Echte Perspektiven, staatlich sanktioniert. Darum geht es in Kuba

Kuba: Arm, aber sexy

Kuba: Arm, aber sexy

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Tomaten? Seit Tagen keine am Markt. Sagt Minerva, meine Vermieterin und Freundin seit 20 Jahren. Unterton klagend: Es wird immer ärger mit frischem Obst und Gemüse in Havanna. Für Private. Stimmt. Beim "Italiener“ im Hotel Plaza gibt es Tomatensalat. Okay, also täglich eine frische Avocado. Der Baum im Garten von Minervas Villa in Nuevo Vedado wächst mit der Zeit scheinbar ins Unendliche. Eier kommen vom Nachbarn, er hält ein paar Hühner. Hilf dir selbst. Auch, wenn das grunzend stinkende Schwein im Hinterhof selten wird. Selbst in den Provinzen. Touristen befremdet so was. Wer irgend kann, vermietet und kocht. Bei Minerva hat sich seit 20 Jahren nichts verändert: Sie schimpft, kommt aber altmodisch luxuriös über die Runden. Ihr Sohn baut weiter aus. Zwei Zimmer mit integriertem Bad. Er sammelt Kunst. Afrikanische. Er hat studiert. Das Schulsystem ist ausgezeichnet. Ärzte wollen die Jungen werden, Musiker, Denker. Die Landflucht ist groß. Begründet mittlerweile auch einen Teil der Probleme in der Lebensmittelversorgung der Hauptstadt. Na, hungern muss keiner. Slums gibt es nicht wie in anderen Ländern Südamerikas. Vielmehr bahnen sich Projekte zur Kultivierung des Grüngürtels der Metropole an. Eines davon mit der BOKU Wien.

Ein WLAN-Netz? Nein, haben Durchschnittsmenschen nicht. Illegal. Schreiben ihre E-Mails über langwierige Anmeldung bei der staatlichen Telefongesellschaft Etecsa. In den Hotels, in Internetcafés funktioniert der Zugang mit Wertkarten, wobei die Kosten von Hotel zu Hotel variieren. Universitäten und größere Firmen haben freien Weg zur Welt. In letzter Zeit. Gibt’s immer mehr WLAN-Spots in den Parks von Havanna. Alternativ dazu bilden sich Kooperativen, die Filme tauschen und Musik. Es wird. Doch es dauert.

Seit 2012 haben junge Kubaner Perspektiven

Schlecht geht’s, sagen Ältere, die nicht mehr richtig mit den Füßen scharren können. Besser geht’s, sagen Jüngere, die im Land geblieben sind. Zwei Monate Wartezeit, bis Malfarbe für die Hauswand "erscheint“, regt sie nicht auf. Das ist normal. Seit 2012 haben sie Perspektiven. Seit das Regime unter Raúl Castro erlaubt, privat Restaurants, Imbissstuben, Bars, zu eröffnen. Seit sie Cremen mischen, frisieren, massieren, backen, übersetzen, Klavierstunden geben, Taxis & TucTucs betreiben dürfen. Land kaufen, Häuser oder zumindest Häuschen, am besten an einem Strand. Alles in Maßen. Doch nicht immer hintenherum, a la izquierda, mit einem Fuß im Kriminal, die Angst vor der Polizei im Nacken. Geld verdienen und ausreisen können. Echte Perspektiven, staatlich sanktioniert. Darum geht es.

Am 21. und 22. März kommt Barack Obama mit seiner Frau Michelle. Nach den Päpsten Johannes Paul II. und Franziskus, nach François Hollande, nach Dilma Rousseff, Michelle Bachelet, Jin Huntao, Matteo Renzi. Als erster US-Präsident seit 88 Jahren. Die Aufregung, der Stolz, die Befriedigung in Kuba sind ungeheuerlich. Das ist ein historischer Besuch.

