„Eine ­Mehrheit für Klitschko“

Sebastian Kurz: „Eine ­Mehrheit für Klitschko“

Interview. Außenminister Sebastian Kurz fordert eine internationale Untersuchung der ­Gewaltverbrechen in der Ukraine

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Interview: Robert Treichler

profil: Europa hat sich frühzeitig im ukrainischen Konflikt engagiert. Dennoch ist die Lage vergangene Woche katastrophal eskaliert. Wie konnte das passieren?
Sebastian Kurz: Die EU hat zu Recht nicht weggesehen und von Anfang an versucht zu vermitteln, um eine friedliche Lösung herbeizuführen. Das ist nicht gelungen, die Situation hat sich dramatisch verschlechtert – allein am Donnerstag vergangener Woche sind über 60 Personen zu Tode gekommen. Daher hat die EU sofort für den darauf folgenden Tag eine Sitzung einberufen. Dort einigten sich die EU-Außenminister auf Sanktionen. Das war aus meiner Sicht zu diesem Zeitpunkt der richtige Schritt. Rückblickend kann man sich vielleicht die Frage stellen, ob man Sanktionen nicht schon früher hätte beschließen sollen. Allerdings sind Sanktionen das letzte Druckmittel, das auf politisch-diplomatischer Ebene zur Verfügung steht. Wir werden uns einig sein, dass die EU nicht in der Ukraine einmarschiert.

profil: Einzelne EU-Vertreter haben sich früh und nahezu vorbehaltlos auf die Seite der Demonstranten gestellt. Der damalige deutsche Außenminister Guido Westerwelle etwa besuchte die Maidan-Demonstranten an der Seite von Oppositionsführer Vitali Klitschko. War das ein Fehler, wenn man anschließend als Vermittler auftreten will?
Kurz: Erstens waren das einzelne Außenminister, und zweitens glaube ich, dass es sehr wohl richtig ist, dass die EU die pro-europäischen Kräfte in der Ukraine unterstützt. Es gab immer auch Kontakte und einen Dialog mit Präsident Viktor Janukowitsch und seiner Regierung. Aber dass die EU starke Sympathie für pro-europäische Kräfte hat, ist eine Selbstverständlichkeit. Was die Gewalt der vergangenen Tage betrifft, die unvorstellbaren Szenen, die sich in Kiew abgespielt haben, sind wir der Meinung, dass die Hauptschuld bei der Regierung liegt.

profil: Präsident Janukowitsch hat die Bildung einer Übergangsregierung und Neuwahlen vorgeschlagen. Soll er angesichts dessen, was Sie und andere ihm und seiner Regierung vorwerfen, bei Neuwahlen kandidieren dürfen?
Kurz: Derzeit – Freitagnachmittag – finden gerade Verhandlungen zwischen den Außenministern der EU, der Regierung und der Opposition statt, und es gibt starke Anzeichen dafür, dass ein Kompromiss gefunden wird. Wenn ein solcher zustande kommt, und von beiden Seiten in der Ukraine mitgetragen wird, dann sollte die EU ihn selbstverständlich auch unterstützen. Der Vorschlag beinhaltet eine Übergangsregierung auf breiter Basis, die Änderung der Verfassung und die Vorbereitung von Neuwahlen.

profil: Mit Janukowitsch?
Kurz: Ich gehe davon aus, dass bei Neuwahlen derzeit Vitali Klitschko eine Mehrheit bekäme.

profil: Glauben Sie, dass Klitschko und die anderen Oppositionsführer die Bewegung so weit im Griff haben, dass sich auch die militanten Kräfte an den ausgehandelten Kompromiss halten?
Kurz: Laut unseren Informationen haben auch die extremen Gruppierungen diesem Kompromissvorschlag zugestimmt. Ich bitte aber um Verständnis – auch das kann sich natürlich stündlich ändern.

profil: Bei Neuwahlen wäre ein Sieg von Janukowitsch jedenfalls nicht auszuschließen. Könnte die EU ihn als Präsidenten akzeptieren?
Kurz: Ich glaube, dass es eine objektive Untersuchung der Geschehnisse der vergangenen Tage geben muss. Ganz klar ist, dass Menschenrechtsverletzungen oder gar die Ermordung von Menschen nicht sanktionslos bleiben dürfen. Diejenigen, die diese Verbrechen begangen haben, gehören zur Verantwortung gezogen. Wir werden in der Frage, wer Schuld an den Gewalttaten trägt, ähnlich wie bei den Sanktionen vorgehen, wo an einer Namensliste gearbeitet wird.

profil: Fordern Sie eine internationale Untersuchung?
Kurz: Ja, das ist angedacht, es gibt mehrere Institutionen wie den Europarat oder die OSZE, die dazu einen Beitrag leisten können.

profil: Sie sagen, es wird an der Erstellung der Sanktionenliste gearbeitet. Das heißt, die Sanktionsdrohung ist auch durch einen möglichen politischen Kompromiss nicht vom Tisch?
Kurz: Wir haben am vergangenen Donnerstag beim Außenministerrat der EU den politischen Beschluss für Sanktionen gefasst. Jetzt erstellt die EU eine Liste der Personen, die von den Sanktionen betroffen sein sollen. Das ist auch ein Damoklesschwert für die Verhandler auf Regierungsseite. Und dieser Druck zeigt zumindest derzeit auch Wirkung. In der Ukraine ist einiges in Bewegung geraten.

profil: Vergangene Woche sind in Wien mehrere Privat-Jets aus der Ukraine gelandet, darunter zwei Maschinen von Sergej Kljujev, einem Abgeordneten der ukrainischen Regierungspartei, der in Österreich einiges an Vermögen besitzen soll. Man vermutet, dass in Österreich große Summen von Personen gebunkert sind, die der ukrainischen Regierung nahestehen. Ist die Republik bei den Sanktionen besonders gefordert?
Kurz: In Österreich gibt es, wie in vielen anderen europäischen Ländern auch, ukrainisches Kapital. Insofern haben wir natürlich ein Interesse daran, dass, wenn es Personen gibt, die an den in der Ukraine begangenen Verbrechen schuld sind, diese nicht auf ihr Kapital zugreifen können. Kommen diese Personen auf die Namensliste, werden nicht nur europaweit die Konten dieser Personen eingefroren, die Betroffenen werden dann auch mit einem Einreiseverbot belegt. Bis dahin sollen in Österreich Geldinstitute auf Anweisung der Finanzmarktaufsicht verdächtige Kontobewegungen sofort melden. Bei Verdacht können Konten gesperrt werden.

Zur Person
Sebastian Kurz, 27,ist seit Dezember 2013 Bundes­minister für europäische und internationale Angelegenheiten. Im April 2011 holte der nunmehrige ÖVP-Obmann und Vizekanzler Michael Spindelegger Kurz als Staatssekretär für Integration in sein umgestaltetes Team. Der gebürtige Meidlinger ist seit 2009 der Bundesobmann der Jungen ÖVP.