"Gib mir Paua, Baby!"

Bilderbuch: "Gib mir Paua, Baby!"

Bilderbuch ist Österreichs derzeit wichtigste Popband. Ihr neues Album "Magic Life" macht das noch einmal überdeutlich.

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Vier junge Männer, weite T-Shirts, rätselhafte Frisuren. Großer Spaß und große Kunst, als Pop verkleidet. Die Band Bilderbuch hat soeben ihr viertes Album veröffentlicht, es heißt "Magic Life" und macht tatsächlich auf magische Weise klar, wie der Zauber ins Leben kommt (und umgekehrt). Bilderbuch wurden 2005 gegründet und veröffentlichten zwei Alben mit halbwegs aufregendem Indierock. Vor gut fünf Jahren erfanden sie sich ganz neu, entdeckten Funk und die internationale Zeichensprache der Sexiness. Mit dem Album "Schick Schock" (2015) erlangten die Endzwanziger überregionale Berühmtheit. Bilderbuch denken Pop mittlerweile in größerem Maßstab als handelsübliche heimische Rockbands. Ein knackiger Refrain dient ihnen immer auch als Trägermedium für Gedanken; Gefühlen wird ein Recht auf Ästhetik eingeräumt. Pop ist eine Frage der Haltung. Bilderbuch-Musik schillert und nähert sich der Unbeschreiblichkeit. Die "Süddeutsche Zeitung" hielt schon zur EP "Feinste Seide" im Herbst 2013 ganz korrekt fest: "Es fehlen die Worte, um dies zu beschreiben. Diese Musik ist geil, weil sie geil ist. Man muss das hören." Ihre Texte kann man aber auch so verstehen - oder sollte es wenigstens versuchen. Fünf Bilderbuchzeilen aus "Magic Life":

"Die Alten sagen, nichts im Leben ist for free / Ich will's nicht glauben /Seh' da drin kein' Sinn / Ich bin so high wie nie /Türen aus Glas / Sehen mich kommen /Machen sich auf /Slideshow" (sneakers4free)

Bei dem "Magic Life", das Bilderbuch in ihrem neuen Album zum Titel-und Leitmotiv erheben, handelt es sich nicht (nur) um den zauberhaften Alltag des erfolgreichen Popkünstlers, sondern, wie Sänger und Texter Maurice Ernst nicht müde wird zu betonen, auch um eine politische Metapher: für das All-inclusive-Dasein innerhalb der Festung Europa, das man bis dato auch nie groß teilen musste, weil ja jeder Mitglied war. Ein gutes Leben, for free. Aber jetzt bricht die Mauer, Türen aus Glas öffnen sich, und niemand weiß: Ist es nur eine Simulation, eine Slideshow, oder betrifft es mich wirklich, leibhaftig? Unsicherheit dominiert, Zerbrechlichkeit regiert. Das Generationengefühl, das hier entworfen wird, klingt nach Abgesang. Immerwährender Wohlstand ist kein Geburtsrecht. Früher war trotzdem nicht alles besser. Früher musste man sich nämlich keine Gedanken machen über Solidarität, Gerechtigkeit oder darüber, warum die Schuhe gar so billig sind.

"Ich komm zu spät zu meiner Thai-Massage / Hol den Porsche aus der Garage /Sie sagte Hurry Up, Boy" (I <3 Stress)

Die anzügliche Gockelhaftigkeit, die Maurice Ernst in Videos und bei Konzerten sehr offensiv auslegt, wurzelt irgendwo in der Schnittmenge zwischen dem späten Falco und dem naiven Toyboy, der hier inszeniert wird: ein verletzlicher Großkotz vom Format eines Freddie Mercury, der auf ironische Weise in seiner Rolle aufgeht, der fühlt, dass er der Größte ist, aber eben auch ein Würschtel. Dazu kommen Gender-Unschärfen im Stil von Prince: Der Macho trägt Schminke. Und wer ist hier eigentlich der Chef? Und warum ist Entspannung immer gar so stressig? Der Porsche ist übrigens von gestern: Ein paar Nummern weiter, in dem Stück "Bungalow", heißt es dann schon: "Komm vorbei mit deinem Skoda."

"Du weißt /Mir wird so schrecklich heiß in Wien /Eh Wien. Ja, Wien /Es zieht mich über Grenzen /Fort hin, wo alles geht / Du weißt, ich muss weg, ja /Du weißt, der Success, ja." (Erzähl deinen Mädels ich bin wieder in der Stadt)

Dass Bilderbuch und die Wiener Rockband Wanda annähernd gleichzeitig groß und berühmt wurden, kann nur ein Zufall sein. Dass die beiden Bands seither immer wieder gern verglichen und als große Vorbilder eines neuen, gegenwärtigen Austropop gehandelt werden, ist aber auch kein Wunder. profil schrieb im Winter 2015, als beide Gruppen gerade ihre Durchbruchsalben veröffentlicht hatten: "Diese Wiener Indie-Bands haben sich allesamt von den Zwängen des Üblichen, des So-wird's-gemacht gelöst." Bilderbuch sind seither noch ein, zwei Schritte weiter gegangen, weshalb Wanda und Bilderbuch wie vom jeweils anderen Stern erscheinen: Wanda im Rock'n'Rollenbild, Bilderbuch im Discokugelschein; Wanda mit Majorlabel-Vertrag, Bilderbuch im Eigenverlag; Wanda im Wiener Slang, Bilderbuch weit jenseits jeder Meldeadresse.

"Diese Welt ist kalt - so cold /Aber du hast Liebe für mich /Und nimmst mich von ihr fort / Sofort /Du berührst mein' Ass" (Sweetlove)

Die Liebe ist ein kluges Gefühl und "Sweetlove" ein auffällig typischer Bilderbuch-Song. Ungebrochene Romantik wird da an eine hinterfotzige Sexiness gekoppelt, die nur sicherheitshalber noch einmal feststellt, dass es manchmal wirklich nicht viel mehr braucht als ein gutes Gitarrensolo, um ein Mädchen (oder einen Burschen) herumzukriegen. Und ja, selbst im Kontext eines unsicher gewordenen "Magic Life" ist solcher Eskapismus noch zu haben. Man darf nur seine materielle Basis nicht aus den Augen verlieren. Wer zum Knutschen auf einen moonlight drive fahren will, braucht Geld fürs Benzin. Denn ohne Sprit wird jeder Porsche zum Schneckenhaus, in das man sich allerhöchstens allein zurückziehen kann.

"Ah, ich brauch Power für mein' Akku / Keine Power in mein' Akku / Baby, leih mir deinen Lader /Komm, bitte leih mir deinen Lader" (Bungalow)

Wenn Maurice Ernst im ersten regelrechten Ö3-Hit der Band, dem leitmotivisch zentralen "Bungalow", das banalste aller Alltagsprobleme zur Rock'n'Roll-Metapher hochlädt, dann klingt das ungefähr so: Pauafümeinaggu. Also: fremd, schön, uneindeutig. Sprache wird bei Bilderbuch auch ein akustisches Phänomen, ein Instrument , auf dem man spielen kann. Zeichen werden weich. Es ist nicht alles so heiß gemeint, wie es gesagt wird. Sondern, unter Umständen, noch sehr viel heißer. Bei Bilderbuch geht es eindeutig nicht mit rechten Dingen zu.

Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 8 vom 20.2.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.