Nicht, dass sich Realpolitiker der Illusion hingeben, Obama könnte es in seiner restlichen Amtszeit gelingen, das Embargo zu kappen oder Guantánamo aufzulösen. Nie und nimmer bekommt er den nötigen Sanktus der Republikaner im Kongress. Floridas Senator Marco Rubio, auch Bewerber um das Weiße Haus, verurteilte die Reise gleich als schweren Fehler.

Es ist der symbolische Akt, der zählt. Von beiden Seiten.

Das Auf und Ab der US-Kubapolitik seit der kubanischen Revolution 1959 liest sich wie ein Krimi. Balázs Csekös Diplomarbeit Die kubanische Exillobby in den USA und ihr Einfluss auf die US-Außenpolitik bündelt die Fakten: Weder die Invasion in der Schweinebucht während des Kalten Krieges konnte dem Castro-Regime ein gewaltsames Ende bereiten noch die Maßnahmen des Hardliner-Flügels der Kubanoamerikaner und deren Lobbys in Washington D.C. Die gehören zu den mächtigsten im Land, beeinflussen die Kubapolitik der USA, laut Csekö "überproportional im Vergleich zur quantitativen Größe des kubanisch-amerikanischen Bevölkerungsanteils“, den Wahlerfolg der Präsidentschaftskandidaten.

Mehr als 1,7 Millionen Kubanoamerikaner besitzen die amerikanische Staatsbürgerschaft.

"Die Privilegien der kubanischen Migranten haben ihre Gesellschaft zu einer ‚speziellen‘ gemacht“. Gab mehrere, unterschiedlich motivierte Phasen im Flüchtlingsstrom. Sein Ist-Zustand: A) Wer trockenen Fußes - dry foot - die USA erreicht, dem ermöglicht der Cuban Adjustment Act (seit 1966), nach zwei Jahren Daueraufenthalt in den USA um permanente Residenz anzusuchen.

B) Zumindest 20.000 kubanische Migranten werden jährlich über eine Green-Card-Lotterie aufgenommen. C) Aus dem Meer aufgefangene Flüchtlinge - wet foot -, die auf selbst gebastelten Balsas, Flößen, und anderen Wassergefährten, Amerika erreichen wollten, werden seit der Clinton-Ära hingegen nach Kuba zurückgeschickt. D) Hat sich seit einigen Jahren eine neue Praxis etabliert: Dusty Foot. Das Schlepperwesen blüht auch in der Karibik.

Miguel, 42, aus Baracoa zum Beispiel. Er hat seinen Lastwagen verkauft, um in die USA auszuwandern. Hatte genug Geld, um die Reise in zwei Wochen zu absolvieren (Ärmere brauchen bis zu einem Jahr). Fuhr per Flieger, Schiff, Auto über die Route Panama-Costa-Rica-Nicaragua-Venezuela nach Mexiko und ging dort über die Grenze. Hatte sich vorher informiert: Nicht nach Miami, hieß es, dort verdient man nichts, dort leben zu viele Kubaner. Er gab Houston bei der Immigration an. Freunde halfen ihm weiter. Er wohnte bescheiden, hackelte als Lastwagenchauffeur, ließ nach einem halben Jahr seine Frau nachkommen, kaufte sich nach einem Jahr einen alten Kübel, bald einen neueren. Und: Darf in Kuba einreisen, um die Familie zu besuchen.

Die Remesas, die Geldsendungen der außer Landes lebenden Kubaner - zwei Millionen ungefähr - halten einen Teil des Werkels am Laufen.

"Die Isolationspolitik gegenüber Kuba hat nicht funktioniert“, gestand US-Präsident Barack Obama am 17. Dezember 2014 ein. Dieser Tag war auch so ein quasi-historisches Datum im Katalog der jüngsten Annährung: Da kamen die letzten drei der Cuban Five, die (aus kubanischer Sicht formuliert) "zu Unrecht wegen Spionage und Verschwörung angeklagten und zu 16 Jahren drakonischer Haft verurteilten kubanischen Helden“ endlich frei.

