Oui? Non! Non? Oui! Emmanuel Macron oder Marine Le Pen?
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Wahl in Frankreich: Kann Le Pen noch gewinnen?

Frankreich Wahl: Kann Le Pen noch gewinnen?

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Die Kandidaten der traditionellen Großparteien sind eliminiert, die Rechtspopulistin Marine Le Pen steht in der Entscheidung der französischen Präsidentschaftswahlen am 7. Mai dem Proeuropäer Emmanuel Macron gegenüber. Österreicher mögen der Meinung sein, sie hätten mit dem Duell Norbert Hofer gegen Alexander Van der Bellen bei den Bundespräsidentenwahlen des vergangenen Jahres dieses Szenario bereits vorweggenommen. Das stimmt zwar, allerdings ist die Dimension kaum vergleichbar. In Frankreich hat der Staatspräsident ungleich mehr Macht, von der Bedeutung des Landes für Europa ganz zu schweigen.

Zudem war es für SPÖ und ÖVP noch einigermaßen erträglich, die Stichwahl von der Verlierercouch aus zu betrachten, in Paris hingegen sind die Nachrufe, die auf die Sozialistische Partei und die Parteien im Allgemeinen geschrieben werden, ganz ohne Spur von Ironie.

Im Jahr eins nach Trump und Brexit nehmen die politischen Verwerfungen kein Ende. Was bei den Präsidentschaftswahlen und den darauffolgenden Parlamentswahlen herauskommen wird, könnte katastrophal für die zweitgrößte Volkswirtschaft des Kontinents und damit für ganz Europa sein -oder befreiend. Oder gar nicht so anders, als es jetzt scheint.

Marine Le Pen kann gewinnen.

Der Schocker. Seit dem (überraschenden) Ja der Briten zum Brexit und dem (sensationellen) Sieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen lautet die Bauernregel für gruselige Wahlprognosen: Soll sich das System ruhig in Sicherheit wiegen, es wird anders kommen! Die Umfragen mögen zwar konsistent ergeben, dass der Favorit Emmanuel Macron die Außenseiterin Marine Le Pen schlagen wird, doch der scheinbar jetzt schon Besiegten bleiben zwei Hoffnungen: In den zwei Wochen zwischen den Wahlgängen kann einiges passieren. Le Pen versucht, die Bürde der Geschichte ihrer Partei, des Front National, abzuwerfen, indem sie den Parteivorsitz zurücklegt und so die Hemmschwelle senkt, für sie zu stimmen. Außerdem wird sie Macrons globalisierungs-und europafreundliche Haltung anprangern, um auch linke EU-Skeptiker auf ihre Seite zu ziehen. Die Wähler von Jean-Luc Mélenchon, dem sehr weit links stehenden Viertplatzierten des ersten Wahlgangs, tendieren immerhin zu fast einem Fünftel zu Le Pen.

Rechnerisch bleibt Le Pen nur eine kleine Chance: Wenn die Wahlbeteiligung um 50 Prozent oder weniger beträgt - was sehr unwahrscheinlich ist, 2012 lag sie bei 75 Prozent -, könnte ihr Potenzial für einen Sieg reichen. Einen Stimmenrekord hat die Rechtsaußen- Kandidatin bereits im ersten Durchgang erzielt: 7,68 Millionen Stimmen hatte der Front National noch bei keiner Wahl.

Marine Le Pen kann nicht gewinnen.

Wenn Emmanuel Macron nicht in flagranti beim Stehlen silberner Löffel erwischt wird, ist ihm der Einzug in den Élyséepalast sicher. Marine Le Pen hat keine Chance, doch noch das Rennen zu machen. Seit Wochen sagen die Umfragen stabil das Gleiche: Der Animator von "En Marche" wird bei der Stichwahl am übernächsten Sonntag um etwa 20 bis 30 Prozentpunkte vor der Chefin des Front National liegen. Und diesmal kann man den Demoskopen vertrauen: Präziser hätten sie das Wahlergebnis des ersten Durchgangs der Présidentielles 2017 nicht voraussagen können.

