"Es ist etwas Amoralisches eingerissen“

Interview. Oscar Bronner über die Versuche der Politik, Medien zu kaufen

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Interview: Herbert Lackner

profil: Unten im Foyer habe ich mich an die "Urban Legend“ erinnert, wonach Oscar Bronner mit dem entlegensten Lift in sein Büro fährt, um keine Leute zu treffen, weil er so menschenscheu ist.
Bronner: Es gibt zwei Lifte, von denen ich keinen verwende, weil ich zu Fuß gehe.

profil: Man hat mir auch geraten: Bereite viele Fragen vor, der Bronner antwortet nur mit vier Worten.
Bronner: Sehr gesprächig bin ich tatsächlich nicht.

profil: Man kann sich schwer vorstellen, dass Sie sich vor 500 Menschen hinstellen und eine flammende Rede halten. Ist dieser Eindruck falsch?
Bronner: Ich bin kein großer Orator und tu mir immer noch schwer, vor großen Gruppen zu reden. Das ist nicht meine Sache.

profil: Es gibt nur drei österreichische Zeitungsherausgeber, über die zu Lebzeiten ein Buch geschrieben wurde: Hans Dichand, Wolfgang Fellner und Sie.
Bronner: In dieser Gesellschaft wollte ich immer schon sein (lacht). Ich habe mich sehr gewundert, dass jemand über mich ein Buch schreiben wollte, und sowohl den Autoren als auch dem Verlag davon abgeraten. Aber sie haben sich nicht abhalten lassen.

profil: Man hat aber viel über Sie erfahren. Etwa, dass man den damals noch jungen Helmut Qualtinger in Ihr Kinderzimmer einquartiert hat.
Bronner: Der Quasi war mit meinem Vater befreundet und hat öfter bei uns übernachtet. Unsere Wohnung am Passauerplatz war nicht sehr groß, darum ist er in meinem Zimmer gelandet. Ich erinnere mich, dass er mit mir wie mit einem normalen Menschen geredet hat und nicht so, wie viele Leute mit einem sechs-, siebenjährigen Buben reden.

profil: Im Buch wird auch erwähnt, dass Ihre Vorfahren aus einem galizischen Dorf namens Oświęcim, zu Deutsch Auschwitz, stammen. Ihre Großeltern, die in Favoriten gewohnt haben, sind in einem KZ umgekommen. Hat diese Tragödie die Familie geprägt?
Bronner: Dass die Vorfahren aus Auschwitz gekommen sind, habe ich erst erfahren, als die Autoren der Biografie das recherchiert haben. Dass die Eltern meines Vaters umgebracht wurden, habe ich gewusst. Ich konnte sie daher leider nicht kennen lernen. Das alles ist Teil unserer Geschichte, und sie beschäftigt mich durchaus gelegentlich.

profil: Sie wurden 1943 in Haifa, im damaligen Palästina, geboren. Als Kind haben Sie besser Hebräisch als Deutsch gesprochen. Dennoch haben Sie offenbar nie so etwas wie ein jüdisches Bewusstsein entwickelt.
Bronner: Ich bin nicht religiös aufgewachsen. Meine Eltern waren nicht religiös, mein Vater war sogar Atheist. Ich habe von der jüdischen Religion kaum eine Ahnung. Aber ich habe immer gewusst, dass ich Jude bin. Wenn ich das nicht gewusst hätte, wäre ich von anderen darauf aufmerksam gemacht worden. Mein Judentum beschäftigt die anderen mehr als mich.

profil: Hätte ich diese Frage Bruno Kreisky gestellt, hätte er mir die gleiche Antwort gegeben.
Bronner: Ich glaube nicht. Kreisky hat ja sein Judentum abgelehnt. Er hat sich selbst nicht als Jude gesehen.

profil: Für ihn war das Judentum wirklich nur eine Religion. Und da er nicht religiös war, fühlte er sich nicht als Jude.
Bronner: Genau. Aber ich habe gesagt: Ich weiß, dass ich Jude bin. Ich bekenne mich auch dazu. Kreisky hat es nichts genützt, dass er sich nicht als Jude gesehen hat. Alle anderen haben ihn so gesehen. Simon Wiesenthal hat den Ausspruch geprägt: Bruno Kreisky ist der einzige Mensch in Österreich, der glaubt, dass Kreisky kein Jude ist.

profil: Haben Sie Erfahrungen mit Antisemitismus gemacht?
Bronner: Ich habe sowohl als profil- als auch als "Standard“-Herausgeber gelegentlich antisemitische Briefe bekommen, aber es waren relativ wenige. Mein Vater hat mehr bekommen, was damit zu tun hatte, dass er im Fernsehen aufgetreten ist. Er war sichtbarer als ich. Aber bei den Verhinderungsversuchen bei der "Standard“-Gründung haben einige Leute gesagt: Dieses Judenblatt muss verhindert werden.

profil: Wer war das?
Bronner: Das möchte ich nicht sagen. Es wurde mir berichtet.

