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Expats fühlen sich fast nirgends so wenig willkommen wie in Österreich

Österreichs Selbstbild als charmanter Gastgeber deckt sich nicht mit den Erfahrungen internationaler Fachkräfte: Expats fühlen sich fast nirgends so unfreundlich behandelt wie bei uns. Zeit, ein paar Weichen umzustellen, um die besten Köpfe zu gewinnen und zu halten.

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Beim ersten Piefke-Witz konnte Jockel Weichert noch lachen. Beim dritten und fünften auch. Doch nach 24 Jahren in Wien möchte der Geschäftsführer der Kommunikationsagentur Buzzdriver manchmal kein Bürger zweiter Klasse sein. Deshalb gründete er die "Piefke Connection",eine Community von Auslandsdeutschen mit dem Charakter einer inoffiziellen Interessenvertretung. "Im Umfeld meiner Kinder löst sich die klischeehafte Ablehnung von uns, Piefkes' schön langsam auf. Die nachkommenden Generationen sind internationaler",hofft er.

Land der Grantler

Bis dahin ist es noch gutes Stück Weg. Nur in Kuwait fühlen sich internationale Fachkräfte weniger willkommen als in Österreich. Nur in Dänemark ist es noch schwieriger, lokale Freundschaften zu schließen. Und nirgends sonst ist die einheimische Bevölkerung so unfreundlich wie in der Alpenrepublik. Zu dieser Erkenntnis kommt eine Studie der Expat-Community InterNations, die 2023 zum zehnten Mal publiziert wurde. "Österreich ist ein schöner, aber einsamer Ort für Expats", so das Fazit der Befragung.

Österreichs Betriebe könnten den Vorteil breitgefächerter Teams besser kommunizieren.

Julia Moreno-Hasenöhrl, Stv. Leiterin für Sozial-und Gesundheitspolitik, WKO

Willkommens-Unkultur 

Wien schneidet in einem eigens ausgewiesenen "Expat City Ranking" nicht viel besser ab: Im Gesamtranking landet die Bundeshauptstadt auf Rang 36 von 49 untersuchten Metropolen, in den Teilbereichen "lokale Freundlichkeit" und "Willkommenskultur" sogar auf dem letzten Platz. Nicht die besten Voraussetzungen für den internationalen Wettbewerb um die fähigsten Facharbeiter:innen, die besten Wissenschaftler:innen und die visionärsten Führungskräfte. Doch wie gegensteuern? InterNations Chief Marketing Officer Kathrin Chudoba hält sich bedeckt: "Wir interpretieren die Zahlen nicht. Wir verstehen uns als Informationsquelle für unsere Mitglieder, die überlegen, in ein neues Land zu übersiedeln."


Vorteile kommunizieren

Für Julia Moreno-Hasenöhrl, stellvertretende Leiterin der Abteilung für Sozial-und Gesundheitspolitik in der Wirtschaftskammer Österreich (WKO),ist das Ergebnis der InterNations-Studie nicht nachvollziehbar: "Österreich bietet eine der höchsten Lebensqualitäten weltweit. Der Wirtschaftsstandort ist mit einer hohen sozialen Absicherung und attraktiven Arbeitsbedingungen, etwa den 14 Gehältern und dem Arbeitnehmerschutz, mehr als wettbewerbsfähig."

Allerdings erkennt auch die WKO-Expertin Potenzial bei der Willkommenskultur. Immerhin: "Wir stellen einen Wandel fest, weil der Fachkräftemangel von der Bevölkerung immer mehr bemerkt wird." Betriebe könnten mithelfen, "indem sie die Diversität ihrer Belegschaft fördern und den Vorteil breitgefächerter Teams besser kommunizieren."

Integration im Walzertakt

Auch Gerhard Hirczi sieht die InterNations-Studie kritisch und die Lage naturgemäß ganz anders. Als Geschäftsführer und Leiter der Geschäftsstelle der Wirtschaftsagentur Wien zitiert er lieber die Mercer-Studie, in der Wien 2023 zum elften Mal in Folge zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt wurde. "In Wien leben rund 25.000 Expats. Allein im Vorjahr haben wir fast 4.800 Beratungen für Personen aus 103 Ländern durchgeführt-und nie war die Unfreundlichkeit der lokalen Bevölkerung ein Thema."

Die einzige Hürde, die er gelten lässt, sei die schwer erlernbare deutsche Sprache. Aber gerade in Wien, der fünftgrößten Stadt der EU, sei Englisch ohnehin Usus.

Bei der Bürokratie sieht das aus gesetzlichen Gründen allerdings anders aus: Ämter und Behörden dürfen nur in der Amtssprache Deutsch kommunizieren. Zum Leidwesen von Expats, wie Gerhard Hirczi einräumt. "Deshalb hat unser Expat-Center in Zusammenarbeit mit der MA35 vor zwei Jahren das Business Immigration Office ins Leben gerufen, um internationale Arbeitskräfte und deren Angehörige bei der Beschaffung von Beschäftigungs-und Aufenthaltsgenehmigungen zu unterstützen."

Wichtig sei auch, den "Expat-Blues" abzufedern, der erfahrungsgemäß auf die erste Euphorie nach der Übersiedlung folgt: "Unternehmen müssen Wege finden, ihre internationalen Fachkräfte gesellschaftlich einzubinden. Wir veranstalten über unser Expats-Center zum Beispiel gemeinsame Weinlesen, Walzerkurse oder Expeditionen auf den Zentralfriedhof."

