Schusswaffen und Nacktpartys

44 Jahre profil: Schusswaffen und Nacktpartys

44. Robert Buchacher über seine wilden profil-Jahre

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Graue, staubige Fußbodenbretter – dieses Bild assoziiere ich mit meinem ersten Besuch im Verlagshaus von „trend“ und profil in der Wiener Marc-Aurel-Straße im Oktober 1973. Ein langer, nahezu leerer Raum, an dessen Ende zwei mit Zeitungen und Magazinen überhäufte Schreibtische standen. An dem einen saß mein ehemaliger Studienkollege Hans Rauscher, an dem anderen Peter Piller. Die beiden zeigten sich nicht sehr gesprächig. Rauscher kniff die Augen ­zusammen und zog die Mundwinkel leicht nach unten, was in seiner eigenen Mimik bedeutete, dass sich der Besucher im gebeugten Rückwärtsgang wieder entfernen möge.

Ich hatte einen Termin bei profil-Chefredakteur Peter Michael Lingens und musste noch einen Stock höher. profil war auf der Suche nach einem mit den lokalen Kärntner Verhältnissen vertrauten Autor, der eine umfassende Story über den Volksgruppenstreit schreiben könnte. Es war gerade ein Jahr nach dem Ortstafelsturm, die Stimmung in Österreichs südlichstem Bundesland war aufgeheizt, die ersten Partisanendenkmäler flogen in die Luft. Die bisherigen Storys zum Thema hatte der aus St. Kanzian am Klopeiner See stammende Eugen Freund beigesteuert, ehe er seine berufliche Heimat im ORF-Fernsehen fand. Dann versuchte profil-Redakteur Walter Truger, ein nobler älterer Herr, das ­Unverständliche verständlicher zu machen. Zu diesem Zweck befragte er auch Redakteure des SPÖ-Parteiblatts „Kärntner Tageszeitung“, die ihm hinter halb geleerten Doppelliter­flaschen erklärten: „Ruhe wird in diesem Land erst sein, wenn wir den letzten Kärntner Slowenen in Spiritus eingelegt haben werden.“ Darauf Truger: „Herr Kollege, darf ich das zitieren?“

Dann war ich an der Reihe. Nach wochenlangen ­Recherchen präsentierte ich das Ergebnis. Lingens saß in einem kleinen Kammerl im zweiten Stock des Hauses. Er las, die Beine auf dem Schreibtisch überkreuzt, schweigend mein Manuskript und gab mir danach spontan einen Redakteursvertrag. Als ich am 2. Mai 1974 startete, war mein erster Eindruck: eine äußerst unkonventionelle, angriffslus­tige, manchmal rotzige Redaktion mit herausragenden Schreibern, die sich offenbar als freischwebende Künstler verstanden. Das führte zu hitzigen Diskussionen und ständigen Reibereien, vor allem zwischen Lingens und einzelnen selbstbewussten Redakteurinnen wie Sig­rid Löffler oder Ursula Pasterk, der späteren Wiener Kulturstadträtin. Devise: Unser Wille geschehe!

Zu allen Zeiten gab es in der profil-Redaktion kantige Persönlichkeiten, neben profil-Gründer Oscar Bronner, Lingens, Löffler oder Pasterk die große Edelfeder Reinhard Tramontana (gestorben 2005), dessen ­Kolumne „profan“ viele profil-Leser noch vor dem ­Lingens-Leitartikel oder diversen Aufdeckergeschichten lasen. Eher als in seinem Arbeitszimmer war Tramontana im „Café Plastik“ anzutreffen, wie wir das Café Morzin intern nannten, ein Lokal mit unübertroffener Resopal-­Ästhetik. Oder er saß mit einem Häferlkaffee, den er mit Wodka zu verdünnen pflegte, in der Fotoredaktion und führte druckreife heiter-spöttische Reden über alles und jeden. Tramontana war übrigens ein großer Frauenversteher, eine Eigenschaft, die ihn wiederholt in den Hafen der Ehe und bald wieder zurück aufs offene Meer der Ledigen und Geschiedenen trieb. Mit sechs Wochen hielt er vermutlich den Österreich-Rekord für die kürzeste Ehe.
Neben dem glänzenden Sprachwitz eines Reinhard Tramontana gehörten die großen, mit dem Namen Alfred Worm untrennbar verbundenen Enthüllungsgeschichten zur Pflichtlektüre im profil. Der im Februar 2007 im Alter von 62 Jahren an einem Herzinfarkt verstorbene Worm war ein Besessener, der ohne seine teilweise grenzüberschreitenden Methoden zu vielen seiner Aufdeckergeschichten gar nicht gekommen wäre. Er schäumte oft vor Wut, wenn Lingens seine Texte umschrieb. Der profil-Chef tat dies oft und bei etlichen Mitarbeitern, und zwar stets per Diktat, teils um die Geschichten leichter lesbar und verständlicher zu machen, teils auch, um mehr Ausgewogenheit zu erreichen, wenn ihm Texte zu einseitig erschienen. Das war gut für das Heft, aber schlecht für das Ego mancher Mitarbeiter. Der spröde wirkende Lingens verlor an Rückhalt in der Redaktion, während sein viel umgänglicherer und nachsichtigerer Chefredakteur Helmut Voska zusehends an Beliebtheit gewann. Alle maßgeblichen Leute im Haus waren auf Voskas Seite.

