BaAka-Tänzer

Zentralafrika: Zwei NGOs streiten um ein uraltes Pygmäenvolk

Ist der WWF schuld daran, dass ein uraltes Pygmäenvolk unter erbärmlichen Bedingungen dahinvegetieren muss? Ja, behauptet die Menschenrechts-NGO Survival International - und zerrt die Umweltschützer vor ein internationales Schiedsgericht: Eine Ursachenforschung im zentralafrikanischen Urwald.

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Bevor die Pirsch beginnen kann, müssen erst die bösen Geister vertrieben werden, die den Jägern aus dem Dorf in den Dschungel gefolgt sind - daran glauben die kleingewachsenen Menschen, die auf einer kleinen Lichtung einen Kreis gebildet haben, seit Urzeiten: Die Gruppe umringt einen Baumstamm, an dem sie zuvor Blätter eines Dschungelriesen befestigt hat. Auf diese schlagen sie nun mit Zweigen ein und lachen, als ob sie die Geister nicht nur mit Prügeln, sondern auch mit Gespött vertreiben müssten.

Als das Ritual nach ein paar Minuten beendet ist, spannen ein paar junge Burschen Netze aus Lianen- Fasern um ein dicht bewachsenes Dschungelareal. Dann bricht Zeter und Mordio aus: "Ouaho, ouaho", schreien die Männer, "ijeii, ijeii", kreischen die Frauen.

Wenn alles mit rechten Dingen zuginge, würde sich die Falle jetzt mit aufgescheuchten Tieren - kleinen Waldantilopen, Buschschweinen oder Mangusten - füllen. Doch hier im Dschungel der Zentralafrikanischen Republik geht inzwischen nichts mehr mit rechten Dingen zu: Das Netz bleibt leer. Beim ersten, zweiten und beim dritten Anlauf.

Für die misslungene Jagd sei wohl der Tod eines Jungen aus dem Dorf verantwortlich, meint der grauhaarige Bernard Welela, ein Angehöriger des Pygmäenvolks der BaAka. Der Bub war kürzlich im Sangha-Fluss ertrunken, nachdem er das Schmerzmittel Tramadol zu sich genommen hatte, das in den Dörfern der BaAka als verblüffend billiges Rauschmittel grassiert.

Die Geister eines verunglückten Menschen könnten ohne Weiteres eine Jagd scheitern lassen, sagt Welela, auch wenn er wohl weiß, dass für die leeren Netze weniger der tote Junge verantwortlich ist - sondern vielmehr der tote Wald. "Dschengi ist verschwunden", klagt wiederum die betagte Kräuterfrau Henriette Memba, und meint damit einen guten Waldgeist, der dem Glauben der BaAka zufolge zwischen ihnen und dem mächtigen Gott Komba vermittelt.

Verlorenes Völkchen

Über Jahrtausende hinweg waren die Waldbewohner im Dschungel zwischen der Zentralafrikanischen Republik, Kamerun und dem Kongo auf geschickteste Weise ihrem halbnomadischen Leben nachgegangen. Sie jagten nicht nur mit Netzen, sondern auch mit Speeren und einer Art Armbrust, kletterten auf Bäume, um sich Honig zu holen, und wussten, wo die besten Fruchtbäume standen. Doch aus den genialen Jägern und Sammlern ist ein verlorenes Völkchen geworden: 40 Jahre der Entwurzelung und Entwürdigung haben mit dem physischen auch das psychische Wohlbefinden der Waldbewohner ausradiert.

Die Londoner Organisation Survival International, die weltweit indigene Völker unterstützt, will wissen, wer das Verhängnis der BaAka verschuldet hat: der Worldwide Fund for Nature (WWF), auf dessen Betreiben in dem zentralafrikanischen Dreiländereck mehrere Nationalparks entstanden sind. Das habe die Waldbewohner aus ihrem Lebensraum vertrieben, klagen die Vertreter von Survival International und zerrten den WWF in einem beispiellosen Schritt vor ein Schiedsgericht der OECD.

Es ist das erste Mal, dass dort eine NGO wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen angeklagt ist: Bislang waren in derartige Schiedsverfahren nur multinationale Konzerne verwickelt. Nun soll ein im Auftrag der OECD von der Schweizer Regierung eingesetztes Gremium darüber entscheiden, ob der WWF für die Misere der BaAka zumindest mitverantwortlich ist: Derzeit werden Vertreter beider Parteien sowie Experten angehört.

