Super-John

„Bösterreich” und „Altes Geld”: Wie der Wiener John Lüftner das TV aufmischt

Porträt. Wie der Wiener John Lüftner das Fernsehen aufmischt

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Bei einem Flugzeugabsturz wäre John Lüftner der ideale Sitznachbar. Er würde einem zuvorkommend beim Anlegen der Sauerstoffmaske helfen und so etwas sagen wie: "Wir sind sicher gleich da.“

Berufsalltag
In drei Wochen ist Drehbeginn für "Altes Geld“, jener achtteiligen ORF-Serie, die "das teuerste Schauspielerensemble“ in der österreichischen Fernsehgeschichte aufbietet. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs fehlt noch die Zusage von 28 Prozent der mit fünf Millionen Euro kalkulierten Produktion: "Aber wenn man mit dem Gefühl, theoretisch am Rand der Pleite zu sein, nicht umgehen kann, sollte man nicht TV-Produzent in Österreich sein wollen. Wir sind da kein Einzelfall, das gehört in diesem Land zu unserem Berufsalltag.“ Und klar, dass eine Serie im High-Society-Umfeld mehr kostet, "als eine über Bauernschädeln im Waldviertel wie eben ‚Braunschlag‘“.

Hassliebe zu einem versumpften Land
David Schalkos schamlose Komödien-Serie über einen heruntergekommenen Wallfahrtsort in der Pampa mit der Spiellibido-Supermacht Nicholas Ofczarek und Robert Palfrader als "local heroes“ war das erste Großprojekt der "Superfilm“. In der österreichischen Fernsehgeschichte wird "Braunschlag“ in einigen Jahren jenen Stellenwert bekommen, den "Kottan“ und "Ein echter Wiener geht nicht unter“ inzwischen besitzen. Die Erfolgsformel ist ähnlich: Erbarmungslose Scharfsichtigkeit und eine Hassliebe zu einem versumpften Land als Triebkräfte, um gegen alle Widerstände breitenwirksame Unterhaltung zu machen und dabei das Publikum radikal zu fordern. "Alkoholismus, Gier und Machtwahnsinn“, so Schalko, die Grundingredienzien von "Braunschlag“, werden auch in der voraussichtlich im ersten Halbjahr 2015 ausgestrahlten Serie "Altes Geld“ Hauptrollen spielen.

Höchste Geheimhaltungsstufe
Protagonist der Serie im "superreichen Milieu“ ist Burg-Titan Gert Voss, dessen gesundheitliche Verfassung bekanntlich nicht zum Besten steht. "Unser aktueller Stand ist, dass es Herrn Voss gut geht“, erklärt Lüftner und strahlt dabei jene Art von Ruhe aus, die Menschen mit Angstfreiheit, Risiko-Abhärtung und Leidenschaft für ihre Produkte so an sich haben. Schalko, der bei "Altem Geld“ auch als Drehbuchautor und Regisseur agiert, hat das Projekt auf höchste Geheimhaltungsstufe gestellt. Lüftner: "Es ist wichtig für das Funktionieren der Geschichte, dass nichts nach außen dringt.“ Nur so viel: Voss spielt einen Milliardär, der dringend eine Leber braucht, um zu überleben. Da er sie nicht kriegt, beschließt er sein ganzes Vermögen dafür einzusetzen: "Diese Grundsituation setzt einen Krieg aus Gier, Wahnsinn und Macht in dieser Familie frei.“ Die Luxusbesetzung bestehe aus "Theaterkapazundern und Freunden des Hauses … also eigentlich allen Freunden des Hauses.“ Sunnyi Melles, Bühnenspezialistin für neurasthenische Diven soll das in solchen Milieus obligate Luder spielen? Lüftner schweigt und lächelt.

Superfilm-Familie
Unter Freunden des Hauses ist die beständige Superfilm-Familie zu verstehen: Kaum eine Produktion verlässt die Produktionsfirma im Wiener Bobo-Distrikt Neubau, ohne dass Robert Palfrader, Manuel Rubey, Nicholas Ofczarek, die Kabarettisten Thomas Stipsits und Thomas Maurer, Maria Hofstätter oder Ursula Strauss in unterschiedlicher Dosierung auftreten.