Als 1987 immer deutlicher wurde, dass Voska mit seiner Hausmacht an Lingens’ Sessel sägte, wollte der profil-­Herausgeber seinen illoyalen Widerpart kündigen. Bei ­einer gemeinsamen Autofahrt durch den dritten Wiener Gemeindebezirk versuchte ich, Lingens davon abzubringen: „Das derhebst du nicht.“ Schließlich wollte Lingens per Abstimmung ausloten, wie groß sein Rückhalt in der Redaktion war. Nachdem nur eine knappe Mehrheit für Lingens votierte, warf er selbst das Handtuch. Nun kehrte unter dem neuen Herausgeber Franz Ferdinand Wolf wieder Ruhe ein, allerdings wechselte Wolf schon nach acht Monaten als Chefredakteur zum „Kurier“.

Ich hatte bis dahin schon etliche Leute kommen und gehen gesehen und war auch schon mit nahezu allen Exzentrikern der Redaktion im Zimmer gesessen. Einer davon war ein notorischer Spieler, der sich durch einen zwanghaften Putzfimmel auszeichnete. Er trug stets Doppelreiher, zumeist blaue Hemden mit weißem Kragen und Krawatte, und war ein begabter Schreiber, der sich in die Machenschaften diverser ­Defraudanten und Unterweltkönige wunderbar einleben konnte. Der passionierte Nichtraucher hatte einen schweren gläsernen Aschenbecher nach genauer Abstandsvermessung auf ein Eck seines Schreibtisches festgeklebt. Er betrat das Zimmer stets unter Einhaltung des gleichen ­Rituals, indem er ein weißes Taschentuch aus seiner Brusttasche zog und damit heftig auf den leeren Aschenbecher einschlug, wohl um sicherzustellen, dass dieser ihm keinen Ekel mehr bereiten konnte. Erst dann zog er befriedigt und deutlich wahrnehmbar seinen Naseninhalt hoch und ließ sich in seinen Arbeitssessel fallen.

Einer der nächsten in der langen Reihe meiner Zimmergenossen war ein zwei Meter langer, glatzköpfiger ­Polizeireporter, der jahraus, jahrein denselben Nadelstreif trug. Ich vermute, er ging damit auch schlafen. Eines ­Tages saß mir der Kollege gegenüber, hatte die überkreuzten Beine auf den Schreibtisch gestreckt und spielte nach Wildwest-Manier mit seiner Smith & Wesson, wobei er den Lauf des geladenen Schießeisens direkt auf mich richtete. Wie beim russischen Roulette schupfte er mit dem Zeigefinger immer wieder die Trommel an, bis ich ihn bat, den Lauf des Revolvers doch bitte auf ein anderes Ziel zu richten. Jahre später wurde der Mann nach einem Banküberfall verhaftet, wanderte für einige Jahre ins Gefängnis und schrieb darüber ein Buch, das ihm großen Zuspruch bei kriminalaffinen Damen eintrug, denen der Alltag ansonsten nur Langeweile bescherte.

Eines Tages kam ein älterer, gut aussehender stattlicher Mann zu mir ins Zimmer und stellte sich als neuer Wirtschaftsredakteur vor. Der Kollege hatte, nachdem er mit einem eigenen Unternehmen pleitegegangen war, zuerst ein Buch über die Segnungen des Kapitalismus und dann das erste Wirtschaftsprogramm der Grünen verfasst. Schon an einem der ersten Arbeitstage montierte er zwischen unsere beiden Schreibtische eine Pinnwand, sodass man einander zwar hören, aber nicht mehr dauernd sehen konnte. Die Pinnwand hatte nur den Nachteil, dass sie den Schall nicht schluckte, sondern noch verstärkte. Das wurde aber erst dann zum echten Problem, als mein verdecktes Gegenüber eine Liebesbeziehung mit einer 23-Jährigen einging. Die neue Flamme rief nämlich alle zwei Minuten an und trieb uns beide in den Wahnsinn.

