Die Salzburger FPÖ-Spitzenkandidatin Marlene Svazek am Wahlabend vor einem Bildschirm mit ersten Wahlergebnissen
Österreich

Gender-Gap schwindet: Wählen Frauen und Männer plötzlich gleich?

Frauen wählen eher links, Männer eher rechts: Der Gender-Gap bei Wahlen ist historisch belegt. Zuletzt zeigte er sich aber nicht so mehr deutlich.

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Wenn sich ein Gender-Gap zeigt, dann ist das meistens kein nüchterner Unterschied zwischen Mann und Frau. Oft steht die klaffende Lücke zwischen den Geschlechtern für eine große Ungerechtigkeit: bei der Einkommenshöhe, den Pensionsbeiträgen oder der medizinischen Versorgung. Der Gender- Gap als Feind, der besiegt gehört: Das gab es auch in der politischen Partizipation. Als Frauen in Österreich 1918 das Wahlrecht zugestanden wurde, nutzten sie es lange nicht so stark wie Männer. Mittlerweile ist dieser Unterschied allerdings beinahe verschwunden.

Im Wahlverhalten gibt es aber auch einen Gender-Gap, dessen Wertung Ansichtssache ist. Die Wahlforschung zeigt ihn deutlich auf, Jessica Fortin-Rittberger, Professorin an der Universität Salzburg, fasst ihn zusammen: Bis in die 1970er- und 1980er-Jahre tendierten Männer öfter zu linken Parteien als Frauen – danach bewegten sich die Präferenzen der Geschlechter in die jeweils andere Richtung. Frauen wählten in Österreich eher SPÖ und später die Grünen, Männer ÖVP und FPÖ.

Wer diese These bei den jüngsten Wahlen verifizieren will, merkt: So einfach ist das nicht. Heute verhält sich der Gender-Gap sehr unterschiedlich, je nach Urnengang und Partei. In Salzburg verteilten Frauen und Männer ihre Stimmen recht ähnlich, ergab eine Befragung von SORA. Mit einer Ausnahme: Männer stimmten zu 29 Prozent für die FPÖ, Frauen zu 23 Prozent. In Kärnten ergaben die Befragungen keine Unterschiede bei der SPÖ, dafür hatten Männer eher eine Präferenz für die FPÖ, Frauen für die ÖVP. Meinungsforscher Peter Hajek sah sich für ATV die Stimmaufteilung in Niederösterreich und bei der Bundespräsidentenwahl an: Dort fiel der Unterschied gering bis kaum aus.

Gibt es den Gender-Gap also gar nicht mehr?

Das Phänomen, dass Männer und Frauen unterschiedlich abstimmen, kennt Fortin-Rittberger jedenfalls nicht nur aus Österreich. In ihrer internationalen Forschung lässt er sich am besten bei extrem rechten und rechtspopulistischen Parteien beobachten. Dafür gibt es mehrere Gründe: Die Parteien befeuern rhetorisch Vorurteile gegen Minderheiten oder stehen programmatisch für patriarchale Strukturen. Beides spreche mehr Wähler als Wählerinnen an.

In Österreich gilt die FPÖ als männlichste Partei, ab 1986 zeigte es sich deutlich: Jörg Haider überzeugte damals vor allem jüngere Wähler. Der geringe Frauenteil unter den Anhängern der Freiheitlichen sank 1993 weiter auf unter 35 Prozent, schrieben Günther Ogris und Christoph Hofinger vom SORA-Institut schon damals. Bei Frauen waren hingegen die Grünen erfolgreich, das Liberale Forum zunächst auch.

Bei Frauen ist die Mehrfachbelastung in der Pandemie noch ein Thema

Alexandra Siegl beobachtete bei ihrer Arbeit für Unique Research schon länger, dass die Geschlechterunterschiede geringer werden. „Die SPÖ wird auch stark von Männern gewählt, schon unter Sebastian Kurz war die ÖVP bei Frauen durchaus erfolgreich.“ Selbst die Freiheitlichen würden Frauen immer stärker ansprechen. Siegl stellt die These auf, dass es mit Corona und der Teuerung zusammenhängen könnte. „Frauen sind erstens viel stärker von der Teuerung und dem Kaufkraftverlust betroffen.“ Das mache sie anfälliger dafür, eine Protestpartei zu wählen. „Zweitens sind für sie die Mehrfachbelastungen durch Corona noch immer ein Thema.“ In Salzburg habe FPÖ-Chefin Marlene Svazek zusätzlich bei Frauen gepunktet. „Allerdings nicht, weil sie weiblich ist, sondern weil sie gemäßigter aufgetreten ist und in das bürgerliche Lager ausgestrahlt hat.“

Wahlverhaltens-Expertin Julia Partheymüller von der Universität Wien wertete für profil die Studiendaten von Nationalratswahlen seit 2013 aus. Mit einem erstaunlich unauffälligen Ergebnis: „Insgesamt finden wir keine wesentlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen.“ Es gebe nur Tendenzen: Frauen haben insbesondere 2019 etwas weniger FPÖ und NEOS und generell leicht mehr Grüne gewählt.

Ist das also das Ende des Gender- Gaps? „Ich glaube nicht“, sagt Fortin-Rittberger mit Blick auf Europa. „Selbst in egalitären Ländern wie Finnland oder Dänemark gibt es ihn.“ Allerdings würden rechtspopulistische Parteien dagegen ankämpfen und versuchen, attraktiver für Frauen zu wirken. Und das könnte, falls sie erfolgreich sind, den Gender-Gap verringern.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.