Rolle des Ermöglichers
"Als Produzenten in der österreichischen Szene sind die beiden das Salz in der Suppe“, erklärt ORF-Film- und Serienchef Heinrich Mis, "sie sind beide von extrem hohen künstlerischen Ambitionen und kühnen Gedanken getragen. Und Schalko ist, wie die Bücher von ‚Altes Geld‘ beweisen, auf der absoluten Spitze seiner Schaffenskraft. Manchmal denkt man, man muss John Lüftner fast ein bisschen vor sich selbst schützen: Er ist alles andere als ein Pfennigfuchser, sondern sieht sich vor allem in der Rolle des Ermöglichers.“

Brachialhumorige Sketchcomedy
Ein großformatiges Foto des Kabarettisten Thomas Maurer, beeindruckend nackt (Photoshop?) und eingespannt in einem Joch, ziert eine Wand von Lüftners Büro. "Ich behalte mir von jeder Produktion ein Erinnerungsstück. Das Foto zeigt eine Szene aus ‚Bösterreich‘.“ Und die ist beim österreichischen Rundfunkgesetz durchgerutscht? - "Offensichtlich. Solange keine Erektionen im Spiel sind, sind wir im grünen Bereich.“ Logisch dass Lüftner noch im Morgengrauen nach der Erstausstrahlung der brachialhumorigen Sketchcomedy, in der Palfrader und Ofczarek virtuos eine Typenrevue irgendwo zwischen "Little Britain“ und Manfred Deix abhandeln, die Quoten wissen wollte. Mit einem Marktanteil von 22 Prozent am harten Sendeplatz von 23 Uhr kann man sich wieder "enthysterisieren“. Die Dienstagnacht ist ohnehin ein Superfilm-Monopol: Vor "Bösterreich“ lief die 250. Ausgabe von "Willkommen Österreich“, für die sogar der echte Bundespräsident Heinz Fischer, genial dauerparodiert von Christoph Grissemann, seine Spaßreserven mobilisierte und eine Ansprache verlas. "Willkommen Österreich“ war das erste Baby der "Superfilm“ und eine Höllenfahrt in der Entwicklung: "Der Schalko und ich hatten gerade die Firma gegründet und wir waren eigentlich in einer No-or-Go-Situation. Die ersten Versuche waren teilweise so schrecklich, dass wir nicht einmal Saalpublikum bekamen. Wir mussten bezahlte Statisten ins Publikum setzen. Ursprünglich hieß das Ding ja ‚Sendung der Angst‘, und in jeder Folge sollte eine Phobie abgehandelt werden, lauter Schwachsinn, in dem wir uns verfahren hatten. Aber der Schalko hat dann alles über den Haufen geworfen und neu strukturiert.“

Kennengelernt hatten sich die beiden um die Jahrtausendwende, als der 45-jährige Lüftner noch als Geschäftsführer der Wiener Zweigstelle der "Neuen Sentimental Film“ agierte und Schalko mit Fred Schreiber die Idee zur "Sendung ohne Namen“ "pitchte“, wie das im Filmjargon heißt. Das Format besitzt inzwischen Kultstatus und ist nach einer längeren Ruhepause unter der Ägide der Superfilm wiederauferstanden. Lüftner hatte zuvor in der Kaderschmiede "Filmhaus“, einer Wiener Werbefilmproduktion, bei Wolfgang Ramml das Produzentenhandwerk erlernt. Ramml beschreibt Lüftner "als hervorragenden Kommunikator, aber ein Mann fürs Grobe war er nicht. Wenn es brenzlig wurde, agierte er gerne nach dem Motto: ‚Hast du viel zu tun, leg’ dich mal kurz hin.‘ Inzwischen dürfte er diese Haltung abgelegt haben.“ Gelassenheit scheint in dieser Branche eine gewisse Überlebensgrundvoraussetzung zu sein. "Aber vor allem brauchst du einen langen Atem“, sagt Lüftner, selbst 1,96 Meter groß, und sein Blick schweift auf einen antiken Schreibtisch, auf dem sich Drehbücher stapeln: "Für ‚Altes Geld‘ hatten wir eine Vorbereitungszeit von zwei Jahren. Unser Kinoprojekt, die Kehlmann-Verfilmung ‚Geister in Princeton‘, mussten wir leider wieder verschieben. Die Finanzierung klappte nicht. Dass Schalko eine Komödie über einen Mathematiker drehen will, der Geister sieht und wegen seiner Paranoia verhungert, ist nicht jedem Investor nachvollziehbar.“ Und Intuition. Eigentlich weiß Lüftner inzwischen schon sehr bald, bei welchen B-Geschichten sich eine lange Reise lohnt: "Wir haben auch schon Dinge weggeworfen, obwohl wir sehr viel Zeit und Geld investiert haben. Eine fix und fertige zwölfteilige Hotelserie mit Robert Palfrader scheiterte letztendlich an der Qualität der Bücher.“

