Geheimdienste

Österreich und Russland: Komfortzone für Spione

Österreich ist traditionell ein bevorzugtes Operationsgebiet für Russlands Geheimdienste. Zuletzt geriet die Republik zunehmend selbst ins Visier und wehrt sich nun mit Ausweisungen.

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Von Thomas Riegler

Die Spionagestadt Wien ist alles andere als ein Klischee. Das haben die jüngsten Ausweisungen von zwei russischen Diplomaten gezeigt. Sie „haben Handlungen gesetzt, die mit ihrem diplomatischen Status unvereinbar sind“, begründete das Wiener Außenministerium den Rauswurf. Eine dezente Umschreibung für Spionage. Und alles andere als ein Einzelfall, wie sich in der Rückschau zeigt. Die Agenten des Kremls waren in Österreich schon immer besonders aktiv.

Regelrecht ins Schwärmen gerät der ehemalige KGB-General Oleg Kalugin, wenn er sich an Österreich erinnert. Der sowjetische Geheimdienst habe in Wien „freie Hand“ gehabt: „Wie immer bin ich nach Wien mit einem Diplomatenpass als Gesandter des sowjetischen Außenministeriums gereist. Ich habe diesen grünen Diplomatenpass an der Einwanderungskontrolle vorgezeigt, und ein Offizieller hat mich durchgewinkt. Niemand hat mein Gepäck überprüft. Österreich war ein komfortabler Ort, um ein Spion zu sein.“ Das gilt nach wie vor. Spionage wird milde bestraft und ohnedies nur dann, wenn sie sich gegen Österreich selbst richtet. Darüber hinaus befinden sich in Wien zahlreiche Top-Ausspähziele wie internationale Organisationen und große Botschaften. Der neutrale Status, die zentrale geografische Lage und die hohe Lebensqualität erleichtern das Geschäft zusätzlich.

Der Fall Oberst Redl

Russland sticht unter den vielen Akteuren, die in Wien tätig sind, klar hervor. Schon die Spione des Zaren operierten ab Ende des 19. Jahrhunderts in Wien. Ihr bekanntester Informant war Oberst Alfred Redl, der 1913 enttarnt wurde. Für Zehntausende Kronen hatte er unter anderem die Einteilung des k. u. k Heeres für den Kriegsfall verraten. Zu Redls Kunden zählten auch italienische und französische Dienste, aber Russland war der Hauptabnehmer.

Die Revolution von 1917 und die Gründung der Sowjetunion sorgten dann noch einmal für einen ordentlichen Schub beim Spionageaufkommen. 1925 berichtete die Wiener Polizeidirektion, dass sich in der sowjetischen Botschaft binnen Kurzem ein „Spionagezentrum“ gebildet hatte. Es sei auffällig, dass die Botschaft ebenso wie die Handelsmission der UdSSR jeweils

34 Angestellte beschäftige. Diese Personalstärke könne selbst „von drei Vertretungen der anderen Großmächte auch nicht im Entferntesten erreicht werden“. Verdächtig erschien weiters, dass auf dem Dach der Botschaft eine Funkantenne errichtet und diese mit einem Draht mit dem Turm der nahe gelegenen russisch-orthodoxen Kirche verbunden wurde.

Die Polizei konnte dagegen wenig tun. Die Beamten observierten ausländische Kommunisten, verhafteten diese oder wiesen sie aus. Allerdings brachte man die Delinquenten nur zum Bahnhof. Niemand überprüfte, ob die Ausgewiesenen das Land tatsächlich verließen – und falls doch, wo sie die Grenze passierten.

Der verschwundene Überläufer

Nach dem Zweiten Weltkrieg richteten sich die sowjetischen Geheimdienste so richtig im besetzten Wien ein. Immer wieder gelangen ihnen hier Erfolge gegen die USA. So verschwand am 20. Dezember 1975 der Überläufer Nicholas Shadrin spurlos, nachdem er vor der Votivkirche zu KGB-Leuten ins Auto gestiegen war. „Der schlimmste Fehler war, Shadrin diese Reise in eine Stadt wie Wien zu erlauben, wo der KGB alles leicht kontrollieren konnte“, meinte Ex-CIA-Direktor Richard Helms im Nachhinein. In den 1980er-Jahren wickelte der Sowjetgeheimdienst Treffen mit seinen US-Top-Quellen Ronald Pelton und John Walker in Wien ab. Das Ende des Kalten Krieges bedeutete keinen Einschnitt. So meinte ein Beamter des Innenministeriums 1992, „dass bestimmte Nachrichtendienste des ehemaligen Ostblocks weiter operieren, als gingen sie die politischen Umwälzungen nichts an“.

