Norbert Hofer, Alexander Gauland, Alice Weidel und Heinz-Christian Strache bei einem Treffen vor dem Wahlherbst in Wien.

Deutschland: Wie viel FPÖ steckt in der Rechtspartei AfD?

Die Rechtspartei Alternative für Deutschland sitzt seit einem halben Jahr im Deutschen Bundestag und wünscht sich schwarz-blaue Verhältnisse herbei. Wie viel FPÖ steckt in der AfD?

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In die Gemäuer am Berliner Platz der Republik 1 ist ein neuer Geist eingezogen, der nicht allen Deutschen geheuer ist. Verkörpert wird er von 82 Männern und zehn Frauen, die eine Zeitenwende eingeläutet haben. Sie marschieren geschlossen in dunklen Anzügen oder Kostümen durch die Gänge und verteilen sich über 13 Sesselreihen, ganz rechts vom Rednerpult im Plenarsaals des Bundestages aus gesehen.

Über die Redner anderer Parteien lachen sie lauthals und ostentativ, ihren Fraktionskollegen applaudieren sie euphorisch. Wenn sie am Wort sind, sprechen sie vom "deutschen Volk" und jenen, die es bedrohen. Sie wollen nicht weniger als das Land umkrempeln, es vom Establishment befreien, von den Linken und allen, die ihrer Meinung nach nicht dazugehören. Vieles in ihrer Heimat passt ihnen nicht, aber seit Kurzem gibt es ein Musterland, in dem in ihren Augen alles besser ist.

"Österreichs Regierung packt die Probleme an."

"Österreich macht es vor."

"Das will ich auch für Deutschland!"

"Wann endlich auch bei uns?!"

So steht es in einigen Presseaussendungen und Facebook-Postings, welche die Alternative für Deutschland (AfD) veröffentlicht hat, seit sie vor einem halben Jahr ins deutsche Parlament eingezogen ist. Bejubelt wird darin so manches, das die österreichische Regierung - und dabei vor allem die FPÖ - vorschlägt: Kopftuchverbot in Kindergärten, weniger Geld für Asylwerber, keine Kindergeldzahlungen an EU-Ausländer. Auf einem PR-Bild ist AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzender Alexander Gauland vor einer österreichischen Fahne zu sehen, auf einem anderen das österreichische Parlament.

Zwischen Berliner Bundestag und Wiener Nationalrat entwickeln sich seit einem halben Jahr starke rechtspopulistische Bande. Die AfD kam bei den Bundestagswahlen auf rund 13 Prozent und zog zum ersten Mal in ihrer Geschichte ins Hohe Haus ein. Die österreichische FPÖ landete bei rund 26 Prozent und sitzt nun in der Regierung. Die Österreicher rekrutieren ihr Personal aus Burschenschaftern und Deutschnationalen, die immer wieder schwarz-rot-goldene Fahnen schwenken. Die Deutschen wiederum schmücken sich gern mit Rot-Weiß-Rot.

Was eint die deutschen Rechten mit den Österreichern? Wo lernen sie voneinander? Wie viel FPÖ steckt schon jetzt in der AfD?

I. Lieblingsfarbe: Blau

Daniel Tapp zögert nicht lange, wenn man ihn fragt, ob Österreich ein Vorbild sei. "Auf jeden Fall", sagt der AfD-Funktionär: "Wir beobachten den Weg der FPÖ sehr genau. Die österreichische Regierung könnte ein Modell für die Bundesrepublik sein." Die Umstände machen es einfach, sich miteinander auszutauschen: Gleiche Sprache, gleiche Themen, gleiche Milieus -und auch die Wege sind nicht allzu lang, die Grenze ist nah. "Die AfD steckt aber noch in den Kinderschuhen", sagt Tapp: "Die FPÖ ist eine professionalisierte Partei mit einer sehr langen Geschichte. Da können wir uns in vielen Bereichen ein Beispiel nehmen."

Tapp kennt sowohl die FPÖ als auch die AfD von innen. Vor mehr als zehn Jahren kam der Deutsche zum Studium nach Wien, schrieb seine Diplomarbeit in Politikwissenschaften über die Freiheitlichen und heuerte nach einer Zwischenstation im blauen Bildungsinstitut bei der damaligen Parlamentarierin Barbara Rosenkranz an. Heute arbeitet er als Pressesprecher für Alice Weidel, neben Gauland die zweite Spitzenkandidatin, Bundessprecherin und Fraktionsvorsitzende der AfD.

