Regierungsauftrag: Kickl kann trotz Gleichheitsgrundsatz umgangen werden

Sollte die FPÖ bei der Nationalratswahl stimmenstärkste Partei werden, erwartet sich Herbert Kickl einen Regierungsbildungsauftrag von Bundespräsident Van der Bellen. Warum sein Argument mit dem Gleichheitsgrundsatz ins Leere geht.

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Dem Bundespräsidenten mit den Worten „ich gelobe“ die Hand schütteln und ein Ernennungsdekret unterschreiben, politisch Verantwortung in einer Bundesregierung übernehmen - für viele Politikerinnen und Politiker ist das die Kür. Auch Herbert Kickl (FPÖ) kennt dieses Gefühl. Immerhin wurde er am 18. Dezember 2017 schon einmal von Bundespräsident Alexander Van der Bellen als Innenminister angelobt. Und geht es nach dem Chef der Freiheitlichen, will er bei der Angelobung nach der Nationalratswahl im Herbst die Hauptrolle spielen: Kickl möchte Bundeskanzler werden.

Dafür müsste er von Van der Bellen den Regierungsbildungsauftrag bekommen. Doch das Staatsoberhaupt hat bereits angekündigt, dem Chef der stimmenstärksten Partei „nicht automatisch“ den Auftrag zu erteilen. Ein klares Signal Richtung Kickl. 

Bereits jetzt versucht Kickl, den Druck auf Van der Bellen aufzubauen. Würde ihm der Präsident den Auftrag trotz Platz 1 verwehren, sei das „Willkür; ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz“, wie Kickl im Interview mit der Tageszeitung „heute“ zu Protokoll gab. Hat der FPÖ-Chef recht?

„Wenn es so ist, dass die FPÖ stärkste Partei ist, dann sagen Sie mir bitte ein Argument, warum der Bundespräsident hier den zweiten oder dritten oder den schwächsten oder wen auch immer nehmen sollte - das ist Willkür; ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.“

Herbert Kickl, Bundesparteiobmann FPÖ

im Interview mit der Tageszeitung „heute“, am 4.4.2024

Falsch

In der Verfassung ist die Ernennung des Kanzlers klar geregelt: Der Bundespräsident ist in seiner Entscheidung frei, das Ergebnis der Nationalratswahl spielt nur indirekt eine Rolle. Denn der Bundespräsident achtet in der Regel darauf, dass sich die Bundesregierung anschließend auf eine Mehrheit im Nationalrat stützen kann und nicht gleich nach der Ernennung per Misstrauensvotum – es reicht eine einfache Mehrheit, die Hälfte aller Abgeordneten müssen anwesend sein – abgewählt werden kann.

In der Vergangenheit wurde stets der oder die Vorsitzende der stimmenstärksten Partei mit der Regierungsbildung, also der Suche nach einer Mehrheit im Nationalrat, beauftragt. Warum also befürchtet Kickl, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen ihm diesen Auftrag nicht erteilt?

Zwischen dem amtierenden Bundespräsidenten und dem Chef der Freiheitlichen brodelt es schon lange. Denn: Van der Bellen hat Kickl 2017 nicht nur als Innenminister angelobt, er hat ihn rund eineinhalb Jahre später auch wieder entlassen - als ersten Minister in der Zweiten Republik. Der Grund dafür war das Ibiza-Video, in dem der damalige FPÖ-Parteiobmann Heinz-Christian Strache darüber gesprochen hat, wie man Parteigelder vorbei am Rechnungshof schleusen könne. Weil Kickl in der Zeit der Aufzeichnung des Videos im Sommer 2017 FPÖ-Generalsekretär und somit hauptverantwortlich für die Parteifinanzen war und laut Regierungschef Sebastian Kurz (ÖVP) den Ernst der Lage nicht erkannte, schlug Kurz Van der Bellen die Entlassung des Innenministers vor. Der Bundespräsident folgte diesem Vorschlag.