Noch am Wahlabend riefen François Fillon, der unterlegene Kandidat der Konservativen, und der Sozialist Benoît Hamon ihre Anhänger auf, nun Macron zu wählen. Fast alle wesentlichen konservativen und linken Politiker (auch Kommunisten) handelten ebenso. Es gilt, eine Präsidentin Le Pen zu verhindern. Diese breite "republikanische Front" gegen Rechtsaußen hat in Frankreich Tradition. Nur der radikallinke Jean-Luc Mélenchon scherte aus und wollte keine klare Wahlempfehlung abgeben. Aber auch seine Wähler, berichten Meinungsforscher, werden -vielfach mit zugehaltener Nase -in ihrer großen Mehrheit für den von Mélenchon als "neoliberal" verteufelten Macron votieren.

Es sieht ganz so aus, als ob selbst ein dramatischer Terroranschlag Le Pen nicht mehr an die Staatsspitze katapultieren könnte: Die tödlichen Schüsse eines Dschihadisten auf den Champs Élysées drei Tage vor dem ersten Durchgang hatten keinen messbaren Einfluss mehr auf das Wahlergebnis. In Paris, also dort, wo der Anschlag verübt wurde, stimmte vergangenen Sonntag nur jeder zwanzigste Wähler für die Rechtspopulistin.

Sind die Parteien tot? Ist Macron ein Linker?

Emmanuel Macron ist kein Linker.

Die Links-Sozialisten verachten ihn als "Neoliberalen", die moderaten Linken sehen in ihm den Retter ihres Lagers, die rechten und die noch rechteren Gegner bezeichnen ihn als typischen Sozialisten und nennen ihn spöttisch "Emmanuel Hollande". Wie links ist Macron? Will man ihm zugestehen, selbst darüber zu urteilen, taugt dieses Zitat als deutliches Indiz: "Die Aufrichtigkeit verpflichtet mich, Ihnen zu sagen, dass ich kein Sozialist bin." Macron sagte das im August 2016 zu Journalisten, kurz bevor er als Minister der sozialistischen Regierung zurücktrat.

Sein Wahlprogramm beinhaltet gerade in Macrons Kernkompetenz, der Wirtschaftspolitik, Versprechen, die in den Ohren der Linken nach gefährlichen Drohungen klingen: Macron möchte den Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt deutlich absenken, und zwar von derzeit 57 Prozent auf 52 Prozent (der EU-Schnitt liegt bei 47,2 Prozent). Er möchte somit den Staat schlanker machen und dazu unter anderem 120.000 Beamtenstellen abbauen - nicht eben ein Steckenpferd der französischen Linken. Auch das Vorhaben des ehemaligen Wirtschaftsministers, "das Vertrauen unserer europäischen Partner wiederherzustellen", indem das jährliche Defizit bereits 2017 unter die vom EU-Fiskalpakt geforderte Grenze von drei Prozent (gemessen am BIP) gesenkt wird, trennt Macron deutlich von der linken Denkschule gegenüber neuen Schulden. Dazu soll die Körperschaftssteuer (auf Unternehmensgewinne) von 33,3 auf 25 Prozent gesenkt werden. Schließlich die symbolträchtige, von Linken herbeigesehnte Finanztransaktionssteuer: Der ehemalige Rothschild-Banker spricht sich zwar prinzipiell dafür aus, allerdings nur unter der Bedingung, dass auch Großbritannien mitmacht. Subtiler kann man ein "Nein" kaum formulieren.

Falls die französische Linke Macron adoptiert, muss sie ein paar lieb gewonnene Teile ihrer Wirtschaftsdoktrin in die Seine kippen.

Emmanuel Macron ist ein Linker.

