index.hu: "Freies Arbeiten wäre nicht mehr möglich gewesen"

Tamás Fábián, Mitarbeiter des ungarischen Nachrichtenportals index.hu, über die Selbstauflösung der Redaktion wegen massiver Einflussnahme durch die Politik.

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index.hu ist das größte Nachrichtenportal Ungarns. Obwohl es indirekt im Eigentum von Personen steht, die vom rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán abhängig sind, galt es als unabhängig und berichtete kritisch gegenüber allen Parteien und Interessensgruppen; eine Stiftungskonstruktion sicherte die Autonomie der Redaktion. Am 22. Juli jedoch wurde Chefredakteur Szabolcs Dull auf Veranlassung der Eigentümer entlassen. Zwei Tage später reichte die 90-köpfige Redaktion nahezu geschlossen die Kündigung ein. profil sprach mit Tamás Fábián, dem Parlamentskorrespondenten von index.hu.

INTERVIEW: GREGOR MAYER, BUDAPEST

profil: Wie kam es zu dem Hinauswurf des Chefredakteurs und der Kündigung des Großteils der Redaktion?


Fábián: Vor etwa einem Monat hat die Redaktion einmütig festgestellt, dass seitens der Eigentümer aus dem Regierungsumfeld der Versuch einer Einflussnahme auf das Portal gestartet wurde. Wir waren der Ansicht, dass wir das publik machen sollten. Das Werkzeug dafür war das sogenannte "Unabhängigkeitsbarometer".

profil: Was hat man sich darunter vorzustellen?

Fábián: index.hu ist an sich eine entkernte Firma. Zu ihr gehören die Journalisten und die Redakteure. Unsere Produktionsmittel, Technik, IT, Support, Entwicklung stehen im Eigentum des Unternehmens indamedia, in dem regierungsnahe Investoren bestimmend wurden. Deshalb schufen wir vor zweieinhalb Jahren das symbolische Barometer mit den Stufen "unabhängig", "gefährdete Unabhängigkeit" und "nicht unabhängig". Jetzt sahen wir uns veranlasst, es auf "gefährdete Unabhängigkeit" zu stellen.

profil: Worin genau bestand der Versuch der Einflussnahme von außen?

Fábián: In der erwähnten Eigentümerfirma tauchten plötzlich externe Berater auf, die Pläne vorlegten, wie die Redaktion umzubauen sei. Doch unser wichtigstes Grundprinzip besteht darin, dass wir selbst entscheiden, mit wem wir arbeiten, wie wir die Redaktion organisieren und die Ressorts aufstellen. Wir wählen auch den Chefredakteur selbst. Der Plan der externen Berater wäre darauf hinausgelaufen, die Einheit der Redaktion zu zerschlagen und die einzelnen Ressorts in eigene kleine Firmen auszugliedern.

profil: Womit wurde das begründet?

Fábián: Mit wirtschaftlichen Argumenten. Dadurch sollten die aufgrund der Corona-Pandemie gesunkenen Einnahmen erhöht werden. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass die Einnahmen gar nicht gesunken sind.

profil: Weshalb haben sich die regierungsnahen Eigentümer gerade jetzt entschlossen, bei index.hu massiv einzugreifen?

Fábián: Das müssen Sie die politischen Akteure fragen, die das Sagen haben. Ein Anhaltspunkt mag sein, dass im Frühjahr unter den Eigentümern eine Veränderung stattfand. In der Person von Miklós Vaszily kaufte sich ein Medienmanager bei indamedia ein, der der Regierung besonders nahesteht. Schon 2014 funktionierte er das damals unabhängige Portal origo.hu zum Regierungssprachrohr um. Und er leitete mehrere Jahre lang die Medien-Holding MTVA, zu der das staatliche Fernsehen und Radio gehören.

profil: Warum haben sie alle gekündigt? Hätten Sie nicht als Redaktion weiter für Ihre Autonomie kämpfen können?

Fábián: Die Autonomie der Redaktion wurde durch die Entlassung des Chefredakteurs entscheidend verletzt. Das war ein klares Signal dafür, dass auch die anderen Garantien, die unsere Unabhängigkeit sicherten, keinen Bestand mehr haben. Ein freies Arbeiten wäre nicht mehr möglich gewesen. profil: Wie geht es mit Ihnen und Ihren Kollegen jetzt weiter?

Fábián: Das ist schwer zu sagen. Eines ist sicher: In irgendeiner Form wollen wir zusammenbleiben.

Tamás Fábián, 32,

(auf dem Foto in der Mitte mit grüner Tasse) ist seit 2014 Mitarbeiter von index.hu. Er arbeitete zunächst beim Portal origo.hu, wo ihm gekündigt wurde, als regierungsnahe Geschäftsleute das Portal übernahmen. Als Parlamentskorrespondent erhielt er vier Mal Hausverbot wegen "unbefugten Befragens von Regierungsabgeordneten" im Hohen Haus. Als er 2018 den Ministerpräsidenten Viktor Orbán bei einem öffentlichen Auftritt interviewen wollte, sagte dieser zu ihm: "index ist eine Fake-News-Fabrik. Zu index sage ich nichts."