Dann endlich eine Zimmergenossin – nicht unattraktiv, aber anstrengend. Sie konnte nämlich, wenn die Chef­redaktion es gewagt hatte, an einem ihrer Texte herumzudoktern, vor Wut ausbrechen wie ein Vulkan. Einmal warf sie aus Zorn ein Glas aus dem Fenster, ein andermal versuchte sie, die elektrische Schreibmaschine durchs Fenster auf die Straße zu schleudern, scheiterte aber aufgrund des Gewichts des Wurfgegenstands glücklicherweise schon an der Fensterbrettkante – die Folgen hätten ansonsten dramatisch sein können.

Es waren wilde Jahre. Heftige Liebesaffären bahnten sich in der Redaktion an, in deren Verlauf auch Schreib­tische zweckentfremdet wurden. Bei einer der zahlreichen ausgelassenen Partys landete die halbe Redaktion nackt in einem Swimmingpool. An einem extrem heißen Sommertag gab Chefredakteur Voska schon am frühen Nachmittag Hitzeferien. Ich fuhr zusammen mit profil-Chefsekretärin Aniko Dalos, heute meine Ehefrau, zum Nacktbadestrand an der unteren Neuen Donau. Gegen Abend, als sich die Liegewiese bereits geleert hatte, wollten auch wir aufbrechen, doch man hatte unser Auto samt den darin aufbewahrten Kleidern abgeschleppt. Glücklicherweise fand sich dann ein letzter Nackerter, der sich bereit erklärte, uns in seinem Wagen zum Autoabstellplatz im zehnten Wiener Gemeindebezirk zu bringen. „Bitte vielmals um Entschuldigung“, fragten wir kleinlaut den Platzwart, ob wir vielleicht unsere Kleider aus dem Auto holen dürften. „Scheißts euch ned an, da kommen de Leit noch ganz ­anders daher!“

Legendär sind unsere Weihnachtsfeiern. Einmal stellte uns der Verlag ein paar warme Doppler und Kartons mit Brötchen im Stil der fünfziger Jahre ins Sekretariat. Die improvisierte Weihnachtsfeier hatte schon nach kurzer Zeit verheerende Folgen. Einer der Kollegen ging mit wüsten Beschimpfungen auf Lingens los, um sich am Ende mit einer lautstarken Kündigung zu verabschieden. Einige Redakteure, darunter ich, erklärten sich noch in den frühen Morgenstunden mit dem Kollegen solidarisch und kündigten per Telegramm an Chefredakteur Helmut ­Voska ebenfalls. Voska am nächsten Tag väterlich: „Was ist euch da eingefallen?!“

Aber auch Voskas Tage bei profil waren gezählt. ­Zunächst flogen zwischen dem neuen profil-Herausgeber Peter Rabl und dem Verlagsgeschäftsführer Günther Enickl die Fetzen, als Rabl mit dem Innenpolitiker Herbert Lackner und dem Außenpolitiker Georg Hoffmann-Ostenhof zwei brillante Journalisten zu profil holte. Hoffmann-Ostenhof war Enickl „zu links“, weshalb er sich gegen dessen Bestellung querlegte. Aber der gewiefte Machttechniker Rabl setzte seinen Willen durch. Als er 1991 zusätzlich zu seiner journalistischen auch eine Managementfunktion im Verlag anstrebte, kam es zum Aufstand der Redaktion und zu einem 14-tägigen, von der Gewerkschaft unterstützten Streik. Die große Mehrheit der Redaktion wollte eine Verquickung von wirtschaftlichen und redaktionellen Belangen um ­jeden Preis verhindern. Rabl aber argumentierte, dass er durch die Doppelfunktion mehr für die Redaktion tun könne. Er wollte etwas vorwegnehmen, was heute in vielen Verlagen Usus ist.

Die Geschichte endete mit Rabls Abgang als Herausgeber, aber auch mit seinem Aufstieg zum Vorstandsdirektor der Zeitschriften Verlags und Beteiligungs AG, die alle Magazine der „Kurier“-Gruppe managte. In dieser Funktion konnte er nicht nur die neuen profil-Chefs – Herausgeber Hubertus Czernin (1986 Aufdecker der Waldheim-Affäre), Chefredakteure Herbert Lackner und Josef Votzi – bestimmen, sondern auch den Hinauswurf von Voska und Enickl. Anlass für Voskas Kündigung war ein Interview, das dieser zusammen mit Worm und Löffler dem „Falter“ gegeben hatte. Darin hatte Voska ungewöhnlich heftige Kritik an Rabl geübt (Voska starb 2007 an Leukämie).