Distanz zwischen Van der Bellen und Kickl

Spätestens seit Anfang 2023 hat das Verhältnis zwischen Kickl und Van der Bellen einen neuen Tiefpunkt erreicht. Der Bundespräsident sagte in einem ORF-Interview, Kickl könne sich bei einem allfälligen Wahlsieg nicht sicher sein, automatisch den Auftrag zur Regierungsbildung zu bekommen. Offen ließ Van der Bellen damals, ob er den FPÖ-Chef als Kanzler angeloben würde. Als Gründe nannte das Staatsoberhaupt, er werde „eine antieuropäische Partei, eine Partei, die den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht verurteilt, nicht durch meine Maßnahmen noch zu befördern versuchen“.

Einen Monat später, Ende Februar 2023, bezeichnete der FPÖ-Parteichef den Bundespräsidenten im Rahmen der Aschermittwochsrede als „Mumie in der Hofburg“, „politisches Chamäleon“, sowie dass jeder wisse, dass Van der Bellen „senil“ sei. Außerdem nannte Kickl den Bundespräsidenten den „größten Demokratie- und Staatsgefährder", der „des Amtes enthoben" gehöre.

Wäre es Willkür, wenn Van der Bellen Kickl nicht den Regierungsbildungsauftrag erteilt?

Nein - sagen die von profil befragten Expertinnen und Experten Peter Bußjäger, Werner Zögernitz, Manfred Matzka sowie die Politikwissenschaftlerin Katrin Praprotnik. Denn – und das betont auch Herbert Kickl im Videointerview mit der Tageszeitung „heute" – , ein Regierungsbildungsauftrag steht nicht in der Verfassung, „er ist nur politische Tradition, nicht gesetzlich verankert und daher auch nicht notwendig", erklärt Praprotnik. Doch was ist an dem Argument des Gleichheitsgrundsatzes dran, das Herbert Kickl immer wieder ins Treffen führt?

Festgehalten ist dieser in Artikel 7 des Bundes-Verfassungsgestzes (B-VG) und er besagt im Wesentlichen: „Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen.“

Manfred Matzka, Experte für Verfassungs- und Verwaltungsrecht mit jahrzehntelanger Erfahrung im Staatsdienst, fasst den Gleichheitsgrundsatz wie folgt zusammen: „Jede Ungleichbehandlung muss einen sachlichen, objektiven, rechtlich anerkannten Grund haben.“

Und diese Ungleichbehandlung ortet Kickl, wie profil bei der FPÖ erfragt hat. „Was sich FPÖ-Bundesparteiobmann Kickl wünscht, ist die Beibehaltung der seit Bestehen der 2. Republik gelebten Praxis und das Akzeptieren von demokratischen Wahlergebnissen. In unserem Land werden Stimmen gezählt und nicht gewogen. Das meint er mit Gleichheitsgrundsatz“, heißt es aus dem  freiheitlichen Parlamentsklub.

Gleichheitsgrundsatz für Regierungsbildung relevant?

Ist der Gleichheitsgrundsatz, wie er rechtlich festgeschrieben steht, nun auch auf den Regierungsbildungsprozess anwendbar? „Grundsätzlich ist die gesamte Vollziehung des Staates an den Gleichheitssatz gebunden”, sagt Verfassungs- und Verwaltungsjurist Peter Bußjäger. Aber: „Auch wenn man, wie ich, durchaus einräumt, dass der Bundespräsident bei dieser Entscheidung nicht willkürlich handeln darf, bleibt daraus für Kickl nichts zu gewinnen“, sagt Bußjäger. Denn am allerwichtigsten seien schlussendlich wieder stabile Verhältnisse im Nationalrat: Wenn der Bundespräsident beispielsweise Herbert Kickl nicht zum Bundeskanzler ernennt, „weil offenbar eine andere Person in der Lage ist, eine stabile Mehrheit im Parlament zu garantieren (und sei es auch in Form einer Drei-Parteien-Koalition) handelt der Bundespräsident gewiss nicht willkürlich, wenn er diese Koalition präferiert“, sagt Bußjäger.

Ähnlich sieht das auch Werner Zögernitz, der Präsident des Instituts für Parlamentarismus und Demokratiefragen: „In einer Demokratie entscheidet letztendlich die Mehrheit. (...)  Das bedeutet, dass die Stärke einer einzelnen Partei letztendlich für die Regierungsbildung nicht entscheidend ist, sofern diese keine Mehrheit im Nationalrat findet”, sagt Zögernitz.