profil: 1964, als Sie die antisemitischen Vorlesungsprotokolle des Universitätsprofessors Taras Borodajkewycz für das "Zeitventil“, die TV-Sendung Ihres Vaters, aufbereitet haben, waren Sie selbst politischer Akteur. Bei der folgenden Demonstration wurde ein alter Mann von einem Neonazi erschlagen. Haben Sie mit so dramatischen Folgen gerechnet?
Bronner: Selbstverständlich nicht. Der damals junge Politiker Heinz Fischer hat mir Protokolle gegeben, die der Student Ferdinand Lacina, der spätere Finanzminister, mitgeschrieben hat. Wir haben die Zitate von Borodajkewycz in der Kabarettsendung meines Vaters im Original verwendet. Dazwischen haben wir einen fiktiven Journalisten Fragen stellen lassen. Borodajkewycz hat dann in einer Pressekonferenz all diese antisemitischen Rülpser noch einmal von sich gegeben. Daraufhin hat es eine riesige Demonstration gegeben. Dass alles so einen tragischen Ausgang haben würde, konnte ich nicht ahnen.

profil: Wenig später haben Sie im von Friedrich Torberg geleiteten "Forum“ eine Artikelserie über die NS-Vergangenheit von Richtern und Staatsanwälten geschrieben.
Bronner: Das hatte ursächlich mit der Causa Borodajkewycz zu tun. Der Mann, der den Demonstranten Kirchweger getötet hat, war zu einer sehr milden Strafe verurteilt worden. Dem Täter wurde "putative Notwehrüberschreitung“ zugebilligt, was besagt: Er wurde zwar nicht angegriffen, hat aber geglaubt, angegriffen zu werden. Daher hat er sich gewehrt und eine Überschreitung der Notwehr begangen. Das war ein wildes Konstrukt. Ich habe mich also mit den österreichischen Richtern beschäftigt und herausbekommen, dass ein wesentlicher Teil eine dunkle Vergangenheit hatte. Sie hatten an Todesurteilen von österreichischen Widerständlern mitgewirkt. Und sie haben dann dafür gesorgt, dass weitere Richter Karriere machen konnten, die solche Urteile wie nach dem Totschlag Kirchwegers gefällt haben.

profil: Der schärfste Protest gegen diese Artikel kam vom SPÖ-Justizminister Christian Broda, der selbst im Widerstand gegen die Nazis war. Wie kann man sich das erklären?
Bronner: Broda hat darauf bestanden, dass die Republik den Schlussstrich gezogen habe und man daher nichts machen könne. Er musste mit diesen Richtern zusammenarbeiten, darum hat er sie verteidigt.

profil: War Broda typisch für die Zweite Republik?
Bronner: Ja. Nach dem Krieg musste man viele Positionen besetzen. Die ÖVP hat sich da etwas leichter getan, weil es mehr Kontinuität gab. Viele Sozialdemokraten waren emigriert oder umgebracht worden, viele waren ja Juden. So hat man diese freien Positionen besetzt, indem man ehemaligen Nazis den Persilschein ausgestellt hat. Plötzlich hatten sie das Etikett "Sozialdemokrat“. Das gehört zum dunkleren Teil des Gründungsmythos der Zweiten Republik.

profil: Jetzt sterben die letzten Täter und Opfer aus der Nazi-Zeit. Wenn Sie Bilanz ziehen: Sind diese furchtbaren Jahre gesühnt worden?
Bronner: In Österreich kaum. Zum Gründungsmythos gehörte ja auch, dass Österreich das erste überfallene Land war. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis Bundeskanzler Franz Vranitzky in seiner berühmten Rede festgestellt hat, dass die Österreicher sowohl Opfer als auch Täter waren.

profil: Halten Sie die FPÖ für rechtsradikal?
Bronner: Die FPÖ hatte in ihrer Geschichte immer wieder viele Berührungspunkte mit Rechtsradikalen. Ihre Toleranz nach weit rechts ist erstaunlich hoch. Hitler nicht die Ehrenbürgerschaft aberkennen zu wollen ist ein aktuelles und sehr bezeichnendes Beispiel dafür.

profil: Die Österreicher stört das offenbar nicht. Die FPÖ ist in fast allen aktuellen Umfragen auf Platz eins.
Bronner: Auf der einen Seite haben die Österreicher ein etwas schlampiges Verhältnis zu diesem Gedankengut. Auf der anderen Seite wäre es ungerecht zu sagen, dass die fast 30 Prozent, die die FPÖ derzeit wählen würden, rechtsradikal sind. Man ist viel mehr mit dieser ewigen großen Koalition, die gar nicht mehr so groß ist, unzufrieden.

profil: Man könnte es als Errungenschaft der FPÖ bezeichnen, dass es dafür bei uns keine richtig rechtsextreme Partei wie die NDP oder die Jobbik-Partei in Ungarn gibt. Diese Strömungen werden durch die FPÖ ein wenig domestiziert.
Bronner: Da bin ich nicht so sicher. Diese ganz Rechtsradikalen, die auf gewissen Websites aufscheinen, sehen sich durch die FPÖ offenbar gut vertreten. Es gibt einen fließenden Übergang von der FPÖ zum Rechtsradikalismus.

