktionieren, die nicht einmal besonders skandalös oder gar extremistisch sind. Es kann schon reichen, dass ein Social-Media-Mob Sanktionen verlangt.
Beste: Aber wer ist verantwortlich für diese Nervosität? Ich würde sagen, die Institutionen selbst sind es auch. Auch ein sogenannter Social-Media-Mob kann eine Uni zu nichts zwingen. Ich habe neulich gelesen, man solle die Forderungen auf Twitter analysieren-und dann das Gegenteil tun. Als Denkanstoß finde ich das durchaus nützlich.

"Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass in der Politik alles ganz anders läuft, als man von außen sieht."

profil: Wären Sie gerne noch mal Journalist?
Beste: Nicht zwingend. Ich glaube, es ist in unseren Breiten auch recht unüblich, in den Journalismus zurückzugehen, wenn man mal raus war. Es gibt eine Selbstwahrnehmung des Berufsbildes, die etwas von einem Orden hat. Wer den verlässt, kehrt nicht zurück-schon gar nicht aus der Politik.

profil: Der Seitenwechsel wird einem also nicht ganz verziehen. Ist das gut so?
Beste: Ich war mal Pressesprecher in einem Landesministerium und bin dann in den Journalismus zurückgewechselt. Zu diesem Zeitpunkt war mir selbst nicht richtig klar, wie das gesehen werden könnte. Mir persönlich hat der-mittlerweile wiederholte-Seitenwechsel extrem viel an neuen Eindrücken, Ideen und Erfahrungen gebracht.

profil: Was zum Beispiel?
Beste: Dass ich erfahren hatte, mit welchem Wasser in Politik und Verwaltung gekocht wird - und andersherum den Druck kenne, unter dem Artikel oder Überschriften entstehen und manchmal auch misslingen.

profil: Hat der Journalismus die Fähigkeit, Macht wirklich zu beschreiben-oder wird das durch seinen begrenzten Einblick verhindert?
Beste: Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass in der Politik alles ganz anders läuft, als man von außen sieht. Das ist auch ein Vorteil der demokratischen Politik und der Kontrolle durch die Medien - irgendwann kommt alles raus.

profil: Sie sehen nicht die Gefahr, dass man Verbindlichkeiten mitnimmt, wenn man die Seiten wechselt?
Beste: Ich kann mich nicht erinnern, dass mich das eingeschränkt hat, im Gegenteil. Insofern wäre es günstiger, wenn Seitenwechsel stattfinden und sich der Journalismus daran beteiligt. Journalisten sind oft zielorientierte und produktive Personen, die etwas einzubringen hätten-aber auch etwas zu lernen. Es wäre schon kurios, wenn ausgerechnet der Journalismus als einzige Branche nicht von Quereinsteigern profitierte. Also: Ja zum Wechsel, aber gewisse traditionelle Vorbehalte muss man einfach respektieren.