Der Ortstermin bietet auf den ersten Blick tatsächlich ein erschütterndes Bild. Babongo, eines von zwölf Dörfern, in denen sich die BaAka niedergelassen haben, besteht aus ein paar schiefen Hütten aus Ästen und Gras, in denen meist nicht mehr als eine Strohmatte zum Schlafen und ein vom Feuer geschwärzter Kochtopf zu finden sind. Viele Frauen laufen barbusig herum, die bleichen Haare und aufgedunsenen Bäuche ihrer Kinder deuten auf Mangelernährung hin. Nicht wenige haben von den Larven der Sandflöhe zerfressene Füße: Die Plage wird neben der Armut auch der Sesshaftigkeit der einstigen Halbnomaden zugeschrieben.

Ihren Unterhalt verdienen die Einwohner von Babongo, indem sie Feldarbeit für die Sangha-Sangha leisten - Angehörige eines Bantu-Volks, das bereits seit Hunderten von Jahren als Fischer an den Flüssen in der Dreiländerregion lebt. Für ihre Dienste verdienen die BaAka kaum einen Euro am Tag: Kein Wunder, dass es zwischen ihnen und den Sangha-Sangha immer wieder zu Konflikten kommt. Auch früher waren ihre Beziehungen nicht gerade herzlich, aber zumindest nicht feindselig: Den Pygmäen gehörten die Wälder, den Bantus die Flüsse.

Straßen, Waldarbeiter, "Buschfleisch"

Das ging so lange, bis Anfang der 1970er-Jahre alles aus der Balance geriet. Ausländische Firmen stießen in die Region vor, um kostbare Tropenhölzer zu fällen. Dazu mussten Straßen in den Dschungel gehauen und Waldarbeiter zum Fällen der Bäume vor Ort gebracht werden. Die Arbeiter ernährten sich von Wildtieren, die sie mit ihren Gewehren und Tausenden von Fallen erlegten - bald wurde das "Buschfleisch" im ganzen Land verkauft.

Allmählich leerte sich der Urwald: Die Beziehungen zwischen den BaAka und den Waldarbeitern wurden immer miserabler. Die zugezogenen Bantus wiederum betrachteten die Pygmäen als durch den Wald streunende Untermenschen, die man bei einem Streit straflos über den Haufen schießen konnte.

Die Umtriebe der "Buschfleisch-Mafia" riefen vor 30 Jahren den WWF auf den Plan. Er empfahl der zentralafrikanischen Regierung, die dezimierten Tiere unter Naturschutz zu stellen, was 1992 auch tatsächlich geschah. Der WWF arbeitete ein vielschichtiges Nutzungskonzept für das gesamte Dreiländergebiet aus, das auf zentralafrikanischer Seite die Etablierung eines voll geschützten Nationalparks - den über 1200 Quadratkilometer großen Dzanga-Sangha-Park - sowie eine fast dreimal so große Pufferzone vorsah. In dieser Zone sollten Holzfirmen auf nachhaltige Weise Bäume fällen und ausgebildete Jäger in begrenztem Umfang Tiere schießen dürfen.

Den BaAka war die Jagd auch ohne Schein erlaubt: Allerdings nur noch in der Pufferzone und auf traditionelle Weise - also mit Armbrust, Netzen und Speeren. Im Nationalpark selbst dürfen die ursprünglichen Waldbewohner seitdem nur noch Kräuter und Früchte sammeln oder an ihren heiligen Orten Rituale zelebrieren. In dem Schutzgebiet sollen sich die unter Stress geratenen Tiere erholen können: Allen voran die seltenen Waldelefanten und die noch selteneren Flachland-Gorillas. Was als Maßnahme gegen die Buschfleisch-Mafia gedacht war, führte allerdings dazu, dass die BaAka von ihren besten Jagdgründen abgeschnitten wurden.

Der WWF verteidigt das Konzept dennoch. Hätte man zugelassen, dass die Tierwelt im Urwald weiterhin unbehelligt massakriert wird, wären die Jäger und Sammler heute noch viel schlimmer dran, entgegnet Johannes Kirchgatter, Afrika-Referent der deutschen Sektion der Naturschutzorganisation. Er räumt allerdings eines ein: Womöglich hätte die Auswahl der Schutzgebiete besser mit der Bevölkerung abgestimmt werden sollen.

Als Kirchgatter vor zehn Jahren mit seiner Arbeit in der Region begann, vegetierten die BaAka bereits in trostlosen Dörfern dahin und fanden in der intensiv bejagten Pufferzone kaum noch Tiere. Wer sich bei der Pirsch im Nationalpark erwischen ließ, wurde festgenommen oder verprügelt. Das über Jahrtausende angesammelte Wissen der BaAka von den Gepflogenheiten der Tiere und der Heilkraft der Pflanzen drohte ebenso verloren zu gehen wie ihre Überlebensstrategien und ihre einzigartige Musik: Die Identität eines der ältesten Völker der Welt stand auf dem Spiel.

