Janus im Pelz

150 Jahre Richard Strauss: Osterfestspiele feiern das Musikgenie mit NS-Vergangenheit

Klassik. Richard Strauss: Die Osterfestspiele feiern das Musikgenie mit NS-Vergangenheit

Drucken

Schriftgröße

Von Manuel Brug

Im Westen steht man als Künstler in der Legitimationspflicht, wenn man sich in der Nähe einer Macht befindet, die aus demokratischer Sicht keine gute ist. Das erleben gegenwärtig etwa Russlands Putin-treue Klassikstars. Da haben Dirigenten wie Valery Gergiev, der den Krim-Einmarsch des Präsidenten gutheißt, ebenso wie der Geiger Vladimir Spivakov und der Bratschist Yuri Bashmet mit Protesten zu rechnen, die von London bis New York reichen.

Musikalische Globalkarriere, konservatives Weltbild: In diesem Zwiespalt steckte auch Richard Strauss, dessen Geburtstag sich am 11. Juni zum 150. Mal jähren wird. Der ohnehin schon viel Gespielte wird anlässlich seines Jubiläums international noch mehr aufgeführt werden: Die am 12. März startenden Salzburger Osterfestspiele sind Strauss gewidmet; auch die Sommerfestspiele werden selbstredend einem ihrer Gründerväter nicht nur mit einem neuen „Rosenkavalier“ ihre Reverenz erweisen. Am Denkmal Richard Strauss wird kaum irgendwo gekratzt.

Dabei begab er sich als alter Mann durchaus in die Nähe der Nazis und ließ sich von Deutschlands braunen Banden vereinnahmen wie sonst kaum ein prominenter Klangkünstler seiner Zeit, die heute – bis auf „Carmina Burana“ – kaum noch gespielten Komponisten Carl Orff und Werner Egk einmal ausgenommen. Selbst der später vehement angegriffene Wilhelm Furtwängler war, verglichen mit Strauss, nur ein „Mitläufer“. All das scheint das breitere Publikum heute längst vergessen zu haben. Man gibt sich lieber den sämigen Altwiener Walzern des „Rosenkavaliers“ hin (die im theresianischen Wien noch gar nicht existierten), schwelgt in der artifiziellen Instrumentierungspracht der „Frau ohne Schatten“ – trotz ihrer abstrusen Fruchtbarkeitsforderung. Man delektiert sich an harmonischen Nervenkitzeln der „Salome“ und schaudert zurück vor den schroffen, am Rande der Tonalität wandelnden „Elektra“. Und man genießt vor allem die in keiner Saison in den Programmen der großen Orchester fehlenden, üppig-gustiösen Tondichtungen „Ein Heldenleben“, „Also sprach Zarathustra“ und „Eine Alpensymphonie“.

„Neue Blütezeit der Kunst“
Sie werden inzwischen auch in Israel aufgeführt, obwohl ihr Schöpfer durchaus Antisemit und zeitweise Präsident der NS-Reichsmusikkammer war. Diese hatte die Aufgabe, Musik zu fördern, die der faschistischen Gesinnung entsprach, und solche zu unterdrücken, die im Gegensatz zu ihr stand. So wurde auch die Musik zum politischen Instrument geformt. Intellektuelle und Künstler sollten im NS-Staat ausschließlich repräsentative Funktionen erfüllen und sich der Ideologie des Systems anpassen. Selbstredend durften nur Arier Mitglieder werden. Wer das nicht war, konnte seinen Beruf nicht mehr ausüben.

Richard Strauss, bereits 69 und in Erwartung „einer neuen Blütezeit der Kunst“, trat das Amt am 15. November 1933 mit Freuden an; ebenso übernahm er bei den Bayreuther Festspielen für Arturo Toscanini, der aus politischem Protest seine Mitwirkung abgesagt hatte, die „Parsifal“-Dirigate. Strauss hatte auch nicht protestiert, als sein Freund, der Dirigent Fritz Busch, nach Äußerung offener Antipathie gegen die Nazis als Chef der Dresdner Semperoper davongejagt worden war. Eigentlich sollte Busch dort die Uraufführung der Strauss’schen „Arabella“ dirigieren; sie wurde verschoben und am 1. Juli unter Leitung des strammen Nazis Clemens Krauss mit dessen ebenfalls linientreuer Ehefrau und Sopranistin Viorica Ursuleac in der Titelrolle als erstes hochkulturelles Ereignis der neuen Machthaber entsprechend zelebriert.

