Rebell, Hoffnungsträger, Despot: Die Ära Mugabe und ihr Ende
Anmerkung: Dieser Artikel erschien vor dem offiziellen Rücktritt Mugabes
Um Robert Mugabe muss man sich vorerst keine Sorgen machen. Ende vergangener Woche saß der Staatschef von Simbabwe in der Lounge seiner Residenz in Borrowdale, dem Luxusviertel von Harare, und blickte aus dem Lehnstuhl nach Norden über sein fast 20 Hektar großes Anwesen: den penibel manikürten Garten, die zwei Teiche, das angrenzende Waldstück. War ihm nach einem Nickerchen zumute, konnte er sein müdes Haupt in einem der 23 Schlafzimmer zur Ruhe betten, über die das prachtvolle Herrenhaus verfügt. Verspürte er Hunger, brauchte er nur die Hand zu heben, und schon eilten Dienstboten mit Speisen heran. Tee wurde, wie üblich, jeden Tag um fünf Uhr gereicht.
Man hätte meinen können, alles sei wie immer seit Monaten, Jahren und Jahrzehnten. Und trotzdem war alles ganz anders. Denn Robert Mugabe, erster und bislang einziger Staatschef der 1980 gegründeten Republik Simbabwe, war nach 37 Jahren an der Macht nur noch dem Titel nach Präsident. Er stand vielmehr unter Hausarrest. Ob der 93-Jährige das in seiner ganzen Tragweite erfasst hat, ist unbekannt. Eines ist aber gewiss: Wenn es nach ihm und seiner Partei ginge, würde er auf Lebenszeit über das südafrikanische Land herrschen.
Wie selbstverständlich hatte die ZANU-PF (Zimbabwe African National Union - Popular Front) ihren Vorsitzenden Mugabe für die Wahlen im kommenden Jahr wieder als Kandidaten nominiert -zum achten Mal. Wäre das geschehen, und hätte er 2018 gewonnen (woran wenig Zweifel besteht), dann wäre Mugabe 2024 mit 99 Jahren als ältester Regierungschef aller Zeiten in die Geschichte eingegangen.
Doch zuvor hat ihm ausgerechnet sein treuester Kampfgefährte Emmerson Mnangagwa einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er ließ am vergangenen Mittwoch Panzer vor Mugabes Anwesen in der Green Valley Lane auffahren und setzte seinen Parteichef unter Hausarrest.
Ob der greise Staatsmann schließlich zum Rücktritt gezwungen wird oder zumindest formell seine Titel behält, war bis Redaktionsschluss am Freitag abend unklar: Fest steht in beiden Fällen, dass vergangene Woche die Ära von Robert Mugabe zu Ende gezwungen wurde - für afrikanische Verhältnisse vorerst vergleichsweise undramatisch, ohne Blutvergießen und Chaos.
Der Blick auf das Monument, das da vom Sockel gestürzt wurde, war je nach Perspektive bis zuletzt recht unterschiedlich. Im Westen gilt Mugabe als Verkörperung des afrikanischen "Big Man": machtversessen, antidemokratisch, gierig und korrupt. In weiten Teilen Afrikas wird der Mann, der seine feurigen Reden mit geballter, in die Luft gestreckter rechter Faust zu schwingen pflegte, hingegen bis heute als antiimperialistisches Vorbild geschätzt.
In den Augen der heimischen Opposition schließlich wurde er ein zunehmend clownesker Salonrevolutionär, der zu seinem Machterhalt das ganze Land ruinierte. Trotzdem wollte es der Opposition partout nicht gelingen, den Langzeitherrscher aus dem Verkehr zu ziehen. Das blieb jenen vorbehalten, die den Machthaber bislang am robustesten gestützt hatten: seinen Kameraden der ehemaligen Befreiungsbewegung ZANU-PF und namentlich seinem einstigen Adjutanten Emmerson Mnangagwa.
Ihre gemeinsame Geschichte ist auch die Geschichte der Republik Simbabwe, die mit der Unabhängigkeit vom britischen Empire und der Hoffnung auf den Aufbruch in eine demokratische Zukunft begann -und über fast 40 Jahrzehnte immer tiefer in eine nepotistische Despotie führte.