Versammlung revolutionärer Patrioten im Morgengrauen

Ach, was hab ich mit meinem Fähnchen für die Helden gewedelt, Ende der 1990er-Jahre, als ich ständig im Außenministerium wegen eines Interviews mit Comandante Fidel herumgesessen bin. Hab’s nicht bekommen, bloß einer seiner Reden im Capitolio lauschen dürfen. Einer Versammlung revolutionärer Patrioten im Morgengrauen. Hat Verschiedenes begreiflich gemacht: Tausende gingen um fünf Uhr Früh im Dunklen auf staubigen Fußwegen zwischen mickrigem Grün auf das Stadio Latinamericano zu. Nach Sonnenaufgang sprach Raúl Castro (damals noch Militärchef), es gab Tanz & Musik (natürlich den Che-Guevara-Song), die Ehefrauen der Cuban Five sagten tränenvoll Würdiges, und gute 3000 weißrotblaue Papierfähnchen rauschten wie ein Sturmwind. Hasta la Victoria siempre! So fühlt sich wohl "Solidarität“ an.

Frei die fünf. Zeitgleich sprachen Raùl Castro (nun als Präsident) im kubanischen Fernsehen und Barack Obama in den USA zu ihrem Volk, las man im Periodikum der Österreichisch-Kubanischen Gesellschaft. Wobei Castro keine Demutshaltung zeigt. "Keines unserer Prinzipien aufgeben“ postuliert. "Keine Rückkehr ohne Vorbehalte zu einer vom Markt diktierten Wirtschaft. Richtung und Rhythmus bleiben in den Händen der Kubaner.“ Klar für jeden, der die Periodo Especial, die Hungerperiode Anfang der 1990er-Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und ihrer Unterstützung für Kuba, durchgestanden hat. Vier Milliarden Dollar Subventionsverlust. Das tägliche Nichts heißt ein Roman der Kubanerin Zoé Valdés. Seit der Veröffentlichung lebt sie in Paris.

Ging Schritt für Schritt. John Kerry eröffnete am 14. August 2015 - einen Tag nach Fidels 89. Geburtstag - die US-Botschaft wieder. War der erste Besuch eines US-Außenministers seit 1945. Ein Bankabkommen wurde geschlossen: Stonegate mit der Internationalen Handelsbank Kuba (Bisca). Zum ersten Mal seit 50 Jahren sind damit Banktransaktionen zwischen den beiden Ländern möglich. Ende Mai wurde Kuba von der US-Terrorliste gestrichen. Dennoch. Pomali. Die Kritik von Menschenrechtlern trübt die Feierlaune. Immer noch werden politisch missliebige Aktivisten willkürlich inhaftiert, über 8000 Personen sollen nach einem von Amnesty International zitierten Bericht der oppositionellen Kubanischen Kommission für Menschenrechte und nationale Versöhnung im vergangenen Jahr davon betroffen gewesen sein.

Obama soll in Kuba auch mit Dissidenten zusammentreffen, eine Vorab-Reise von Außenminister John Kerry nach Havanna fiel jedoch ins Wasser. Würde Obama auf Kuba nur das Baseball-Match zwischen den Tampa Bay Rays und einer kubanischen Auswahl sehen, nicht aber mit den wesentlichen Aktivisten des Widerstands gegen das diktatorische Regime Castros sprechen dürfen, solle das Weiße Haus "den Trip absagen“, forderte die "Washington Post“ vergangene Woche in ihrem Editorial.

Castros Familie ist stark verankert

Die Idee freier Wahlen findet jedenfalls auf Kuba keinerlei Widerhall: In zwei Jahren soll der 55-jährige Miguel Díaz-Canel, derzeit Erster Vizepräsident des Staats- und des Ministerrats Raúl Castro nachfolgen. Das Militär die Machtübernahme garantieren, Castros Familie ist dort stark verankert.