Unternehmen müssen Wege finden, internationale Fachkräfte gesellschaftlich einzubinden.

Gerhard Hirczi, GF Wirtschaftsagentur

Gegen starre Strukturen 

Während Österreich in manchen Teilgebieten der InterNations-Studie durchaus gut abschneidet-etwa bei der Verfügbarkeit von Bio-Lebensmitteln (Rang 4)-,erweckt ein anderes Ergebnis zusätzlich Sorge: Bei der Job-Zufriedenheit rangiert Österreich im untersten Viertel. Nicht zuletzt, weil das abgefragte "Out of the box"-Denken am Arbeitsplatz offenbar zu wenig gefördert wird. Deshalb fordert die Industriellenvereinigung (IV) ein Umdenken im Bildungssystem: "Unternehmen, die nicht innovativ sind, haben im internationalen Wettbewerb auf Dauer keine Chance", sagt Christoph Neumayer, Generalsekretär der IV. Die starren Strukturen, die Expats abschrecken, werden bei uns aber schon im Schulsystem verankert. "Um das Verständnis für moderne, konstruktive Arbeitsweisen zu schärfen, muss in der Schule Teamarbeit einen höheren Stellenwert bekommen. Ein spezielles Problem ist die unflexible Struktur unserer 50-Minuten-Schulstunden mit fixem Fächerkanon. "Kreatives Denken werde zu wenig gefördert.

Nötige Reformschritte 

Einen wesentlichen Beitrag für ein innovativeres Österreich, sagt Christoph Neumayer, sollen Deep-Tech-Start-ups in zukünftigen Schlüsselbereichen wie Quantentechnologie, Künstliche Intelligenz und Materialforschung leisten. "Da solche Unternehmen oft als Spin-offs aus Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen entstehen, werden Entrepreneurship-Programme im Rahmen der FTI-Strategie 2030 forciert: Die Gründerkultur an Universitäten ist ein möglicher Karriereweg für Forscher:innen und damit ein wesentlicher Baustein, um für internationale Talente attraktiv zu sein."

Ein anderer Aspekt, der Österreich zu einem beliebteren Ziel für Expats machen soll, ist für die IV eine effizientere Bürokratie: "Die Reformschritte zur Rot-Weiß-Rot-Karte, dem mit Abstand wichtigsten Zugangsweg für Drittstaatenangehörige zum österreichischen Arbeitsmarkt, bringen seit 2022 wesentliche Verbesserungen-denen aber noch Umsetzungsschritte, etwa bei der Digitalisierung der Verfahren auf behördlicher Ebene folgen müssen."


Stärkere Digitalisierung 

Für einen attraktiven Standort braucht es aus Sicht der WKO auch unbürokratischere Visa-Verfahren: "In einem ersten Schritt wurden bereits alle Botschaften mit den Niederlassungsbehörden in Österreich digital verbunden. Allerdings sind weitere Erleichterungen notwendig. Als Wirtschaftskammer ist es eine langjährige Forderung, diese Verfahren zu beschleunigen", so Julia Moreno-Hasenöhrl.

Welche Wirtschaftszweige besonderen Bedarf an Expats haben werden, ist laut der WKO-Expertin schwierig zu beantworten: "Das hängt von der Nachfrage der Gesellschaft sowie der Entwicklung neuer Technologien wie der KI ab." Zukunftsjobs lägen aber "sicher im Bereich der Digitalisierung und der nachhaltigen 'Green Skills'. Und-aufgrund der demografischen Entwicklung-auch im Gesundheits-und Pflegebereich." 

Spezielle Benefits

Der Bedarf an Fachkräften, sagt Julia Moreno-Hasenöhrl, wird sich aufgrund der Bevölkerungsprognosen jedenfalls nicht aus dem heimischen Talentepool allein decken lassen: "Wir wissen, dass wir im globalen Wettbewerb bestehen müssen, um internationale Fachkräfte gewinnen zu können."

Gelingen kann das nicht zuletzt mit Hinweis auf spezielle Benefits, die Österreich als Standort bieten kann. Dazu zählen-gerade für US-Bürger:innen, die laut der InterNations-Studie mit zwölf Prozent die größte Expats-Gruppe stellen-das Gesundheitswesen oder die arbeitnehmerfreundliche Unternehmenskultur, mehrwöchige Urlaube am Stück für Heimatbesuche nutzen zu können.


Let's meet Vienna

Um diese Standortvorteile gezielt zu kommunizieren, rollt die Wirtschaftsagentur im Auftrag von Stadtrat Peter Hanke im April eine neue Marketingkampagne aus. Unter dem Motto "Let's meet Vienna" wird weltweit geworben-und auch lokal: Im Juni sollen die Teilnehmer:innen des ViennaUP-Festivals von Wiens Vorteilen überzeugt werden. Die bestehen vor allem in Standortfaktoren wie Kindergartenplätzen oder dem gut ausgebauten Öffinetz, glaubt Gerhard Hirczi, der selbst "als Binnen-Migrant vor 35 Jahren aus Graz nach Wien übersiedelt" ist. "Ob die Wiener:innen freundlich sind oder nicht, ist wohl nicht entscheidend."

Wir müssen die Gründerkultur an Universitäten fördern, um für internationale Talente attraktiv zu sein.

Christoph Neumayer, Generalsekretär Industriellenvereinigung