I. Robert, Freund des Westens
Emmerson Mnangagwa ist bereits dabei, als Robert Mugabe in den 1960er-Jahren (zu dieser Zeit heißt Simbabwe noch Rhodesien und befindet sich unter britischer Kolonialherrschaft) im Gefängnis sitzt. Die beiden Männer teilen sich eine Zelle, nachdem sie wegen Sabotage eingesperrt worden sind. Der in einer katholischen Missionsschule ausgebildete Lehrer Mugabe nutzt die Zeit hinter Gittern, um über Fernuniversitäten weitere Diplome abzulegen; insgesamt sammelt er sieben Universitätsabschlüsse. Als Denker und ausgezeichneter Stratege geschätzt, schafft Mugabe es bis zur Spitze der von China unterstützten Simbabwischen Afrikanischen Nationalen Befreiungsbewegung (ZANLA). In dieser Funktion habe er auch ein "Diplom in Gewalt" abgelegt, brüstet er sich später.
Mugabes Kampf ist schließlich erfolgreich: Das Rassisten-Regime von Präsident Ian Smith wird geschlagen, Simbabwe 1980 unabhängig. Zigtausende weißer Rhodesier verlassen das Land: Sie können sich nicht vorstellen, von einem schwarzen Präsidenten regiert zu werden.
Umso überraschender gestaltet sich der Amtsantritt Robert Mugabes. Der neue Regierungschef reicht der weißen Minderheit die Hand zur Versöhnung; es kommt weder zu Racheakten noch zur Enteignung ihrer weitläufigen Farmen. Stattdessen wendet sich der Mann mit dem Gewalt-Diplom gegen seine eigenen Landsleute. Er wirft dem Minderheitenvolk der Ndebele vor, einen Aufstand gegen die Shona-Mehrheit vorzubereiten, zu der er selbst gehört - und schickt die von den Nordkoreanern ausgebildete 5. Brigade der Armee zu einer Strafexpedition los. Fast 20.000 Ndebele sterben, darunter zahlreiche Zivilisten.
Dennoch gilt der Ex-Rebell Mugabe zu dieser Zeit im Westen als loyaler Verbündeter. Die Massaker werden diplomatisch unter den Teppich gekehrt. Er wird in London von Königin Elisabeth II. zum Fünf-Uhr-Tee gebeten und überrascht Staatsbesucher in Simbabwe seinerseits mit britischer Höflichkeit und gepflegter Konversation.
15 Jahre lang gilt Mugabe als afrikanischer Vorzeige-Staatsmann. In Simbabwe wird regelmäßig gewählt, und dass er jedes Mal ein noch besseres Ergebnis einfährt (1996 sind es gar 92,76 Prozent), kommt offiziell niemandem seltsam vor. Währenddessen beginnt es im Land jedoch zu brodeln.
II. Mit Grace und Gucci
In Simbabwe entsteht in den 1990er-Jahren eine Opposition, die vom politischen Stillstand und dem schleichenden wirtschaftlichen Niedergang des Landes enttäuscht ist: Der nationale Gründervater wird erstmals infrage gestellt. Als gewiefter Stratege glaubt Mugabe zu wissen, wie dem drohenden Machtverlust zu begegnen ist. Im Jahr 2000 initiiert er eine radikale Bodenreform und mobilisiert die Bevölkerung. Farmen werden besetzt, weiße Landwirte verjagt; Mugabe kann sich erneut als Befreiungskämpfer profilieren. Was ihm an den Wahlurnen an Zustimmung dennoch fehlt, wird mit Manipulationen ausgeglichen.
Was folgt, sind fast zwei Jahrzehnte des Verfalls: Die einstige Kornkammer des südlichen Afrikas taumelt von einer Wirtschaftskrise in die nächste, die Bevölkerung verlässt in Scharen das Land. Erst ist die Welt noch empört, dann belächelt sie den zusehends vergreisenden Machthaber nur noch: Simbabwe gilt als hoffnungsloser Fall.
Für den persönlichen Niedergang Mugabes wird nicht zuletzt sein Privatleben verantwortlich gemacht. Als er noch mit seiner ghanaischen Frau Sally verheiratet war, soll er wesentlich ausgeglichener gewesen sein, sagen Vertraute. Doch Sally erkrankt an Krebs - und während sie auf dem Sterbebett liegt, zeugt Mugabe ein Kind mit seiner Sekretärin Grace Marufu, ihrerseits verheiratet und Mutter eines Sohnes.
