Im ORF-Sommergespräch hat Sebastian Kurz nicht ganz die Wahrheit gesagt.

Sommergespräch: Hat Kurz mit den Zahlen getrickst?

Vor einer Woche behauptete Sebastian Kurz, Österreich gibt „überproportional“ viel Geld für Entwicklungshilfe aus. Aber stimmt das auch?

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Wie reagieren auf die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan? Darauf, dass Frauenrechtlerinnen oder ehemalige Helfer der westlichen Alliierten um ihr Leben fürchten müssen? Österreichs Position ist bekannt: Die Regierung wird keine Schutzbedürftigen aufnehmen, sondern „Hilfe vor Ort“ leisten. „Wir leisten unseren Beitrag vor Ort. Das tun wir in einer überproportionalen Art und Weise“, so Sebastian Kurz vergangene Woche im ORF-Sommergespräch. Aber stimmt das auch?

„Die Zahlen belegen das Gegenteil“, sagt Michael Obrovsky, der seit mehr als 30 Jahren  für die Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) arbeitet. „Österreich hat in den letzten 50 Jahren keinen überproportionalen, sondern einen bescheidenen Beitrag geleistet.“

Entwicklungshilfe der DAC-Länder im Vergleich

Dabei haben die Vereinten Nationen  bereits 1970 eine Messlatte vorgegeben: 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens sollen Staaten mit hohem Pro-Kopf-Einkommen für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben. Von diesem Richtwert ist Österreich auch 40 Jahre später weit entfernt (siehe Grafik). „Mit 0,29 Prozent liegen wir sogar unter dem EU-Durchschnitt“, sagt Obrovsky. Überproportional wäre, wenn Österreich jährlich 2,6 Milliarden bilanzieren würde. Derzeit liegen wir bei weniger als der Hälfte: Knapp eine Milliarde Euro war es 2019. Das klingt nach viel – aber kommt das Geld auch als „Hilfe vor Ort“ an?

„Nein“, so Obrovsky, „denn ein Großteil fließt nicht bilateral, sondern an multilaterale Organisationen. Die Bundesregierung kann also nicht mitentscheiden, wo und wie das Geld eingesetzt wird.“ Es sei außerdem nicht wahr, dass die gesamte Summe an Projekte im Ausland fließe. Das Geld werde auch zur Versorgung von Asylwerbern in Österreich ausgegeben, für Administratives und für die Finanzierung von Studienplätzen. Wie groß ist also der Topf für die „Hilfe vor Ort“? Obrovsky schätzt den Anteil auf rund 160 Millionen Euro. Rund 18 Millionen davon fließen als Soforthilfe nach Afghanistan.

In einem Punkt hat Kurz allerdings recht: „In seiner Zeit als Außenminister wurde die humanitäre Hilfe verzehnfacht und liegt jetzt bei 50 Millionen Euro“, so Obrovsky. Doch auch hier gehört Österreich nicht zu den Spitzenreitern: Das zehn Mal größere Deutschland leistet einen um das Fünfzigfache höheren Betrag.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.