Siruan Hossein
Pressefreiheit

Journalismus in Syrien: „Wir haben für die Freiheit zu berichten mit Blut bezahlt“

Fünf Monate nach dem Sturz des syrischen Machthabers Assad wurde das Versprechen von Demokratie noch nicht eingelöst. Lokale Medien befinden sich teils immer noch im Exil. Wie geht es der syrischen Medienlandschaft unter dem Präsidenten al-Sharaa.

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„Der Moment, als wir veröffentlichten, dass Basar al-Assad weggelaufen ist, war ein einzigartiger in meinem Leben“, erzählt Loujein Haj Youssef. Aktuell lebt die Syrerin in Paris, sie ist Herausgeberin von Radio Rozana, einem unabhängigen Radiosender in der Region – ohne politische oder religiöse Agenda. „Aber ich habe mich in diesem Moment auch daran erinnert, wie viele Leute in Syrien gestorben sind und gekidnappt wurden – Tausende.“ Drei Korrespondenten von Radio Rozana wurden seit 2011 getötet – vom IS und in den Gefängnissen des Assad Regimes.

Damit ist Radio Rozana nicht alleine. Auch die Mitbegründerin der Zeitschrift Enab Baladi erzählt von Folter und Morden an Kolleg:innen. „Wir haben alles überlebt“, sagt sie, „Bombardierung, Vertreibung und Exil. Wir haben dreizehn Jahre dafür gekämpft, wir haben unsere Kollegen überlebt.” 

„Für mich war es ein historischer Moment, nicht mehr nur im Norden Syriens zu arbeiten.“ Siruan Hossein gründete 2013 Radio Arta, einen unabhängigen Radiosender in Rojava, das Gebiet der Kurden in Syrien. Der Sender ist laut einer Studie der Bildungsorganisation IREX und Free Press Unlimited der meistgehörte Radiosender der Region. Gesendet wird auf Kurdisch, Arabisch, Arämeisch und Armenisch. Er ist syrischer Kurde, 34 Jahre lang hat er gewartet, wieder nach Damaskus zu gehen, denn Kurden waren unter Assad kein Teil Syriens. Drei Tage nachdem Bashar al-Assad nach Russland flüchtete, ging Hossein mit einem Team nach Syrien und begann, aus Damaskus Radio zu machen. Das war im Dezember 2024.

Seitdem steht das Land unter der Führung von Ahmed al-Scharaa, der davor Anführer einer HTS-Miliz war, die unter anderem von der UN als Terrororganisation eingestuft wird. 

Seit der Übernahme der neuen syrischen Führung wartet Hossein auf eine Sendelizenz. Es sei sehr wichtig, dass auch die Oppositions-Medien im Land berichten, aber das scheint auch unter dem neuen Regime nur schwer möglich.

 „Unser Land ist nicht das Land der sogenannten Sieger, das ist sehr wichtig.“

Siruan Hossein

Der arabische Frühling 2011 spaltete die Medien in zwei Lager: Pro-Regierung und Unabhängige. Syrien liegt aktuell am Pressefreiheits-Index von Reporter ohne Grenzen auf Platz 178 von 181, dahinter folgen nur China, Nordkorea und Eritrea. In Syrien, so Reporter Ohne Grenzen, gibt es keine freie Presse mehr – die Opposition-Medien, wie die Zeitschrift Enab Baladi, agieren aus dem Exil. Die Medien werden durch ein Gesetz gegen Internetkriminalität verfolgt, ebenso können sie verurteilt werden, wenn sie „falsche Nachrichten online verbreiten, die das Ansehen Syriens verbieten“, so Reporter ohne Grenzen. Was falsche Nachrichten sind, entschied das Regime. Journalistinnen und Journalisten in Syrien riskieren auch unter der neuen Führung Verhaftungen, Entführungen, Folter und Mord. 