Nachdem Sally gestorben und der Ehemann von Grace aus dem Weg geräumt ist, steht im Jahr 1996 der Vermählung Mugabes mit seiner 41 Jahre jüngeren Partnerin nichts mehr im Weg. Die opulente Feier wird von der einheimischen Presse als "Hochzeit des Jahrhunderts" bejubelt. Schon damals kündigt sich an, was schließlich zum Markenzeichen der neuen First Lady werden soll: unbändige materielle Gier.
"Gucci Grace" wird die Präsidentengattin spöttisch genannt. Bei Auslandsreisen pflegt sie binnen weniger Stunden den Gegenwert hunderter simbabwischer Durchschnittsgehälter zu verpulvern. Fotografen, welche die Prasserei dokumentieren, bekommen es mit ihren Bodyguards zu tun. Manchmal langt Grace auch selbst zu - etwa im Sommer 2017, als sie die junge Freundin eines ihrer Söhne krankenhausreif schlägt.
Je älter ihr Ehemann wird, desto ausgeprägter kommt eine andere Ambition von Grace zum Vorschein: die Machtpolitik. 2014 lässt sie sich von der University of Simbabwe einen Doktortitel ausstellen und per Akklamation zur Vorsitzenden der Frauenliga der Regierungspartei ZANU-PF wählen. Für Beobachter in Simbabwe ist klar: Hier wird die Nachfolge von Mugabe vorbereitet.
Wer als Mastermind dahintersteht, der alte Stratege oder seine ehrgeizige Gemahlin, ist selbst unter Kennern der First Family umstritten. Jedenfalls taucht 2014 zum ersten Mal die Horrorvorstellung auf, die 52-jährige Grace könnte die Mugabe-Dynastie nach dem Ableben von Robert noch ein paar Jahrzehnte fortführen.
III. Endspiel mit Krokodil
Robert Mugabe tut jedenfalls alles, um genau das in die Wege zu leiten. Mit einer kaltblütigen Säuberungswelle stellt er zunächst jene Frau kalt, die als Favoritin im heraufdräuenden Nachfolgekrieg gilt - seine Stellvertreterin Joice Mujuru.
Die ehemalige Befreiungskämpferin wird nicht nur eines Mordkomplotts gegen den Präsidenten bezichtigt, sondern sicherheitshalber auch noch der Hexerei. Sie schafft es gerade noch, ihrer Verhaftung zu entkommen, indem sie sich ins benachbarte Südafrika absetzt.
Dabei ziehen Mugabe und Emmerson Mnangagwa noch am selben Strang. Doch dann setzt der Präsident dazu an, sich auch seines treuen Adjutanten zu entledigen. Anfang November bezichtigt er Mnangagwa der Illoyalität und des Verstoßes gegen die Parteidisziplin. Der seiner Verschlagenheit wegen "das Krokodil" genannte Vizepräsident wird seines Amtes enthoben und aus der Partei geworfen. Nun scheint der Weg für Grace ins Präsidentenamt frei zu sein. Sie soll bereits beim Parteitag im Dezember zur Stellvertreterin ihres greisen Gatten ernannt werden.
Doch inzwischen ist dem Oberstrategen Mugabe ein verhängnisvoller Fehler unterlaufen: Ausgerechnet er hat den Zusammenhalt der ehemaligen Befreiungskämpfer und die enge Verbindung Mnangagwas zu den Sicherheitskräften unterschätzt. Gemeinsam mit seinem Freund, Armeechef Constantino Chiwenga, holt das "Krokodil" zum Gegenschlag aus: Panzer fahren in Harare auf, der staatliche Rundfunksender wird von Soldaten besetzt, Mugabe mit Familie in seiner Villa arretiert. Noch einmal sieht sich der ehemalige Befreiungsführer seiner Freiheit beraubt - dieses Mal durch die Hände seines treuesten Dieners. Mugabe ist zum Opfer seiner eigenen Methoden geworden.
In den Straßen von Harare, in Oppositionskreisen und unter Diplomaten macht sich Erleichterung breit; die Gefahr einer Mugabe-Dynastie scheint abgewendet zu sein. Doch was stattdessen kommt, steht noch lange nicht fest: In der Person des 75-jährigen Mnangagwa lebt der Geist der vordemokratischen ZANU-PF weiter. Zu Wahlen und einem demokratischen Übergang wird es unter Mnangagwa jedenfalls so schnell nicht kommen - eher zu einer erneuten Säuberung der Regierungspartei.
Der greise Mugabe soll sich gegen den erzwungenen Stabswechsel übrigens noch stemmen. Etwas anderes war von dem ewigen Rebellen aber auch gar nicht zu erwarten.