"Extreme" Diskriminierung

Kirchgatter alarmierte den in Deutschland lebenden Peruaner Ernesto Noriega, der neben dem Amazonas-Gebiet auch schon in anderen Teilen der Welt Erfahrungen mit dem Schicksal autochthoner Völker gesammelt hatte. Als der Gründer der Organisation "OrigiNations" zum ersten Mal in den zentralafrikanischen Urwald kam, war es weniger die unter den BaAka herrschende Armut, die ihm in die Augen stach - es war der Grad der Diskriminierung, dem sich die Waldbewohner ausgesetzt sahen: "Das war hier so extrem wie nirgendwo anders", sagt Noriega.

Zunächst versuchte er, das geschundene Selbstbewusstsein der BaAka zu stärken. Die Jäger und Sammler sollten sich nicht länger nur als machtlose Opfer, sondern als Entscheidungen treffende Subjekte betrachten können. "Das Leben der BaAka wird nie mehr so sein, wie es einmal war", meint der ausgebildete Architekt: "Deshalb müssen die einstigen Waldbewohnern neue Wege finden."

Noriega war einst selbst ein Fan von Survival International : Schließlich widmete sich die Organisation, wie er selbst, dem Schutz bedrohter Völker. Inzwischen plagen den Peruaner jedoch Zweifel an den Motiven der Aktivisten: Den Survival-Leuten scheine öffentlichkeitswirksamer Wirbel wichtiger als das Wohl der BaAka zu sein. Die Organisation weigere sich beharrlich, konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Lebensumstände der Waldbewohner in die Debatte zu werfen: Ihre Vertreter würden nur sporadisch im Urwald auftauchen, um Material gegen den verhassten, mächtigen WWF zu sammeln.

Dagegen pflegt Noriega regelmäßig Wochen im Dschungel zu verbringen. Er regte die Gründung einer auf den Namen Ndshima-Kali getauften Jugendgruppe an - nach dem BaAka-Wort für Wald und dem Songha-Wort für Fluss. In der Gruppe sollen sich die Angehörigen der grundverschiedenen Völker besser kennenlernen und ihre Traditionen pflegen. Regelmäßig stoßen auch erfahrene Älteste zu der Gruppe, die den Jugendlichen die alten Lieder beibringen und ihnen zeigen, wo sie gegen Schlangengift wirkende Pflanzen finden oder mithilfe einer Liane auf 20 Meter hohe Bäume klettern können - wie Bernard Welela, der in Windeseile scheinbar mühelos einen Dschungelriesen hochmarschiert.

Welela weiß sein Alter nicht in Jahren auszudrücken. Doch bei der Unabhängigkeit der Zentralafrikanischen Republik vor 57 Jahren sei er längst ein erwachsener Mann gewesen, lacht der rüstige Greis.

Béatrice Babona und Line-Adora Konga sind beide 24 Jahre alt, hochschwanger und gehen trotzdem noch zur Schule. Die kleine Béatrice will später einmal Französisch-Lehrerin werden, die bantu-stämmige Line-Adora träumt von einem Leben als Rechtsanwältin. Die Freundinnen wuchsen in einer Welt auf, in der die Vormachtstellung der Bantus selbstverständlich war: Line-Adoras Eltern hielten eine BaAka-Familie als unbezahlte Hausangestellte, anderswo würde man das Sklaverei nennen.

"Stolz, eine BaAka zu sein"

Dass Line-Adora die untersetzten Waldbewohner heute als ebenbürtig betrachtet, hat zweifellos auch mit dem Selbstbewusstsein ihrer Freundin zu tun. "Ich bin stolz, eine BaAka zu sein", sagt Béatrice: "Wir wissen so viel von unserem Wald, dass die Bantus in Wahrheit auf uns neidisch sind."

Die meisten Mitglieder der Jugendgruppe besuchen heute die Schule, viele wollen Abitur machen und später zumindest vorübergehend in der Hauptstadt leben. Trotzdem möchten sie ihre Herkunft, ihre Rituale und Gesänge nicht vergessen und wissen, welche Kräuter sie ihren Kindern im Krankheitsfall verabreichen können. Auch halten sie die Einrichtung des Nationalparks für eine gute Sache, obwohl ihnen so die Jagdgründe beschnitten wurden. "Anders wäre der Wald vollends zerstört worden", sagt Béatrice. Allerdings kennt die Gymnasiastin auch die Klagen ihrer Landsleute: Dass der illegalen Jagd verdächtigte BaAka immer wieder von Wildhütern malträtiert oder verprügelt würden.

