Trump berichtet von Dutzenden Anhängern, die ihn immer wieder seiner kräftigen und schönen Hände wegen loben.

Unsicherheit hat kurze Finger

Georg Hoffmann-Ostenhof über Hillary Clinton, Donald Trump und Sex im aktuellen US-Wahlkampf.

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Es sieht ganz so aus, als ob ein Politiker-Penis und insbesondere seine Länge nicht unwesentlich bei der Entscheidung mitspielen würde, wer die kommenden Jahre das Schicksal der globalen Supermacht in Händen hält. Doch, doch, Donald Trump, der Immobilien-Unternehmer, TV-Showmaster und republikanische Präsidentschaftskandidat spricht über sein bestes Stück. Und ganz Amerika mit ihm: eine Premiere in der Geschichte amerikanischer Wahlkämpfe.

Das hat eine Vorgeschichte. Dass in den USA so ausführlich und mit Gusto von den Pantscherln, Affären und anderen Intimitäten der Politiker berichtet wird, ist für Europäer sehr befremdlich. In unseren Breiten mag man sich auch dafür interessieren, was die Volksvertreter so in den Betten treiben. Aber man ist weitgehend diskret. So zurückhaltend war freilich lange Zeit auch die amerikanische Öffentlichkeit.

John F. Kennedy etwa konnte Anfang der 1960er-Jahre noch eine Unzahl außereheliche Abenteuer unternehmen, ohne dass diese der breiten Öffentlichkeit bekannt wurden. Die Insider, auch jene in den Medien, wussten von den geradezu obsessiven Schürzenjägereien des gefeierten Präsidenten, aber niemand schrieb darüber. Ein Vierteljahrhundert später wurde klar: Was die amerikanischen Politiker mit ihren libidinösen Energien anstellten, war nicht mehr Privatsache.

Trumps Sexualaktivitäten werden wohl weniger im Brennpunkt der Öffentlichkeit stehen als vielmehr sein Gemächt und dessen Ausmaße.

Gary Hart, der aussichtsreiche demokratische Präsidentschaftsanwärter bei den Wahlen 1988, ein brillanter Politiker, der in den Umfragen weit vor dem Republikaner George H. W. Bush lag, stolperte über ein Foto, das ihn mit seiner schönen Geliebten Donna Rice auf einem Boot zeigte. Sie saß auf seinem Schoß, beide lächelten in die Kamera. Hart warf das Handtuch.

Mit Bill Clinton eskalierte dann in den 1990er-Jahren das Interesse am Sexleben der Politiker. Und da war auch so einiges zu berichten: Wie sein Vorbild Kennedy erwies sich der Mann aus Arkansas als Womanizer hohen Grades. Mit sichtlichem Genuss und moralischer Entrüstung wurden seine Eskapaden - von Gennifer Flowers bis Monica Lewinsky - in der Öffentlichkeit ausgebreitet. Alle Versuche der Republikaner, den demokratischen Präsidenten durch die Aufdeckung seines unzüchtigen Lebenswandels politisch zu ruinieren, schlugen aber fehl. Am Ende seiner zweiten Amtszeit, nach einem gescheiterten Impeachment-Verfahren, erfreute sich Bill Clinton größerer Beliebtheit denn je.

Hillary, die betrogene Ehefrau, ist nun - nach Ausflügen in den Senat und ins State Departement - auf dem Sprung (zurück) ins Weiße Haus. Ihre Gegner versuchen in alter Manier, auch ihr sexuelle "Verfehlungen“ vorzuwerfen. Sie sei lesbischer Liebe nicht abgeneigt, wird kolportiert. Vor allem habe sie, die deklarierte Feministin, sich dazumal als zynische Komplizin bei den als "sexistisch“ denunzierten Affären ihres Mannes betätigt, wird insinuiert. Und Bills unzählige Liebschaften von anno dazumal werden wieder aufgewärmt. Wie es aussieht, springt jedoch das Publikum auf diese "Enthüllungen“ nicht wirklich an.

Zurück zu Trump. Seine Sexualaktivitäten werden wohl weniger im Brennpunkt der Öffentlichkeit stehen als vielmehr sein Gemächt und dessen Ausmaße. Und das hat allein er selbst zu verantworten.

Trump fühlt sich in seiner Männlichkeit angegriffen.

Das kam so: Am 29. Februar dieses Jahres, als die republikanischen Vorwahlen ihre heiße Phase erreicht hatten, versuchte Marco Rubio, der Senator von Florida, den Dauerangriffen des vorwärtsstürmenden Bauunternehmers - dieser hatte ihm den spöttischen Spitznamen "Little Marco“ verpasst - etwas entgegenzusetzen. In einer der Debatten merkte Rubio an, er wundere sich, dass ein so hochgewachsener Mann wie Trump so kleine Hände habe.

Die vermeintlich "kleinen Hände“ Trumps haben bereits eine längere Geschichte. 1986 begann das Satiremagazin "Spy“, den damals aufstrebenden Bauunternehmer "short fingered Vulgarian“ - zu Deutsch: "ordinärer Protzer mit kurzen Fingern“ - zu nennen. Das wollte Trump nicht auf sich sitzen lassen. "Seit damals sendet er mir - bis zum heutigen Tag - regelmäßig Fotos aus Magazinen, auf denen seine Hände mit einem goldenen Marker dick eingekreist sind“, berichtet Graydon Carter, einer der "Spy“-Gründer.