Seine Parteikollegen holen sich oft Ezzes bei ihm. "Du kennst ja die FPÖ. Das sind doch tolle Beispiele, so professionell", schwärmen sie, wie Tapp berichtet. "Die AfD bereitet jetzt einen Newsroom vor. Da haben wir viele Anleihen von FPÖ TV genommen, das von uns sehr positiv beäugt wird." So wie ihre österreichischen Gesinnungsgenossen stellen sich auch die deutschen Rechtspopulisten gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in dem sie den "kranken Geist der 68er" wittern, wie es ein AfD- Abgeordneter in einer Bundestagsrede ausdrückte. Auch den Zeitungen unterstellen sie, die Bevölkerung bewusst zu täuschen und zu manipulieren.

Deshalb produzieren die Rechtsparteien selbst bunte Facebook-Bildmontagen, die AfD-Fraktion tweetet, was das Zeug hält, postet emsig in rechten Blogs und Facebook-Gruppen. Daraus entsteht das Potpourri einer Gegenmeinungsszene, in der eigene politische Positionen genauso Platz finden wie gängige Verschwörungstheorien -zum Beispiel jene um den ungarischstämmigen jüdischen Milliardär George Soros, der von AfD und FPÖ verdächtigt wird, die gesamte Migrationsbewegung des Jahres 2015 ausgelöst zu haben, um die Bevölkerung Europas auszutauschen.

II. Ein neuer Stil

Werner Patzelt wundert es nicht, dass sich unter FPÖ- wie AfD-Leuten nicht nur krude Theorien wie jene über Soros, sondern auch politische Anliegen nahezu ident wiederfinden. "Wer in der rechtspopulistischen Szene aktiv ist, war lange Zeit ein Außenseiter", sagt der Deutsche, der an der TU Dresden als Politikwissenschafter arbeitet und sich mit AfD und der rechten Protestbewegung Pegida beschäftigt: "Da orientiert man sich an wenigen Leuten als Redner und Fürsprecher."

Bei beiden Parteien drehe sich vieles um Themen, die ihrer Meinung nach vom Mainstream viel zu lange ignoriert wurden: etwa die Angst vor Globalisierung und Europäisierung oder die Aushöhlung der nationalstaatlichen Demokratie und der Sozialsysteme. Mit rechter Logik lande man dann schnell bei EU-Kritik, Islamfeindlichkeit, dem Establishment, der Linken und den Migranten. Kaum eine Rede der AfD kommt ohne eine einschlägige Provokation aus. Anhand der stenografischen Protokolle des Bundestags lässt sich das mit zahllosen Beispielen belegen: Klimaschutz? In Afrika haben die Menschen einen kleineren CO2-Fußbabdruck, also müssen wir die Mittelmeerroute schließen! Soll Schwarzfahren milder bestraft werden? Wer das zulässt, ist auch für Ehrenmorde! Glyphosat verbieten? Die Grünen würden ein solches Verbot ja nur aufheben, wenn sie dafür mehr Flüchtlinge holen dürfen!

Ein AfD-Abgeordneter spricht vom "entarteten Doppelpass", ein anderer sagt im Bundestag: "Der Farbige hat seine Schuldigkeit getan, der Farbige kann gehen." Als bisheriger Tiefpunkt zählt wohl der AfD-Antrag, die Arbeit des ein Jahr lang in der Türkei inhaftierten deutschen Journalisten Deniz Yücel von der Bundesregierung rügen zu lassen, weil er -so die AfD wörtlich -"den Volkstod unseres Volkes" verlangt habe.

Die FPÖ ist bereits seit Jahrzehnten im Nationalrat vertreten: Sie hat gelernt, ihre Provokationen zu dosieren - und die anderen Fraktionen haben gelernt, damit umzugehen. Die AfD hingegen schießt permanent über das Ziel hinaus, während die politischen Gegner noch nicht so recht wissen, wie sie damit umgehen sollen. "Dabei ist die AfD ohnehin vorsichtiger, weil die Political Correctness und das intellektuelle Niveau in Deutschland generell stärker ausgeprägt sind", sagt der Historiker und FPÖ-Kenner Lothar Höbelt, der den Freiheitlichen nahesteht. "In Österreich sagt man schneller: Der hat halt ein Achtel zu viel gehabt."

