"Wir befürchten eine erneute Grippe-Pandemie"

WHO-Expertin Briand: "Wir befürchten eine erneute Grippe-Pandemie"

Medzin. WHO-Expertin Sylvie Briand erklärt, warum das Risiko von Epidemien in den letzten Jahren gestiegen ist

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Interview: Christina Feist

profil online: Es gibt bestimmte Krankheiten, die das Potenzial haben, sich zu einer Epidemie auszubreiten, beispielsweise Malaria oder Tuberkulose. Wie gefährlich sind diese Krankheiten tatsächlich?
Sylvie Briand: Das sind alles infektiöse Krankheiten und daher übertragbar. Aber von einer Epidemie sprechen wir erst, wenn es einen akuten Anstieg von Krankheitsfällen gegeben hat. Malaria zum Beispiel erlebt derzeit einen Anstieg, weil es von Moskitos übertragen wird und es immer mehr davon gibt. Ein weiteres Problem ist, dass die Keime zunehmend resistent gegen Medikamente sind, zum Beispiel bei Tuberkulose. Da ist derzeit das größte Problem, dass die Medikamenten-Resistenz so stark ist, dass wir neue Präparate erst entwickeln müssen, um die Krankheit bekämpfen zu können.

profil online: Die Forschung spielt eine tragende Rolle bei der Bekämpfung von Krankheiten. Gibt es Bereiche in denen besonders intensiv geforscht wird?
Briand: Es gibt viele Krankheiten, die eine umfassende Behandlungsmethoden erfordern. HIV war die erste Pandemie, die außergewöhnlich starke Bestrebungen im Bereich der Forschung hinsichtlich Medikamenten und Impfungen hervorrief. Tendenziell wird weniger geforscht, sobald es erste Erfolge auf einem Gebiet gibt, wie eben Medikamente oder Impfstoffe. Die Forschung wird dann besonders stark angekurbelt, wenn es sozusagen ein „Loch“ gibt, und mehr Bedarf für bessere Heilungsmethoden besteht. Gerade bei Grippe ist das ein großes Thema. Wir befürchten eine erneute Grippe-Pandemie, deswegen arbeiten die Forscher derzeit auf Hochtouren zu dieser Krankheit.

profil online: Hat die Gefahr des Ausbruchs einer Epidemie in den letzten Jahren zugenommen?
Briand: Es gibt hier zwei Seiten der Medaille. Einerseits ist das Risiko einer Epidemie gestiegen, weil die Menschen wesentlich mobiler sind als früher. Somit ist die Gefahr der Verbreitung höher. Gleichzeitig haben wir wesentlich bessere Ressourcen, um Krankheiten zu bekämpfen. Es ist daher schwer zu sagen, ob die Gefahr heutzutage größer ist als früher.

profil online: Woher weiß man, wann der Zeitpunkt gekommen ist, um einzugreifen beziehungsweise um die Forschung anzukurbeln?
Briand: Bei manchen Krankheiten lässt sich das relativ gut abschätzen, da sie von den Jahreszeiten abhängig sind. Das kann man auch am Beispiel der Grippe illustrieren. Wir wissen, dass die Grippe meist im Oktober oder November des Jahres auftritt. Daher haben wir einen Zeitplan, wann mit der Produktion von Impfstoffen begonnen werden soll. Wir produzieren diese zwar nicht selbst, haben aber eine alljährliche Konferenz bei der wir über die Zusammensetzung der Impfstoffe informiert werden, und die Forschungsaufgaben für das kommende Jahr festlegen. Dann haben die Produzenten des Impfstoffs sechs Monate Zeit um den Impfstoff weiterzuentwickeln. Dieser kommt dann rechtzeitig vor der Grippe-Saison auf den Markt. So können wir uns auf erneute Ausbrüche von Krankheiten einstellen.

profil online: Welche Maßnahmen werden generell gesetzt, um Epidemien vorzubeugen?
Briand: Es gibt eine internationale Regulierung für Gesundheitsangelegenheiten. Das ist ein Dokument, das alle Mitgliedsstaaten der WHO verpflichtet, gemeinsam gegen Epidemien vorzugehen. Auf Landesebene sind sie verpflichtet für entsprechende Vorbereitung zu sorgen, sollte es zum Ausbruch einer Epidemie kommen.

profil online: Wie funktioniert die Hilfeleistung auf internationalem Niveau?
Briand: Da gibt es mehrere Mechanismen. Zunächst bitten wir die üblichen Spender Notfallfonds zur Verfügung zu stellen, die die Extrakosten decken sollen. Teilweise sind das Fonds der Vereinten Nationen, aber es gibt auch einzelne Länder, wie Frankreich, Deutschland, Spanien, Großbritannien und die USA, die Geld spenden. Dann gibt es auch Stiftungen wie die Stiftung von Bill und Linda Gates, die Unterstützung für Notfallsituationen bereitstellen. Wir erhalten aber auch Hilfe von Labors. Gerade im aktuellen Fall von Ebola ist das entscheidend. Ebola zu diagnostizieren ist eine gefährliche Prozedur, die ein hohes Maß an Sicherheitsvorkehrungen erfordert. Daher braucht man Labors und Mitarbeiter, die diese Kapazitäten haben. Leider sind diese nicht überall auf der Welt verfügbar. Die Mitarbeiter reisen in das betroffene Gebiet und helfen bei der Diagnostik vor Ort.

profil: Was waren die wichtigsten Entwicklungen im Bereich der Vorbeugung von Epidemien in den letzten Jahren?
Briand: Nehmen wir das Beispiel Cholera. Die Herausforderung bei der Vermeidung von Cholera-Epidemien besteht darin, den Menschen Zugang zu sauberem Wasser und Sanitäranlagen zu gewährleisten. Wir arbeiten also mit anderen Organisationen zusammen, um das zu ermöglichen. Abgesehen davon, gibt es auch Impfungen gegen Cholera, die heute auf einem weit besseren Stand sind als früher. Auf globalem Level geht es vor allem um die Überwachung und regelmäßige Einschätzung der Lage. Dadurch können wir einen Ausbruch der Krankheit abschätzen und im Zweifelsfall schneller und besser reagieren. Auf internationaler Ebene haben wir auch die Möglichkeit im Notfall gut zu reagieren. Wir haben einen Vorrat an Impfstoffen angelegt, auf den jederzeit und nach Bedarf zugegriffen werden kann.