Los Americanos. Seit vergangenem Dezember sind sie da, platzen die besseren Hotels in Havanna aus den Nähten. Es wird gebaut werden müssen, heißt es. Noch sind es universitäre Gruppen und Wirtschaftsdelegationen, die landen, Direktflüge für Touristen nach Kuba sind erst für Herbst 2016 geplant, doch wen schert’s: Einmal in Mexiko oder Kanada umsteigen, ist keine Affäre. Darüber hinaus: Viele Europäer wollen Kubas Sozialromanze noch einmal spüren, solange sie nicht von McDonald’s glattpoliert ist. Noch einen Hauch Unabwägbares birgt. Solange es Fidel Castro gibt. Asterix noch live gegen die Römer kämpft.

Guantánamo ist von den USA besetzt

Obama kommt. Doch die Blockade besteht - selbst wenn die UN-Generalversammlung zum 24. Mal in Folge deren Beendigung gefordert hat. Guantánamo ist von den USA besetzt. Radio und TV Martí, die Propaganda-Organe der US-Exilkubaner, in der Reagan-Administration von den Hardlinern der Cuban American National Foundation (Canf) etabliert und vom Kongress gestützt, sind auf Sendung. Die Visite des US-Präsidenten in Havanna macht Kuba wieder zu einem wichtigen Thema in den Präsidentschafts-Campaigns. "Die Insel ist immer anwesend“, sagt der Politologe Ingfried Schütz-Müller, sagen ÖKG-Kuratoriumsvorsitzender Ali Kohlbacher und Hermann Pernerstorfer aus dem Vorstand. "Die Kandidaten müssen sich seit 57 Jahren positionieren.“ Wird dieses Jahr nicht anders sein. Trump posaunte in einem Video, er würde "Guantánamo nicht schließen, noch mehr Terroristen hineinstecken. Klingt wie ein Witz, doch: Kuba solle zahlen, um Guantánamo zurückzubekommen. Die hohen Kosten von 40 Millionen Dollar würde er jedenfalls drastisch kürzen, fünf Millionen oder noch weniger müssten genügen.

As goes Florida, so goes the nation.

Hillary Clinton hat das Thema zuletzt nicht angesprochen. Vergangenen Sommer in Miami allerdings gesagt, dass sie das Embargo abschaffen würde. Pikant: Ehemann Bill Clinton, ursprünglich dem Dialog zugeneigt, hatte nach dem Abschuss zweier Brothers for the Rescue-Flugzeuge zur Rettung von Bootsflüchtlingen im Hinblick auf seine Wiederwahl das schärfste (auch völkerrechtlich umstrittene) Sanktionsgesetz, den Cuban Liberty and Democatric Solidarity Act (Cldsa) unterschrieben. Doch, wie meinte Senatorin Hillary 2008? "As goes Florida, so goes the nation.“ Die meisten Kubanoamerikaner residieren in den wichtigen "Swing States“ Florida, New Jersey und Nevada. Und die kubano-amerikanische Lobby ist überproportional in der Gesetzgebung vertreten: Von 100 Senatoren sind drei Kubanoamerikaner. Von 435 Kongressabgeordneten gehören fünf zur Cuban Community. Pernerstorfer: "Sie leben davon, dass sie ein Feindbild haben. Die eine Seite hat die andere genährt. Obwohl viele nicht ein Mal in Kuba waren. Marco Rubio und Ted Cruz sind die Söhne von Wirtschaftsemigranten, sie argumentieren, dass die eigene Familie von der Revolution betroffen war. Trump hat keine persönliche Beziehung zu der Insel.“

Vorsichtiger Optimismus macht sich dennoch breit. Der Tod der politischen Symbolfigur der Hardliner, CANF-Präsident Jorge Mas Canosa, die gewaltige Image-Schlappe im Fall des fünfjährigen Elián González, den Clinton zurück zu seinem Vater nach Kuba schlickte, gab dialogbereiten Gruppen schon um 2000 Aufwind. Die kubano-amerikanische Gesellschaft verjüngt sich, lauscht dem Mainstream, der blühende Geschäfte auf der Insel wittert. Schließlich bekam Obama 2012 bei seiner Wiederwahl 49 Prozent der Stimmen in Florida.