Jahrelang kannten sie die echten Namen ihrer Kolleginnen und Kollegen nicht, die mussten aus Sicherheitsgründen geheim bleiben, erzählt Kholoud Helmi. Das sei das einzige, das sich seit dem Regime-Umbruch verändert hat. Sie zeigt sich vorsichtig optimistisch, immerhin habe man die Freiheit zu sprechen. „Wir haben dafür mit Blut und Schweiß bezahlt”. 

Sorge vor Bürgerkrieg

Die Medienschaffenden in Syrien haben aber noch andere Sorgen als ihre eigene Sicherheit: Syrien ist und bleibt aktuell ein gespaltenes Land, „Leute aus Idlib wissen nicht, wer die Leute in Damaskus sind”, sagt Loujein Haj Youssef von Radio Rozana. Aber die Medien werden gebraucht, auch um die Leute zusammenzubringen, meint sie. Sie glaubt daran, dass die Medien eine wichtige Rolle im Prozess der sogenannten Transitional Justice spielen werden, der Aufarbeitung des Bürgerkrieges.

Wer Informationen aus Syrien verfolgt, liest das oft mit dem Beisatz „Staatsmedien”. Abseits dieser regierungsnahen Medien gibt es in Syrien aber noch einen weiteren Player, der den Markt beackert. Medienunternehmen aus Katar, „Oil-Funded-Media“ nennen das die syrischen Journalist:innen. Die Administration von Ahmed al-Schara gibt Informationen an diese Medienhäuser, den Oppositions-Medien jedoch gibt sie nicht einmal eine Sendelizenz.

Österreich war unter den ersten EU-Ländern, die nach dem Regime-Wechsel in Syrien Rückführungen von aus Syrien geflüchteten Menschen verlangten. Für syrische Journalistinnen und Journalisten ist klar, dass das Land unter dem neuen Machthaber Al-Sharaa nicht sicher ist. Im März sollen 1380 Zivilisten im syrischen Gouvernement Latakia ermordet worden sein, so die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London. Deren Angaben lassen sich schwer überprüfen. Die Islamisten, die hinter dieser Tat stecken, sollen in Verbindung mit dem Regime des neuen syrischen Machthabers Ahmed al-Scharaa stehen. Mitte April erhob die französische Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Übergangspräsidenten und seine Regierung, sie werden des Genozids, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschuldigt, im Zusammenhang mit den Morden an der syrischen Küste im März 2025.

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Bis jetzt haben die Regierung, der Präsident und die Administration das Wort „Demokratie” nicht verwendet, erzählt Journalist Hossein. „Demokratie ist verboten”, sagt er, aber es sei wichtig, dass Medien das neue Regime kritisieren  „Ich möchte zu Syrien gehören, aber aktuell tue ich das als Kurde nicht.”

Die Zeit von einem Staat und einer Partei und eines Volkes sei aber vorbei, hofft er. „Syrien ist divers, wir haben viele Identitäten, was sehr gut ist. Religiös, ethnisch und andere Arten zu denken. Wir Medien müssen das schützen und in unserer Berichterstattung zeigen. Denn offensichtlich ist auch die neue Regierung nicht daran interessiert, das zu wissen. Sie akzeptiert nicht, dass Syrien nicht nur aus sunnitischen Muslimen besteht. Wir haben mehr als das in Syrien.”

Langfristig will Siruan ganz nach Syrien zurückkehren. Aktuell pendelt er zwischen Rojava und Deutschland. Die Zeitung Enab Baladi arbeitet mit 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Damaskus, seit dem Sturz des Regimes kann unter dem eigenen Namen publiziert werden.

Franziska Schwarz

Franziska Schwarz

Franziska Schwarz ist seit Dezember 2024 im Digitalteam. Davor arbeitete sie als Redakteurin bei PULS 24, und als freie Gestalterin bei Ö1. Sie schreibt über Politik, Wirtschaft und Umwelt.