Deutschlands Medien jedenfalls beobachten die neue Oppositionspartei sehr genau. Die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) zählte zum halbjährigen Bundestagsjubiläum beispielsweise penibel auf, wie oft die AfD provokant lachte (156 Mal) oder für sich selber klatschte (mehr als 600 Mal). Es gehe nunmehr ein Riss durch den Bundestag, konstatierte die SZ. Hier die Rechte, dort eine "demokratische Front" aller, die ihr gegenüberstehen. Mit anderen Worten: Die AfD sei anders, womöglich gar nicht demokratisch.

Nicht alle sehen den neuen Stil im Parlament so drastisch. "Die Befürchtung oder Hoffnung, dass sich die AfD wie eine Horde Neonazis und rechter Demagogen aufführen wird, ist bisher nicht eingetreten", sagt Politologe Patzelt, dem in Deutschland gelegentlich vorgeworfen wird, mit den neuen rechten Bewegungen nicht hart genug ins Gericht zu gehen: "Mich erinnert vieles an die Zeit, als die Grünen in den Bundestag kamen." Auch damals hätten die Alt-Parteien die Neuankömmlinge kritisch beäugt und ausgegrenzt, weil sie mit den bewährten Umgangsformen brachen.

III. Rechte Rekruten

Ist das Gerede von den Rechtsextremen, die mit der AfD in den Bundestag eingezogen sind, also Panikmache? Sind sie am Ende nur schrullige Rechtspopulisten? Unangenehm, aber de facto nicht gefährlicher als die erzkonservative bayerische CSU, die immerhin in der Regierung sitzt? Zwei Untersuchungen deutscher Zeitungen deuten darauf hin, dass es vor allem in der zweiten und dritten Reihe der Partei große Probleme mit rechtem Extremismus gibt: Rund 300 Mitarbeiter haben die AfD und ihre Abgeordneten für die Parlamentsarbeit eingestellt. Darunter befinden sich laut den Zeitungen "Die Zeit" und "taz" einige mit Kontakten zu rechtsextrem eingestuften Gruppen wie der Identitären Bewegung oder auch der NPD.

Auch in diesem Punkt ist die AfD mit der FPÖ vergleichbar: Die Freiheitlichen rekrutierten schon vor ihrem Eintritt in die Regierung ihr Personal aus deutschnationalen Burschenschaften und pflegen entgegen aller Dementis Kontakte zu noch weitaus rechteren Bewegungen wie zum Beispiel den Identitären. Deren Österreich-Chef Martin Sellner besuchte etwa den diesjährigen Akademikerball, der von den Freiheitlichen veranstaltet wird. Dort wurde auch Björn Höcke gesichtet, ein wichtiger Proponent des rechtsnationalen Flügels der AfD.

"Unterm Strich scheinen mir bei der AfD aber wesentlich mehr Quertreiber, aufgeblasene Dumpfbacken und rechtsdemagogische Lautsprecher unterwegs zu sein als in der FPÖ", sagt Patzelt: "Da haben sich viele aus dem rechtsradikalen Milieu angeboten - rechte, verkrachte Existenzen, die auf der Suche nach einem Job waren." Die Freiheitlichen hingegen seien seit Jahrzehnten im Parteiensystem etabliert und könnten ihr Personal dadurch viel besser einschätzen. "Bei der AfD kommen sehr viele Leute dazu, von denen man dann nicht immer genau weiß, ob sie ganz richtig ticken", sagt auch Historiker Höbelt: "Man kann nicht sagen, ob sie nicht vom Verfassungsschutz geschickt sind. Das weiß man erst in 30 Jahren." Auch Alice Weidel vermutete in einem Fernsehinterview, dass sich in die junge Partei V-Männer eingeschlichen hätten.

Ihr Sprecher Daniel Tapp räumt hingegen nur ein, dass die AfD noch Schwierigkeiten dabei habe, alle offenen Stellen zu besetzen. Zwar gebe es viele Bewerbungen, man müsse sie aber noch filtern. "Der eine oder andere fühlt sich durch die Medienberichterstattung abgeschreckt, bei der AfD eine Position zu übernehmen, für die er qualifiziert wäre", sagt Tapp, der gar nicht abgeneigt wäre, ein paar erfahrene FPÖler nach Deutschland zu lotsen: "Es ist aber das kleine Problem der Regierungsbeteiligung dazwischengekommen, der Personalbedarf bei der FPÖ ist recht hoch. Es ist nicht zu erwarten, dass Scharen von FPÖ-Mitarbeitern nach Berlin ziehen werden."