Seit dem Amtsantritt von Wladimir Putin 1999/2000 haben sich die Akteure auf russischer Seite stark verändert: Der KGB wurde 1995 in den Föderalen Dienst für Sicherheit (FSB) umgewandelt. Die für die Auslandspionage zuständige erste KGB-Hauptverwaltung wurde schon 1991 abgespalten und als Dienst der Außenaufklärung (SWR) auf eigene Beine gestellt. Dritter im Bunde ist der schon seit 1942 unter der Bezeichnung GRU bestehende Militärgeheimdienst. Während der KGB trotz seiner Allmacht über das Leben der einfachen Sowjetbürgerinnen und -bürger unter der vollen Kontrolle der Kommunistischen Partei stand, sind die jetzigen Geheimdienste lediglich der obersten Führung verpflichtet. Und an deren Spitze steht mit Putin ein ehemaliger KGB-Offizier und zeitweiliger FSB-Direktor.

Festnahme in Salzburg

Die neue Kreml-Elite schätzte an Österreich, dass sich hier gewisse Dinge schneller bewerkstelligen ließen, gleich ob Passvergabe, Immobilienerwerb, Einstieg in Unternehmen oder die Gründung einer diskreten Privatstiftung. Auch politisch wurden die Bande enger geknüpft. So setzte sich Österreich auf EU-Ebene dafür ein, die Sanktionen gegen Moskau im Gefolge der Krim-Annexion (2014) so rasch wie möglich zu beenden. Dabei war schon damals ein spürbarer Anstieg der Spionageaktivitäten offensichtlich. Im Unterschied zu früher bedrohten diese nun auch österreichische Interessen. Am 11. Juni 2007 wurde Wladimir Woschschow, ein angeblicher GRU-Topagent, am Salzburger Hauptbahnhof festgenommen. Er wollte einem deutschen Ingenieur und einem Bundesheer-Unteroffizier Blaupausen eines neuen Eurocopter-Militärhubschraubers abkaufen. Zehn Tage später wurde Woschschow nach massivem Druck aus Moskau wieder freigelassen.

Der nächste Spionagefall folgte 2018: Ein pensionierter Salzburger Offizier war seit 1992 als Quelle für den GRU tätig gewesen. Oberst Martin M. verriet Geheimnisse des Bundesheeres und angeblich auch NATO-Informationen. Der dadurch entstandene Schaden hätte „im Falle eines militärischen Konflikts der Landesverteidigung Österreichs mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Nachteil gereicht“, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Direkt ins Visier genommen wurde Österreich im Rahmen eines Cyberangriffs, der sich ab den Weihnachtsfeiertagen 2019 bis Anfang Februar 2020 in drei Wellen gegen die IT-Systeme des Außenministeriums richtete. Verantwortlich war die Hackergruppe „Turla“, die dem FSB zugerechnet wird.

Russische Auftragsmorde

Österreich wurde auch Schauplatz von zwei Auftragsmorden. Diese waren Teil einer Serie, die in ganz Europa bis heute mehr als ein Dutzend Opfer gefordert hat. Im Fadenkreuz standen Gegner des Kreml-treuen tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow. Am 13. Januar 2009 wurde der ehemalige Leibwächter Kadyrows, Umar Israilow, in Wien-Floridsdorf ermordet. Mehr als elf Jahre später, am 4. Juli 2020, wurde der Regime-Kritiker Mamichan „Anzor“ Umarow auf dem Parkplatz eines Industriegeländes in Gerasdorf mit sechs Schüssen exekutiert.

2022 zerstörte dann der Ausbruch des Ukraine-Krieges endgültig die Illusion, dass sich allein auf Basis enger wirtschaftlicher Verflechtung eine stabile Friedensordnung gründen ließe. Es war ein bitteres Erwachen, insbesondere in Österreich. Dass man sich hierzulande erst 2018 durch die neuen OMV-Gasverträge noch einmal verstärkt in Abhängigkeit von Moskau begeben hatte, sollte ebenso zu denken geben wie die Schwächung des Verfassungsschutzes infolge der „BVT-Affäre“. Eine Schlüsselrolle dabei soll der aus Wien stammende Wirecard-Manager Jan Marsalek gespielt haben. Er betätigt sich seit seiner Flucht 2020 selbst als Agentenführer für seine russischen Auftraggeber – profil berichtete.

