Das Schiff "Alan Kurdi" nimmt vor der Küste Libyens 65 Menschen auf

profil-Morgenpost: Seeklar? Unklar!

Im Mittelmeer bahnt sich die nächste Kraftprobe um die Aufnahme von Bootsflüchtlingen an: Zehn unangenehme Wahrheiten zum Thema Seenotrettung.

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Guten Morgen!

Erfahrungsgemäß ist es ja so: Je komplexer ein Thema, desto größer die Versuchung, sich eine möglichst einfache Meinung darüber zu bilden. Das gilt nicht nur, aber in besonderem Maße für die Debatte um die Seenotrettung im Mittelmeer. Dort bahnte sich gestern zum wiederholten Mal eine Kraftprobe darüber an, wer für die Aufnahme von havarierten Bootsflüchtlingen zuständig ist. Das NGO-Schiff „Alan Kurdi hatte 40 Menschen aus dem Wasser gezogen und bei den zuständigen Behörden um die Zuweisung eines sicheren Hafens gebeten.

Aus Sicht der Besatzung wäre das jener der italienischen Insel Lampedusa. Dort aber hat der italienische Innenminister Matteo Salvini von der extrem rechten Partei Lega das Sagen. Also jemand, der erfahrungsgemäß alles unternimmt, Bootsflüchtlinge so lange nicht an Land gehen zu lassen, bis er ihre Verteilung auf andere europäische Staaten erzwungen hat (was ihm gerade mit 115 Menschen auf dem italienischen Küstenwacheschiff „Gregoretti“ gelungen ist). Der „Alan Kurdi“ hat Salvini jedenfalls gleich einmal verboten, Lampedusa anzulaufen.

Wissen wir doch, werden Sie jetzt vielleicht sagen und je nach persönlicher Meinungslage Daumen rauf (Aufnehmen!) oder runter (Zurückschicken!) machen. Weil: Ist ja alles klar – Seerecht, sichere Häfen, NGOs, Schlepper und so weiter und so fort.

Aber das ist es leider nicht, und diese Erkenntnis gilt für beide Lager, die sich im Streit um den Umgang mit Bootsflüchtlingen mit recht simplen Positionen ebenso überzeugt wie unversöhnlich gegenüberstehen. Das haben wir in unserer dieswöchigen Ausgabe anhand von zehn unangenehmen Wahrheiten aufzudröseln versucht. „Matteo Salvini hat manchmal auch recht“, lautet eine davon, „Private Seenotretter sind nicht für die Flüchtlingskrise im Mittelmeer verantwortlich“ eine zweite. Eine dritte: „Das Seerecht ist zum Erpressungsmittel geworden.“ Eine vierte: „Sebastian Kurz’ Ankündigungen zur Lösung der Krise sind unrealistisch.“ Und so weiter.

Die ganze Geschichte gibt’s im gedruckten Heft oder auf E-Paper und dort ist auch für Sie garantiert etwas dabei, was Sie eher nicht so gerne hören.

Aber so ist das eben mit komplexen Themen. Wobei – manchmal gibt es auch in der Flüchtlingskrise einfache Antworten. Eine davon lautet: Die Art und Weise, wie kroatische Polizisten seit Jahren mit Asylwerbern umgehen, widerspricht jeglichen rechtlichen und humanitären Standards. Barbara Matejcic und Christoph Zotter haben empörende Beispiele für das behördliche Fehlverhalten eines EU-Staats zusammengetragen, auf das die Verantwortlichen in Brüssel eigentlich längst reagieren müssten (was aber nicht erkennbar der Fall ist).

In diesem Sinne wünschen wir heute einmal einen schönen, aber durchaus nachdenklichen Tag!

Martin Staudinger