Dennoch: Eine AfD-Personalie mit Verbindung zur FPÖ steht bereits im Raum. Tapp bestätigt gegenüber profil das Gerücht, dass Martina Schenk in den Bewerbungsprozess um den Posten der AfD-Fraktionsgeschäftsführerin eingetreten sei. Die 45-Jährige diente Jörg Haider von 2005 bis 2008 als Bundesgeschäftsführerin der FPÖ, ging zum BZÖ, saß bis 2017 für das Team Stronach im Nationalrat und kandidierte zuletzt für die erfolglose FLÖ (Freie Liste Österreich) von Barbara Rosenkranz.

IV. Die Gärung

Doch bei allem sprachlichen, thematischen und personellen Austausch zwischen den Rechtspopulisten in Wien und Berlin gibt es einen großen Unterschied: Die FPÖ ist eine erwachsene Partei und nicht nur wegen ihrer derzeitigen Regierungsbeteiligung aus der politischen Realität des Landes kaum noch wegzudenken. Die AfD hingegen befindet sich entwicklungspsychologisch irgendwo zwischen Trotzphase und Pubertät und hat noch nicht entschieden, was sie einmal sein will: eine rechtsdemagogische Protesttruppe oder eine ernstzunehmende rechtskonservative Partei? Eine härtere CDU oder eine Art bundesweite CSU? Will sie regieren? Provozieren? Sprengen?

"Gärung" nannte AfD-Chef Alexander Gauland diesen Prozess einmal. "Die AfD ist noch kein Schiff mit Kapitän", sagt Politologe Patzelt: "Das sind Bauteile, die sich zu einem Schiff fügen ließen, aber wer daran baute, musste immer mit dem Verlust persönlicher Macht bezahlen." Das bekannteste Beispiel dafür ist wohl die ehemalige, als moderat geltende Frontfrau Frauke Petry, die vor der Wahl vom rechtsnationalen Flügel der Partei als Spitzenkandidatin verhindert wurde. Während sich die FPÖ um Persönlichkeiten wie Jörg Haider und Heinz-Christian Strache sammelte, ist die AfD vor allem auf Themen fokussiert -etwa Islamfeindlichkeit und Angst vor Zuwanderern. "Dort steht kein Charismatiker zur Verfügung", sagt Historiker Höbelt: "Es kann gut sein, dass die momentane Partie bald abgelöst wird. Das scheint aber bislang nicht zu schaden."

V. Ein Experiment

Am Ende kann die AfD trotz aller Anbandeleien wohl auch ohne die FPÖ - und vor allem umgekehrt. Doch den Deutschen erscheint es nützlich, die rotweiß-rote Fahne zu schwenken. "Die AfD hängt sich an die Wandlungserfolge an, welche die FPÖ bei der ÖVP bewirkt hat", sagt Patzelt: Sie sagen: Schaut nach Österreich! Der drittletzte Kanzler war noch ein treuer Schildknappe der deutschen Bundeskanzlerin in Migrationsfragen, der jetzige hat begriffen, dass Viktor Orbán immer schon recht hatte, und ist der beste Verbündete."

Deutschland holt nun im Schnelldurchlauf nach, was die meisten anderen europäischen Parlamente seit Jahren prägt: die Konfrontation mit Rechtspopulisten und Rechtsextremen. "Entscheidend sind die tonangebenden Reaktionen in der Union", sagt Höbelt: "Dort müssen sie erst erkennen, dass sie mit FDP und AfD eine ziemlich tolle Mehrheit hätten." Das würde bedeuten, dass vor allem die CDU wieder nach rechts rückt und die AfD sich aus dem rechtsnationalen Eck stärker in die Mitte bewegt. Auch das wäre eine Lehre aus den Erfahrungen der FPÖ, eine Fortsetzung des österreichischen Weges.

So kann die AfD auch als Experiment betrachtet werden: Wird sich die jüngere österreichische Geschichte, die mit Ausgrenzung, Boykott und Ignoranz begann, um dann doch zur Macht zu führen, wiederholen? Oder finden die Deutschen einen neuen Umgang mit den Rechten, Rechtspopulisten und Rechtsextremen? Zeigt sich die deutsche Medienkultur ernsthafter, die Politik standhafter, die Zivilgesellschaft wehrhafter?

Umfragen zeigen jedenfalls: Nach ihrem ersten halben Jahr im Bundestag hat die AfD kaum an Beliebtheit eingebüßt.

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