Als Antwort auf Rubio streckte Trump nun mehrfach seine Hände zum Beweis den TV-Kameras entgegen, um zu zeigen, dass sie doch ganz normal gewachsen seien. Und dann machte er klar, was ihn wirklich störte: "Und hier“, er zeigt auf die untere Hälfte seines Körpers, "ist auch alles in Ordnung.“ Offenbar glaubt er an die vielfach widerlegte Volksweisheit, dass die Maße der Extremitäten eines Mannes etwas über jene seines Geschlechtsteils aussagen. Er fühlt sich in seiner Männlichkeit angegriffen.

Seither kommt er in mehreren Interviews unaufgefordert auf das Thema zu sprechen, um in redundanter Weise zu versichern, dass er da "keine Probleme“ habe. Und er berichtet von Dutzenden Anhängern, die ihn immer wieder seiner kräftigen und schönen Hände wegen loben.

Die Sehnsucht nach der vergangenen Zeit, als "ein richtiger Mann“ noch etwas galt, hat Trump zur Identifikationsfigur für viele gemacht.

Man hat ihm Demagogie vorgeworfen, ihn mit Hitler verglichen und als Faschisten beschimpft: Nichts konnte Trumps Aufstieg stoppen. Das Thema der kurzen Finger des Donald Trump bleibt aber ein Dauerbrenner. Und scheint Trump wirklich zu schaden. Erst kürzlich veröffentlichte eine satirische Hillary-Unterstützergruppe mit dem Namen "Americans Against Insecure Billionaires With Tiny Hands“ ein Wahlkampf-Video, in dem unter anderem gefragt wird, ob seine "winzigen Hände den Telefonhörer abheben könnten, wenn um drei Uhr früh im Weißen Haus ein Anruf kommt“, um schließlich zu verkünden: "Amerika hat ein Recht auf die Maße seiner Hände.“ Im Internet wurde der Spot millionenfach angeklickt.

Auch die seriösen Wahlkämpfer haben es begriffen. Es ist auffallend, wie häufig Hillary formuliert, dass man Trump Amerika "nicht in die Hand geben“ dürfe. Und Elizabeth Warren, die demokratische Senatorin von Massachusetts, machte Furore mit der Formulierung: Trump sei "a small insecure money-grubber“, ein kleiner, unsicherer Geldgrapscher. Seit Kurzem zeigt die Kurve seiner Zustimmungswerte nach unten.

Ohne Zweifel seien, so analysieren US-Psychologen wie etwa Ben Michaelis in der Zeitschrift "Vanity Fair“, Trumps penetrantes Prahlen und seine Großsprecherei - wie reich, wie intelligent, entscheidungsstark und erfolgreich bei Frauen er sei - auf eine narzisstische Störung und einen sexuell grundierten tiefsitzenden Minderwertigkeitskomplex zurückzuführen. Und die von ihm mit seinem grandiosen Gebaren überspielte Unsicherheit dürfte mit jener der ihm zujubelnden Massen korrespondieren.

In einer Zeit, in der sich die Geschlechterrollen rasend schnell verändert haben, verkörpert er mit seinen sexistischen Ausfällen und permanenten Versuchen, Frauen zu entwerten, karikaturhaft das männliche Rollenbild, das durch die sexuelle Revolution und die Frauenbefreiung der vergangenen Jahrzehnte obsolet geworden ist. Die Sehnsucht nach der vergangenen Zeit, als "ein richtiger Mann“ noch etwas galt und man nicht durch dauernde political correctness belästigt wurde, hat ihn zur Identifikationsfigur für viele gemacht: Vor allem für die älteren, schlecht ausgebildeten weißen Männer, welche die große Mehrheit seiner Adoranten ausmachen.

Bei dem Aufeinandertreffen von Hillary Clinton und Donald Trump werden die Funken sprühen.

Man braucht keine psychoanalytische Ausbildung genossen zu haben, um zu ahnen, dass Trump bei seinen Tiraden über das bedrohte, verratene und verlachte Amerika, das so überaus schwach sei und "wieder groß“ gemacht werden müsse, auch sich selbst meint - und damit gleichermaßen seine verunsicherte Anhängerschaft.

Die direkte Konfrontation zwischen Donald Trump und Hillary Clinton in den kommenden Monaten verspricht jedenfalls höchste Spannung. Sie, die starke, emanzipierte und ambitionierte Frau, die so beeindruckend (und für viele in unsympathischer Weise) "ihren Mann stellt“ und nach dem höchsten Amt im Staate greift, inkarniert all das, was jene Macho-Nostalgiker, die zu Trumps Wahlveranstaltungen strömen, fürchten. Bei dem Aufeinandertreffen der beiden werden die Funken sprühen. Und ohne hormonelle Aufwallungen wird es nicht abgehen.

Die Demokraten werden sich wohl die weitere Erwähnung der Trump’schen Hände, Finger und alles, was damit zusammenhängt, nicht entgehen lassen. Er wird - wie schon bisher - unkontrolliert darauf reagieren und zum Gegenangriff ansetzen: Davon, wie dieser aussehen könnte, hat er schon einen Vorgeschmack gegeben. "Wenn Hillary Clinton nicht einmal ihren Mann befriedigen konnte“, spielte er vor Kurzem auf Twitter auf das multiple Fremdgehen Bill Clintons an, "wie glaubt sie, die Amerikaner zufriedenstellen zu können?“

Es wird tief. Sehr tief.

Georg Hoffmann-Ostenhof