Zweimal Manchester: Warum der islamistische Terror mehr Angst verbreitet

Es gibt keinen guten Terror. Aber die Art, wie Anschläge ausgeführt werden, macht dennoch einen Unterschied. Warum der islamistische Terror mehr Angst verbreitet.

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Manchester, Montag, 22. Mai 2017

Salman Abedi, ein Brite libyscher Abstammung, verschafft sich vergangenen Montagabend Zutritt zur Manchester Arena, einer Veranstaltungshalle, in der gerade ein Konzert der US-Pop-Sängerin Ariana Grande zu Ende geht. Als Abedi im Foyer von der Menge nach draußen drängender Kinder, Jugendlicher und Eltern umringt ist, zündet er eine Bombe. 22 Menschen sterben, 64 werden verletzt. Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) bekennt sich zu der Tat.

Ihre Vorgangsweise ist ebenso simpel wie verstörend: Jedes Todesopfer ist ein Erfolg – egal ob es sich um Besucher eines Museums in Belgien, Teilnehmer an Staatsfeiertagsfeierlichkeiten in Nizza, einen Polizisten in Paris oder junge Leute in Manchester handelt. Der Terror soll, so die irre Theorie des IS, zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in Europa eine Art Bürgerkrieg heraufbeschwören, an dessen Ende auf dem Kontinent ein Kalifat entsteht.

Weil diese Art von Terror auf jeden in Europa (und in den USA) abzielt, macht er auch allen Angst. Es ist nicht die Zahl der Todesopfer, nicht die Wahrscheinlichkeit, bei einem derartigen Anschlag umzukommen, das den Effekt der Attentate steigert – sondern das Gefühl, egal wer man ist, wo man lebt und was man tut, jederzeit ins Visier eines IS-Attentäters geraten und verletzt oder getötet werden zu können.

Der IS will die westliche Zivilisation zerstören, 22 tote Kinder sollen die Gesellschaft zu Rache und Eskalation provozieren.

Manchester, Samstag, 15. Juni 1996

An diesem Vormittag detoniert in der Corporation Street im Zentrum von Manchester die größte Bombe seit dem Ende des Zweitens Weltkrieges. Die Attentäter sind Angehörige der Irischen-Republikanischen Armee (IRA), einer paramilitärischen Organisation, die Nordirland aus dem Vereinigten Königreich herauslösen und mit der Republik Irland vereinigen möchte. Sie haben einen Kleinlaster mit einer 1500-Kilogramm-Bombe beladen und vor einer Filiale des Kaufhauses Marks & Spencer geparkt. Der Sprengsatz wird um 11:17 Uhr Ortszeit explodieren.

Anschlag in Manchester, 1996

90 Minuten zuvor geht ein Warnanruf ein, die IRA operiert gegenüber der Polizei mit Codewörtern, um die Authentizität zu gewährleisten. Die Sicherheitsbehörden reagieren rasch und evakuieren das belebte Einkaufsviertel, rund 75.000 Menschen werden aus der Gefahrenzone gebracht. Die Explosion kann nicht mehr verhindert werden, sie verursacht nach heutigem Geldwert einen Schaden von etwa 1,4 Milliarden Euro. Doch niemand kommt zu Tode. Über 200 Menschen werden – obwohl weit entfernt – durch Splitter verletzt.

Die IRA wollte mit diesem Anschlag Druck auf die britische Regierung ausüben, die wenige Tage zuvor Friedensverhandlungen begonnen, dabei jedoch die irische Nationalisten-Partei Sinn Féin ausgeschlossen hatte. Es gehörte zur Strategie der IRA, den Terror mit einer Art ethischer Regel zu versehen und auf diese Weise zu rechtfertigen. Als „legitimes Ziel“ eines Anschlags wurden von den Terroristen Soldaten, Polizisten und Politiker angesehen. Immer wieder kamen bei Anschlägen jedoch auch Zivilisten ums Leben – manchmal geschah es versehentlich, manchmal wurde ihr Tod in Kauf genommen.

Nachdem 1998 in Omagh (Nordirland) bei einem Anschlag der Splittergruppe Real IRA trotz eines vorherigen Warnanrufs 29 Menschen starben, war die Terrororganisation auch im eigenen Lager diskreditiert, musste sich entschuldigen und einen Waffenstillstand verkünden.

Die IRA hatte Ziele, die verhandelbar waren – und auch verhandelt wurden. Sie musste danach trachten, trotz Gewaltanwendung nicht als moralisch verkommen dazustehen, weil sie die Unterstützung eines Teils der Bevölkerung benötigte. Ein absichtliches Massaker an Kindern, wie es der IS gutheißt, hätte ihre Strategie zunichtegemacht.