Man muss das nicht wissen, aber man hört das Stück mit dieser Kenntnis doch anders. Strauss, der unzweifelhaft große Könner, konnte sich seiner Zeit nicht ganz verschließen, auch wenn er das vielleicht wollte. Die „etwas zweifelhaften Existenzen“, die „einfach so mitlaufen“, wie Arabella sich und ihre verarmte Adelsfamilie charakterisiert, bekommen so eine ganz andere, bittere Note – wie überhaupt in dieser Musik der Glanz wie zerschlissen wirkt, dauernd eine Unruhe tobt, das Happy End ein sehr künstliches ist und die Figuren wie Filmbilder hektisch geschnitten und getrieben scheinen.
Richard Strauss war ein unfreiwillig Moderner. Er hatte es gut unter den Nazis, aber nur kurze Zeit. Denn sein Paradox war: Eigentlich betrachtete er sich nicht als politischen Menschen. Er war Künstler, befand sich so über den Dingen des Alltags stehend. Mehr noch: Er war von frühester Jugend an von seinem Vater, einem Hornisten im Münchner Hoforchester, und seiner Mutter, die aus der kunstsinnigen Bierdynastie Pschorr stammte, auf Erfolg getrimmt worden – und dieser stellte sich für ihn schnell ein. Zunächst schwamm er noch mit im Strom der Brahmsianer, sah sich auf einer Wellenlänge mit Mozart und Beethoven. Doch dann schwenkte er um, wurde Zukunftsmusiker in der Post-Wagner-Tradition. Dessen Weggefährte Hans von Bülow ebnete dem jungen Dirigenten und Komponisten den Weg über Meiningen, Weimar und München zu den Berliner Philharmonikern, zum Chef der Berliner Oper; zwischen 1919 und 1924 fungierte er auch als Co-Direktor der Wiener Oper.

Richard Strauss war ein Originalgenie und ein Opportunist, nie ein tragischer Romantiker, der seiner künstlerischen Sendung unbedingt folgte, sondern ein ausgeglichenes Gemüt, dem – so seine Selbststilisierung – das Komponieren so leicht fiel wie das Skatspiel. Er wollte Geld verdienen und berühmt werden. Beides gelang ihm mit anfangs durchaus schwülstigen, die plüschigen Fantasien des wilhelminischen Bürgertums bedienenden Werken. Spätestens seit seinem Erfolg mit der amoralischen, aber vom Publikum gestürmten „Salome“ 1905 wandte er sich verstärkt der Oper zu, was ihm noch mehr Publicity brachte. Der PR-Stratege Strauss wusste genau, wie er sich inszenieren musste, was er über den Kreis seiner Vertrauten an Information zu streuen hatte, denn die sich verbreitenden Massenmedien feierten ihn als eine Art Popstar seiner Zeit. Zur „Rosenkavalier“-Premiere nach Dresden fuhren 1911 Sonderzüge aus ganz Deutschland, wie später bei Lloyd Webbers Musical-Blockbustern wurden die Alfred-Roller-Ausstattungsentwürfe für die Folgeinszenierungen verbindlich.

Trendsetter Sergei Diaghilev bestellte als Impresario bei dem Modekomponisten für seine Ballets Russes die am Vorabend des Ersten Weltkrieges uraufgeführte „Josephslegende“. 1925 wurde aus dem „Rosenkavalier“ ein Stummfilm, zu dem Strauss geschäftstüchtig die eigene Musik adaptierte. In jenen Jahren war er der tonangebende, berühmteste und reichste Komponist seiner Ära – und er ist es bis heute geblieben: Nie wieder konnte ein klassischer Tonsetzer so sehr die Gemüter bewegen, und nie wieder verdiente ein Opernkomponist derart gut. Nur auf Franz Lehár war Strauss stets neidisch.

Bei Cosima Wagner konnte er den Antisemiten heraushängen lassen, wenn er Bayreuths hoher Frau brieflich Honig ums Maul schmierte. Auch darin war er erfolgreich, durfte auf dem Grünen Hügel dirigieren. 1894 sang dort sogar seine Verlobte Pauline de Ahna die Elisabeth in dem von ihm dirigierten „Tannhäuser“; im September heiratete das Paar. Ihre legendären Temperamentsausbrüche finden sich in der „Sinfonia domestica“ von 1904, die sein Eheleben in Musik verwandelte, ebenso wie 1924 eine selbst erlebte Eifersuchtsepisode zur Oper „Intermezzo“ gerann – auch dies ein in seiner dialogischen Form eigentlich avantgardistisches Werk. Bei dessen Aufführungen tauchte die Garmischer Villa als Hintergrund auf, die er sich von den „Salome“-Einnahmen gekauft hatte und wo man, auch öffentlich ausgestellt, ein rural-sittliches Leben führte. Weit fürstlicher, aber kaum dokumentiert ist hingegen die mit herrlichsten Antiquitäten ausgestattete Villa in Wien, wo der Herr Hofoperndirektor ab 1925 bis in den Zweiten Weltkrieg hinein am Belvedere residierte.