Mit seiner Selbstdefinition, "weder links noch rechts" zu sein, hat Emmanuel Macron Erfolg bei den frustrierten Franzosen: Die haben die Parteien satt, von deren immer gleichen Politikern sie seit Jahrzehnten schlecht regiert werden. Da wirkt der scheinbar unideologische , junge Reformer mit seinem "En Marche" (Vowärts) neu und erfrischend.

Die Gründung dieser Bewegung war ein brillantes Polit-Manöver, das aber nicht vergessen machen kann, dass Macrons politische Biografie durchgängig rot ist. 2002 unterstützte dieser die Kandidatur des linkssozialistischen Präsidentschaftskandidaten Jean-Pierre Chévenement; dem Sozialisten im Elysee, François Hollande, diente Macron von Beginn an als Chef-Wirtschaftsberater - auch zu der Zeit, als der glücklose Hollande deklarierte, kein Freund der "internationalen Finanz" zu sein. Sein Amt als Wirtschaftsminister in der Linksregierung gab Macron erst vergangenes Jahr auf. Keine Frage: Antikapitalistische Rhetorik ist in seinem Programm nicht zu finden. Macron hat jedoch durchaus eine aktive keynesianische Politik der Staatsinterventionen in die französische Wirtschaft im Sinn. Er ist liberal auf allen Ebenen: eben nicht nur im Bereich der Wirtschaft, sondern auch, und da ganz prononciert, gesellschaftspolitisch - was im französischen Kontext eindeutig links ist.

Er steht eingestandenermaßen -freilich unter anderen Bedingungen -für eine Politik, die an der Jahrhundertwende sozialdemokratische Politiker wie der deutsche Gerhard Schröder und der Brite Tony Blair unter dem Slogan "Dritter Weg" populär machten. Auch in Frankreich findet Macron Vorbilder: Er beruft sich auf den einstigen Premierminister Michel Rocard (1988-1991), der auch als Chef der Sozialisten Anfang der 1990er-Jahre mit seinen linksliberalen Ideen prägend war. In dieser Tradition steht Macron.

Die französichen Parteien sind am Ende.

Dass eine Partei implodiert, kann schon mal vorkommen. Aber im Wahlkampf 2017 mutieren praktisch alle Parteien zu lästigen Anhängseln, derer sich die Kandidaten zu entledigen versuchen - wenn sie ihnen nicht längst schon den Rücken gekehrt haben. Diese Entwicklung ist das Resultat eines Verfalls der Glaubwürdigkeit der beiden großen politischen Familien. Deren Präsidenten - Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und François Hollande -haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen heilsamen Bruch mit der sklerotischen Verfasstheit des Staates angekündigt und sind dabei monumental gescheitert. Eine Konsequenz ist der Aufstieg einer dritten Partei, die bisher nicht an der Macht war - des rechtspopulistischen Front National.

Doch der Unmut gegenüber traditionellen Parteien hat eine nicht ganz neue Form des politischen Machtanspruchs hervorgebracht: die Bewegung, die keine Partei sein will. Diese Parteienskepsis war bereits typisch für Charles de Gaulle, den legendären Nachkriegspolitiker.

Die Kandidatur à la mode verzichtet auf Gremien, Vorwahlen und Strukturen. Emmanuel Macron und Jean-Luc Mélenchon haben mit ihren Bewegungen "En Marche" respektive "La France insoumise" gezeigt, was es braucht: eine starke Figur, die allein repräsentiert, weitere Funktionen besetzt und auf diese Weise Unabhängigkeit von herkömmlichen Parteiapparaten demonstriert. Apparate und Apparatschiks hätten die Parteien getötet, urteilt Richard Ferrand, Generalsekretär von "En Marche".

Macrons Organisation wird oft mit einem Start-up-Unternehmen verglichen. Modern, beweglich, ohne historischen Ballast und mühsame Basisabstimmungen. Wie allerdings demokratische Prozesse innerhalb der Bewegung ablaufen sollen, ohne die verpönten Parteistrukturen zu bemühen, ist unklar.

Georg Hoffmann-Ostenhof