Als Munition für das laufende Schiedsverfahren stellte Survival International ein 228-seitiges Dossier zusammen, in dem angebliche Menschenrechtsvergehen gegen die ursprünglichen Waldbewohner aufgelistet werden. Wärter der Nationalparks sowohl in der Zentralafrikanischen Republik wie im benachbarten Kamerun gingen mit äußerster Härte gegen die ehemaligen Waldbewohner vor, heißt es in dem Dossier: Sie würden geschlagen, eingesperrt und gefoltert. In zumindest einem Fall soll auch ein BaAka getötet worden sein.

Dass das Verhältnis zwischen den Urbewohnern des Waldes und den Parkwächtern nicht unproblematisch ist, räumt auch der WWF ein. Allerdings würden die BaAka auch immer wieder von professionellen Wilderern als Spurensucher angeheuert. Als ein berüchtigter Jagdfrevler mit dem Beinamen "Kabila" im vergangenen Jahr festgenommen wurde, befand er sich in Begleitung zweier BaAka, die für ihre Dienste drei Dollar und zwei alte Hosen bekamen. Für die Stoßzähne eines Waldelefanten werden auf dem Schwarzmarkt gut 400.000 Dollar bezahlt.

Menschenrechtsbüro eingerichtet

Um Übergriffen von Wildhütern zu begegnen, hat der WWF inzwischen ein Menschenrechtsbüro eingerichtet, an das sich misshandelte BaAka wenden können. Dessen Anwalt Amolet Yvon sieht sich zwar als "Partner des Naturschutzes. Aber wenn im Namen des Naturschutzes Menschen misshandelt werden, dann stehen wir auf der Seite dieser Menschen." Lasse sich ein BaAka gelegentlich vor den Karren der Wilderer spannen, sei das nicht seinem Desinteresse an der Natur, sondern seinem armseligen Dasein zuzuschreiben, meint der Anwalt.

Gabriel Mabeli, Dorfchef der BaAka in Mossapoula, soll im Beisein zweier Survival-International-Gesandter einen Brief unterzeichnet haben, in dem der WWF zum Rückzug aus seinem Projektgebiet im Dreiländereck aufgefordert wurde -zumindest solange er nicht garantieren könne, dass dort alles mit rechten Dingen zugehe.

Inzwischen will Mabeli von dem Schreiben allerdings nichts mehr wissen: "Wir fordern keineswegs, dass der WWF verschwindet", versichert er: "Wir wollen, dass er uns mehr Jobs verschafft."

Barthelemie Ngabanda hat einen solchen Job ergattert. Der rund 40-jährige BaAka pflegt ausländische Forscher und Touristen zu einer der vier an Menschen gewöhnten Gorilla-Familien im Dzanga-Sangha-Park zu führen. Dazu musste er Spuren lesen können und den Wald wie seine Hosentasche kennen. Beides hat ihm sein Großvater, ein weithin bekannter Gorilla-Jäger, beigebracht. Heute werden die Gorilla-Gruppen zum Schutz vor Wilderern Tag für Tag von Ranger-Teams begleitet.

Doch nur wenige haben das Glück, auf der Gehaltsliste des WWF zu stehen zu kommen. Das könne sich ändern, wenn endlich wieder mehr Touristen kämen, meint Kirchgatter: Ein vor drei Jahren ausgebrochener Bürgerkrieg hatte die Zahl der ohnehin sporadischen Besucher vollends auf null gedrückt. Nur allmählich wagen sich die ersten Touristen wieder an den Dzanga-Fluss, sagt der WWF-Mann: "Würden wir uns zurückziehen, wie von Survival International gefordert, wären die BaAka nur noch zusätzlich bestraft."

Für Letztere scheint die Welt nur mehr selten und für einen kurzen Zeitraum noch in Ordnung zu sein: Wenn sie zu ihren heiligen Plätzen im tiefsten Wald aufbrechen, um alten Ritualen nachzugehen. Dann legen ihre Trommeln einen gehetzten raffinierten Rhythmus vor, während die Saiteninstrumente monotone Melodien von sich geben.

Und wenn sich schließlich die Stimmen der Frauen, die mal wie ausgelassene gregorianische Choräle, mal wie alpenländisches Jodeln klingen, mit den unzähligen Lauten aus dem Urwald vermischen, dann schöpft auch Kräuterfrau Henriette Memba wieder Hoffnung: Dass der gute Waldgeist Dschengi vielleicht ja doch nicht verschwunden sei.