 Insofern würde auch der jetzige Bundespräsident richtig handeln, wenn er nur eine Person ernennt, die eine Mehrheit im Nationalrat repräsentiert.

Manfred Matzka, ehemaliger Sektionschef der Präsidialsektion im Bundeskanzleramt

Für die Ernennung des Bundeskanzlers - der wiederum Vorschläge für Ministerinnen und Minister vornehmen muss - geht es also vor allem um eine Mehrheit im Nationalrat. Der Verfassungsexperte Matzka ergänzt für den konkreten Fall außerdem: „Insofern würde auch der jetzige Bundespräsident richtig handeln, wenn er nur eine Person ernennt, die eine solche Mehrheit repräsentiert“, sagt Matzka. Das könne laut dem Verfassungsexperten sowohl der oder die Vorsitzende der stimmenstärksten Partei sein, „aber auch der Chef einer anderen Partei, der eine Koalition hinter sich hat; und wenn eine ganz andere Person – etwa eine parteifreie Höchstrichterin (wie Brigitte Bierlein im Jahr 2019; Anm.) – eine solche Majorität hinter sich hat, ernennt er zu Recht sie.“

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat seine Präferenzen gegenüber profil erneuert: „Er wünscht sich einen Bundeskanzler, der eine stabile Regierung bilden kann, der Österreichs Rolle in der Europäischen Union stärkt und Respekt vor den Institutionen und Werten unserer liberalen Demokratie hat. Das galt und gilt für alle Parteien und Kandidaten“, heißt es aus der Präsidentschaftskanzlei.

Gelingt es ihr eine mehrheitsfähige Regierung zu präsentieren, dann wäre der Druck auf den Bundespräsidenten sehr hoch, diese auch anzugeloben.

Katrin Praprotnik, Politikwissenschafterin an der Universität Graz

Welche Szenarien gibt es für die FPÖ nach einem potenziellen Wahlgewinn im Herbst 2024?

Wenn es der FPÖ gelingt, eine mehrheitsfähige Regierung zu präsentieren, dann wäre der Druck auf den Bundespräsidenten sehr hoch, diese auch anzugeloben“, meint Praprotnik. Dies sei laut der Politologin auch „unabhängig davon, ob es vorher einen Regierungsbildungsauftrag an die FPÖ gab oder nicht, oder ob es einen Regierungsbildungsauftrag an eine andere Partei gab“ der Fall.

Gelingt es der FPÖ nicht, eine mehrheitsfähige Regierung zu präsentieren, liege es wiederum an den anderen im Nationalrat vertretenen Parteien. „Würden zwei oder mehr anderen Parteien, eine mehrheitsfähige Regierung präsentieren, dann würde der Bundespräsident, vermute ich, diese andere vorgeschlagene Regierung angeloben“, sagt Praprotnik. Einen solchen Fall gab es bereits nach der Nationalratswahl im Oktober 1999. Die SPÖ gewann damals als stimmenstärkste Partei, brachte aber keine Mehrheit zustande, weil die ÖVP sich zierte und wohl bereits andere Pläne hatte. Die zweitplatzierte FPÖ koalierte mit der drittplatzierten ÖVP, Wolfgang Schüssel wurde Kanzler. „Die Regierung Schüssel I entstand nach der Wahl 1999 ebenfalls ohne Regierungsbildungsauftrag an die ÖVP”, sagt Praprotnik.

Fazit

Die Aussage von Herbert Kickl ist in mehrerlei Hinsicht falsch. Zum einen ist laut den befragten Expertinnen und Experten der Gleichheitsgrundsatz, sowie er in Artikel 7 der BV-G steht und wie ihn auch Herbert Kickl anspricht, im Falle der Regierungsbildung nicht anwendbar. Zum anderen handelt es sich nicht um Willkür, wenn der Bundespräsident einem anderen Kandidaten den Auftrag zur Regierungsbildung - der als politische Praxis gilt, jedoch gesetzlich nicht festgeschrieben ist - erteilt. Ausschlaggebend für die Ernennung des Bundeskanzlers ist vielmehr eine Mehrheit im Nationalrat, auf die das Staatsoberhaupt stets zu achten hat, um keinen sofortigen Misstrauensantrag gegen eine von ihm angelobte Regierung zu riskieren.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im profil-Digitalteam. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.