Auch an exzentrischen Künstlerlaunen seiner Akteure stößt er sich nicht: "Ich habe die Schauspieler eigentlich alle lieb. Man muss nur wissen, wie viel man ihnen zumuten darf.“ Die achtjährige Kreativ-Ehe mit Schalko, der in Branchenkreisen als Talent-Unikat gilt, läuft friktionsfrei: "Der Schalko ist noch ruhiger als ich. Vor allem, wenn er auf dem Set ist. Da schaltet er auf Künstlermodus, vergisst aber nie, dass er auch Produzent ist.“

"John ist eine einzigartige Erscheinung“, beschreibt Schalko seinen Partner. "Es gibt keinen Raum in Wien, in dem er nicht zu groß wirkt. Seit Jahren frage ich mich, welcher Film hinter diesem John-Lüftner-Stirnrunzeln eigentlich abläuft. Und je länger ich ihn kenne, desto mehr mag ich diesen Film. Aus seinem süffisanten Gesichtsausdruck lässt sich schließen, dass es sich um eine Komödie handelt.“

An diesen Nachmittag trägt Lüftner häufig einen Gesichtsausdruck, der die Assoziation zu Zahnarztbesuchen aufkommen lässt. Es ist ihm sichtlich unangenehm, in der ersten Reihe zu stehen. Bloß nichts Privates bitte. Ja, eine Tochter, sieben, verheiratet mit einer Rechtsanwältin, Wohnsitz Klosterneuburg. Die Golfschläger-Tasche im Eck seines mit Ingo-Pertramer-Fotos gepflasterten Büros wirkt sehr neu. Ist er schon so weit, dass er Golf spielt? Verzweifelter Blick, Kopfschütteln: "Das ist ein Geschenk meines Hamburger Schwiegervaters, der sich von mir wünschen würde, dass ich Golf spiele.“ Man sieht ihm an, dass er diesen Sport als Attacke auf seine Coolness-Glaubwürdigkeit empfände. "Wir sind ein Spielplatz“, beschreibt Schalko den Geist der Firma, "für die großen Jungs, die beschlossen haben, nie erwachsen zu werden. Da laden wir dann die unterschiedlichsten Menschen zum Mitspielen ein. Es ist ja vielleicht gar nicht so wichtig, was man macht, sondern mit wem.“

Am Ende des Interviews bekommt Lüftner die Zusage für die fehlenden 28 Prozent am Produktionsbudget für "Altes Geld“. In diesem Moment sieht er eigentlich sehr erwachsen aus.

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Super-Werkschau
Erfolge und Projekte: Die Superfilm wirkt stilprägend.

"Willkommen Österreich“: Christoph Grissemann und Dirk Stermann moderierten eben die 250. Ausgabe jener Late-Night-Show, die von David Schalko erfunden wurde. Gags, Gags, Gags und jede Menge in Bobo-Haushalten kompatible Gäste.

"Der Aufschneider“: Zweiteiliger TV-Film mit Josef Hader als lebenszermürbten Pathologen, Regie: David Schalko, Drehbuch: Hader & Schalko, mit nahezu 900.000 Zuschauern ein großer Quotenerfolg.

"Braunschlag“: Alkoholismus, machtgeile Landespolitiker und Katholizismus mit einem Starensemble. Regie und Buch: David Schalko. Fast eine Million Zuschauer bei der ersten Folge. Über die Remake-Rechte wird verhandelt. Eine schottische Produktionsfirma hat Interesse angemeldet - wahrscheinlich auch wegen der ähnlichen Trinkgewohnheiten.

"Bösterreich“: Sketch-Comedy mit Nicholas Ofczarek und Robert Palfrader, Regie: Sebastian Brauneis. 80 Masken und zwei Komiker. Marktanteil 22 Prozent beim Start. Für Freunde des etwas derberen Humors.

"Tatort - Angezählt”: Regie Sabine Derflinger. Die zweie "Tatort“-Produktion der Superfilm wurde mit dem imageträchtigen Grimme-Preis ausgezeichnet.

"Altes Geld“, knapp vor Drehbeginn. Ausstrahlungstermin: 2015. Regie & Buch: David Schalko, acht Folgen à 45 Minuten. Mit Gert Voss in der Rolle eines todkranken Milliardärs, der für eine funktionierende Leber bereit ist, sein Vermögen einzusetzen. Laut Lüftner das "teuerste Schauspielerensemble“ in der ORF-Geschichte.

"Das Team“: Europäische Koproduktion mit Deutschland, Dänemark und Belgien. Eine Krimiserie, die in allen vier Ländern spielt. Keine österreichischen Kommissare, aber mit Nicholas Ofczarek ein grenzensprengender österreichischer Superbösewicht.

Foto: Ingo Pertramer

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort