Kommunismus, Krieg und Koks: Der lange Arm der Balkanmafia

Eine neue Studie dokumentiert, wie Kriminelle vom Westbalkan zu globalen Playern im Drogenhandel wurden.

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Von Gregor Mayer, Zagreb

Immer wieder sorgen sie für Schlagzeilen: Wenn etwa - wie im Dezember 2018 - ein Montenegriner am helllichten Tag mitten in der Wiener City eine blutige Clanfehde entscheidet, indem er auf zwei Landsleute schießt und einen von ihnen tötet; wenn Banden vom Balkan in filmreifen Acts millionenteure Juwelen aus Läden in Tokio oder Dubai abräumen; oder wenn in einem europäischen Hafen wieder einmal tonnenweise Kokain gefunden wird - und sich herausstellt, dass die meisten für die Entladung der Frachtcontainer zuständigen Lagerarbeiter Landsleute aus Südosteuropa sind.

Kriminelle aus den sogenannten Westbalkan-Staaten (Serbien, Montenegro, Bosnien, Nordmazedonien, Albanien und Kosovo) scheinen auf der ganzen Welt präsent zu sein. Dass der Eindruck nicht täuscht, belegt ein aktueller Bericht der in Genf ansässigen "Globalen Initiative gegen transnationales Organisiertes Verbrechen" unter dem Titel "Transnationale Tentakel. Globale Hotspots der organisierten Balkan-Kriminalität".

Das Phänomen lässt sich erklären, ohne die falschen Klischees von der angeblichen Gewaltbereitschaft der Balkanbewohner zu bemühen. Die aufwendig recherchierte Studie - in sie flossen die gängige Fachliteratur, öffentlich zugängliche Daten internationaler Organisationen und die Essenz zahlreicher Expertengespräche ein - zeichnet den Weg nach, der aus kleinen Provinzkriminellen mitunter globale Player des internationalen organisierten Verbrechens machte.

Schon Polizei und Geheimdienste des sozialistischen Jugoslawiens arbeiteten gerne mit den Drogenschmugglern zusammen, die ab den 1970er-Jahren Heroin aus der Türkei über die Balkanroute nach Westeuropa brachten. Doch die eigentlichen Game-Changer kamen in den 1990er-Jahren: Die jugoslawischen Zerfallskriege (1991-1999) zerrütteten Gesellschaft und Wirtschaft der Nachfolgestaaten; der Zusammenbruch des isolationistischen Steinzeit-Kommunismus von Diktator Enver Hoxha in Albanien (ab 1991) hinterließ ein traumatisiertes und dysfunktionales Gemeinwesen. Eine Folge davon war, dass Hunderttausende Menschen die Region verließen-darunter auch durch Kriegserfahrungen brutalisierte Kriminelle.

Die Auswanderung beschränkte sich nicht auf West- und Mitteleuropa. Manche der Migranten fassten Fuß in Gegenden Südamerikas, in denen es ähnlich chaotisch zuging wie am Balkan - etwa in Kolumbien oder Ecuador. Dort wird wiederum Kokain im großen Stil erzeugt.

"Gruppen aus der (Balkan-)Region erwiesen sich als modern, dynamisch und unternehmerisch denkend, als anpassungsfähig, innovativ und aufgeschlossen gegenüber neuen Technologien wie verschlüsselter Kommunikation oder Geldwäsche mittels Kryptowährungen", heißt es in dem Bericht: "In den vergangenen 20 Jahren stiegen sie in der Verwertungskette auf. Aus kleinen Gaunern und Kurieren wurden gewichtige Drogenverteiler in Netzwerken, die von Lateinamerika bis Westeuropa und Südafrika reichen."

Nunmehr kontrollieren sie das Drogengeschäft von der Produktion bis zum Straßenverkauf in den Konsumentenländern. Damit können sie Preise und Qualitätsstandards bestimmen - "ein unschlagbares Geschäftsmodell", wie der Bericht konstatiert. Zudem pflegen diese Kriminellen keine ethnischen Vorurteile: Sie kooperieren mit jedem, wenn es ihnen Nutzen bringt.

Eine wirksame Bekämpfung der omnipräsenten "Tentakel" könne nur vielschichtig erfolgen, folgert die Studie. In erster Linie seien die Gesellschaften in den Krisenländern und ihre Justizsysteme zu unterstützen. Aber auch zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich für Transparenz und Rechtsstaatlichkeit einsetzen, müsse der Rücken gestärkt werden. Neben einer besseren Zusammenarbeit der nationalen Strafverfolgungsbehörden gehe es darum, das Übel an den Wurzeln zu packen.