Diplomatischer Ausweisungs-Poker

Als Folge des Angriffs auf die Ukraine wiesen westliche Staaten insgesamt 600 russische Diplomaten aus, unter denen 400 Geheimdienstmitarbeiter vermutet werden. Das war ein schwerer Schlag. Österreich beteiligte sich nur in geringem Ausmaß – auch aus Sorge, eine Vergeltung durch die Russen könnte die kleine eigene Vertretung in Moskau lahmlegen. Somit blieb die russische Präsenz in Wien stark: Anfang 2024 waren bilateral und bei den internationalen Organisationen immer noch 273 russische Diplomaten akkreditiert. Es ist davon auszugehen, dass mindestens ein Drittel Geheimdiensthintergrund haben dürfte.

Nicht umsonst zitierte die „Financial Times“ 2022 einen europäischen Diplomaten, der Österreich einen „veritablen Flugzeugträger“ für verdeckte russische Aktivitäten nannte. Zu Letzteren zählt auch das klassische Spionage-Handwerk: das Rekrutieren und Führen von Quellen sowie Informationsbeschaffung aller Art. Österreich ist ein zentraler Knotenpunkt, von dem aus man bequem über die rundum offenen Grenzen reisen kann. Intensiv beobachtet wird die ukrainische und russische Exil-Community. Dass die improvisierte Gedenkstätte für Alexei Nawalny gegenüber der russischen Botschaft von Unbekannten zerstört wurde, ist kein Zufall. Der kürzlich erfolgte Hammer-Angriff auf den Nawalny-Vertrauten Leonid Wolkow in Litauen und der Mord an dem übergelaufenen Hubschrauberpiloten Maxim Kusminow in Spanien zeigen, welchen Gefahren Regimegegner auch in der EU ausgesetzt sind.

Wiener Satellitenschüsseln

Mittlerweile soll ein Drittel aller russischen Geheimdienstaktivitäten entweder über Wien oder Genf laufen, das eine ähnlich hohe Diplomatendichte aufweist. Aber im Unterschied zur Schweiz, aus der offiziell noch niemand ausgewiesen wurde, hat Österreich in vier Jahren mittlerweile elf russische Diplomaten zu „unerwünschten Personen“ erklärt. Zuletzt war es Mitte März so weit: Bei den zwei ausgewiesenen Diplomaten soll es sich angeblich um einen GRU- beziehungsweise einen SWR-Offizier handeln. Beide sollen hohe Funktionen in der Botschaft bekleidet haben. Unter jenen, die bereits früher gehen mussten, war immerhin der „Resident“, also der ranghöchste Geheimdienstoffizier der Botschaft. „Klasse statt Masse“ scheint die Devise zu sein.

Im Unterschied zu anderen Staaten war jedoch bislang nur ein Mitglied des „administrativ-technischen Personals“ betroffen. Dieses bedient das Spionage-Equipment, das sich auch auf den Dächern russischer Einrichtungen in Wien findet. Mit „etwa zwölf“ Satellitenschüsseln ist allein die sogenannte Russencity, die Ständige Vertretung bei den internationalen Organisationen, bestückt. Diese zapfen Datenströme an, die über Satellit übertragen werden. In Den Haag, Brüssel oder Warschau wurden ähnliche Spionage-Stationen in russischen Konsulaten und Botschaften durch das gezielte Ausweisen der Techniker de facto lahmgelegt. Nicht so in Wien.

Dafür hat Österreich die Spionageabwehr auf neue Beine gestellt: Mit der 2021 neu installierten Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienste (DSN) verfügt die Republik zum ersten Mal über einen Inlandsnachrichtendienst. 2022 konnte die DSN einen GRU-Mann in Wien-Donaustadt verhaften. Angeklagt wurde der Mann aber bis heute nicht. Die Hürden für eine Anklage wegen Spionage sind hoch. Der betreffende Paragraf stammt aus dem Jahr 1956. Die DSN wiederum kann viele Mittel nicht nutzen, weil ihr dazu die Befugnis fehlt.

Der Ball liegt bei der Politik. Das Gentlemen’s Agreement aus früheren Zeiten gilt nicht mehr. Russland, aber auch andere Player wie China, Iran und die Türkei, sind bereit, rote Linien zu überschreiten. Werden solche Verletzungen des Gastrechts nicht sanktioniert, droht die Spionagedrehscheibe über kurz oder lang außer Kontrolle zu geraten.

 

Thomas Riegler ist Historiker und Geheimdienstexperte in Wien. Zuletzt veröffentlicht: „Österreichs geheime Dienste. Eine neue Geschichte“ (2022)