Mit der Gründung des „News“ wurden die Zeiten härter. profil verlor an Reichweite und konnte seine Auflage nur durch außergewöhnliche Aufrisse steigern, wie etwa die von Josef Votzi 1995 losgetretene Groer-Affäre. Mit mehr als 100.000 verkauften Heften pro Woche erreichte profil zu dieser Zeit die höchste Auflage seiner Geschichte. 1996 wurde Herausgeber Czernin von den Eigentümern abgesetzt, offiziell wegen einer Fotomontage auf dem ­Titelblatt, das einen nackten Mann mit dem Kopf von Kanzler Franz Vranitzky zeigte, inoffiziell aber auch ­wegen seiner lockeren Hand beim Geldausgeben. Czernin gründete den nach ihm benannten Buchverlag, starb aber im Juni 2006 im 51. Lebensjahr an einer heimtückischen, bis dahin nicht bekannten Zellerkrankung, die heute als Morbus Czernin seinen Namen trägt.

Der neue Herausgeber Josef Votzi holte unter anderem die große Schreiberin Rosemarie Schwaiger sowie den Restaurantkritiker Christoph Wagner zu profil und führte 1997, früher als andere österreichische Medien, ein eigenes Wissenschaftsressort ein, zu dessen Leiter er mich kürte. Er hatte aber in der Redaktion keinen leichten Stand und wurde 1998 von seiner Funktion abberufen (er war später „News“-Herausgeber und ist heute Innenpolitik-Chef des „Kurier“). Sein Nachfolger Christian Rainer, der sich als Kommentator der „WirtschaftsWoche“ einen Namen gemacht hatte, kürte den ­exzellenten Reporter, Kulturjournalisten und „Kurier“-Kolumnisten („Hund und Herrl“) Christian Seiler und den verdienten Wirtschaftsjournalisten Stefan Janny zu seinen Chefredakteuren.

Der immer lückenlos informierte Janny spielte eine Art redaktionellen Controller, der viele Fehler verhinderte, busweilen freilich Ausdrücke ins Amtsdeutsch übersetzte, womit er selbst die gutmütigsten Kollegen zu cholerischen Ausbrüchen trieb. Ich nannte ihn einmal im Streit den „größten Oberlehrer, der mir in meiner Laufbahn untergekommen ist“. Seit Jannys Abgang im Jahr 2007 gehören neben Rainer nur noch Herbert Lackner und Sven Gächter der Chefredaktion an. Der gebürtige Schweizer Gächter, ein kettenrauchender, kaffeetrinkender Beinahe-Asket, der an Österreich den Wein und das tägliche reale Kabarett schätzt, ist übrigens Schöpfer der meisten genialen Titel im profil.

Rainer hatte mit Michael Nikbakhsh den besten Wirtschaftsjournalisten, mit Rainer Nikowitz den besten Satiriker und mit der „Kurier“-Kolumnistin, Buch-, Fernseh- und Kabarettautorin Angelika HagerPolly Adler“) die ungeschlagene Wuchtelkönigin des Landes zu profil ­geholt. Weil er einen offenen und kollegialen Umgang pflegt, Kollegen stets in seine Entscheidungen einbindet und nur selten schmallippig-grantig wird, genießt er auch noch nach zwölf profil-Jahren breiten Rückhalt in der ­Redaktion. Auch wenn sein modischer Mut und seine Auftritte in den „Seitenblicken“ gelegentlich Anlass zu kritischen Bemerkungen geben – als Herausgeber und Chefredakteur hat er beachtlichen Erfolg: profil schreibt nach drakonischen Sparprogrammen heute Gewinne und ­gehört zu den erfolgreichsten, vielfach preisgekrönten Publikationen Österreichs. Das Branchenblatt „Der Journalist“ kürte Michael Nikbakhsh und Herbert Lackner 2009 und 2010 jeweils zum „Journalisten des Jahres“ und würdigt profil seit Jahren als beste Magazinredaktion des Landes – und das ist nur ein kleiner Teil der journalistischen Trophäen, die wir bisher einheimsten. Kolleginnen und Kollegen anderer Redaktionen sind manchmal zu Recht ein wenig neidisch.