Janusköpfiger Komponist
Mit dem „Rosenkavalier“ wurde er wieder gefälliger, freilich lauert hier das Neue nicht selten unter der sanft-süßlichen Oberfläche. Das Quartett der Juden in „Salome“, die kreischenden Kritiker im „Heldenleben“, mit dem sich Richard Strauss selbst verherrlichte, und weite Teile der im Ersten Weltkrieg komponierten „Frau ohne Schatten“ sind schroffe, zeitgenössische Musik, raffiniert verbrämt. Dennoch: Es war und ist stets etwas Janusköpfiges um diesen Komponisten und seine Musik, das macht sie bis heute so spannend. Da sind die wunderbaren Lieder, die er oft für seine Frau schrieb, kulminierend in dem Weltabschiedswerk „Vier letzte Lieder“, die erst 1950, kurz nach seinem Tod, erstmals erklangen. Populärer als seine Musik wurden klassische Kompositionen danach nie mehr, und doch ist sie von weltwissender Einsicht und Güte – und das bei einem Komponisten, dessen Methoden als sehr kalkuliert gelten, oft emphatisch, aber selten berührend, selbst im schönsten Geigensilberglanz und Sopran-Crèmeton.

Im Werk des Richard Strauss finden sich aber eben auch das von den Nazis gern benutzte lärmige „Festliche Präludium“ (das freilich schon 1913 zur Eröffnung des Wiener Konzerthauses geschrieben wurde), die Olympische Festmusik von 1936, die Japanische Festmusik zum 2600. Geburtstag der befreundeten „Achsenmacht“ und die Festmusik der Stadt Wien, die Strauss dem NS-Statthalter Baldur von Schirach offerierte und die 1943 uraufgeführt wurde – am fünften Jahrestag des „Anschlusses“ der Stadt (und Österreichs) an „Großdeutschland“. Strauss unterschrieb 1933 den infamen „Protest der Wagner-Stadt München“ gegen Thomas Mann, der diesen ins Exil zwang. Auch zum Generalgouverneur von Polen, Hans Frank, hatte Strauss gute Beziehungen. Er komponierte für ihn peinliche, in keinem Werkverzeichnis auftauchende Huldigungslieder, so wie er für Joseph Goebbels als Dank für die Reichsmusikkammerpräsidentschaft das Goethe-Gedicht „Das Bächlein“ vertonte, mit dem hinzugefügten Vers „Dann tret’ ich aus dem Stein, Du wirst mein Führer, mein Führer sein“ – gleichzeitig der Höhepunkt des Liedes.

Strauss war Mitbegründer der GEMA, die als Verwertungsgesellschaft auch seinen pekuniären Ruhm festigte. So kommt nach wie vor weltweit für Strauss-Werke ein Tantiemenregen zusammen, der jährlich in die Millionen Euro gehen dürfte. Bis 2019 können der noch lebende Enkel sowie die Hinterbliebenen seines Bruders davon profitieren, dann erlöschen die Rechte – 70 Jahre nach dem Tod des Urahns, der am 8. September 1949 in seinem geliebten Garmisch-Partenkirchen das Zeitliche segnete. Aus dem vielen Geld hat die Familie wenig gemacht. Es sind noch viele Briefe aufzuarbeiten, Strauß schrieb zeitlebens mehrere am Tag. Ken Russells grellen biografischen Kolportagefilm „Der Tanz der sieben Schleier“ von 1970 ließen die Erben gar verbieten.

In Strauss’ Musik ist viel Gemachtes, Wirkungsbewusstes. Man hört einen Komponisten durch, der sich als Vollender der abendländischen Musiktradition verstand und sich als einstiger Moderner immer mehr von den jungen Fortschrittlern, von den Zwölftönern sogar empört absetzte, die er für völlig fehlgeleitet hielt.

Der alte Mann verstand die Welt längst nicht mehr. Seine Schwiegertochter Alice war zudem Jüdin, seine Enkel waren gefährdet – deshalb wohl auch die Anbiederung an die Nazis, die er 1935 in einem abgefangenen Brief als „braune Lausejungen“ abqualifizierte, weil sie ihm seinen jüdischen, aus dem Exil zuarbeitenden Textdichter Stefan Zweig für „Die schweigsame Frau“ nicht genehmigen wollten. Er setzte sich durch, seinen Posten aber war er bald los. Die Nationalsozialisten ehrten den berühmtesten dagebliebenen Künstler zwar offiziell als „gottbegnadet“, aber sie beäugten ihn hinter den Kulissen äußerst misstrauisch. Als er mit Chauffeur nach Theresienstadt fuhr, um die im dortigen Lager einsitzende Schwiegermutter seines Sohnes herauszuholen, musste er unverrichteter Dinge wieder abziehen. Als Deutschland in Trümmern lag, beweinte er vornehmlich die kaputten Opernhäuser – für die er freilich die tief anrührenden „Metamorphosen für Streichorchester“ schrieb.

+++ Lesen Sie hier: Die Osterfestspiele feiern den Komponisten ebenso wie Plattenfirmen und Verlage +++