profil: Der "Standard“ ist seit nun 23 Jahren ein Produkt mit fünf bis sechs Prozent Reichweite. Ist das der Plafond für eine Zeitung dieses Typs?
Bronner: Ja, weitgehend. Wobei diese fünf bis sechs Prozent ein ungewöhnlich hoher Prozentsatz sind. In Deutschland haben "Süddeutsche“ und "FAZ“ gemeinsam eine geringere Reichweite als der "Standard“ in Österreich. Zeitungen dieses Typs sprechen überall nur eine Minderheit an, sie erheben einen gewissen Anspruch ans Zeitbudget und an die Gehirnwindungen.

profil: Ist das nicht ein wenig elitär?
Bronner: Ich müsste die Zeitung ändern, um eine größere Reichweite zu erzielen. Dann wäre es eine andere Zeitung, und die wollte ich nicht gründen.

profil: Hat es Sie nie gereizt, ein Massenblatt zu machen? Eine liberale "Krone“?
Bronner: Ich kenne weltweit kein liberales Massenblatt. Massenblätter sind überall populistisch und agieren wie populistische Parteien. Bei meinen Zeitungsgründungen war es nicht mein Ziel, weiter zur Volksverdummung beizutragen - im Gegenteil.

profil: Die auflagenstärkste Tageszeitung Wiens ist die U-Bahn-Zeitung "Heute“. Wissen Sie, wem die gehört?
Bronner: Ich habe Ahnungen. Aber das gehört ja mit zum Skandal: dass die Besitzverhältnisse bei "Heute“ über Treuhänder und eine Stiftungskonstruktion vernebelt werden. Wir können aus diversen Personalentscheidungen nur schließen, dass in der Eigentümerschaft irgendwie die Familie Dichand und die Wiener SPÖ vertreten sind. Das ist keine hygienische Situation.

profil: Bundeskanzler Faymann wird vorgeworfen, ein zu inniges Verhältnis zu Boulevardzeitungen zu pflegen. Tut man ihm da nicht Unrecht? Bisher hat doch jeder Kanzler versucht, sich mit der "Krone“ zu arrangieren.
Bronner: Sicher muss ein Spitzenpolitiker versuchen, auch zu Boulevardzeitungen ein geordnetes Verhältnis zu haben. Aber wenn dieses Verhältnis durch enorme Inseratenaufträge hergestellt wird, die unter anderem davon abhängen, dass die Berichterstattung positiv ist, wenn also mit Steuergeldern positive Berichterstattung gekauft wird, dann hat das nichts mehr mit einem geordneten Verhältnis zu tun.

profil: Haben Sie das dem Bundeskanzler schon einmal gesagt?
Bronner: Ich habe das schon mehrfach deponiert.

profil: Wie war die Reaktion?
Bronner: Nicht befriedigend. Aber es betrifft nicht nur den Kanzler, es betrifft auch die Gemeinde Wien. Und auch Erwin Pröll spielt hervorragend auf dieser Klaviatur. Er macht die Insertion mit Steuergeldern sogar explizit von freundlicher Berichterstattung über seine Person abhängig. Daher finden Sie aus seinem Bereich kaum Inserate im "Standard“. Da ist etwas in hohem Maße Amoralisches eingerissen.

profil: Sind Sie mit einem Politiker befreundet?
Bronner: Nur mit Heinz Fischer aus der Zeit, als ich noch 17 war. Ich suche nicht die Nähe von Politikern, ich bin mit keinem anderen per Du. Ich war immer bemüht, eine gewisse Distanz zu halten, weil mir diese Verhaberung zwischen Politik und Journaille sehr auf die Nerven geht.

profil: Ist die sehr groß in Österreich?
Bronner: Na sicher. Mit wie vielen Politikern sind Sie per Du?

profil: Ich bin schon lange im Geschäft.
Bronner: Ich auch, aber ich bin mit den meisten nicht per Du.

profil: Ja, aber Sie sind Herausgeber, und ich stehe "an der Front“.
Bronner: O.k., ich will Sie deswegen nicht verurteilen, aber man wird da vereinnahmt. Das versuche ich für mich zu verhindern.

profil: 23 Jahre, wie beim "Standard“, haben Sie es noch nie bei einem Projekt ausgehalten. profil haben Sie im Kleinkindalter von vier Jahren verkauft.
Bronner: Ich habe "trend“ und profil damals nicht freiwillig verkauft und habe es als Niederlage empfunden, dass ich verkaufen musste. Aber hätte ich 1974 nicht verkauft, wären beide Magazine untergegangen. Als ich "trend“ und profil gegründet habe, war ich der Meinung, sie für den Rest meines Lebens zu leiten. Dann habe ich meinen Beruf gewechselt und bin Maler und Bildhauer geworden. Da konnte ich mir wieder nicht vorstellen, das jemals aufzugeben, um noch eine Zeitung zu machen. Wie man merkt, habe ich die Zeitung gemacht. Mittlerweile habe ich es mir abgewöhnt, Prognosen über die Zukunft abzugeben.

profil: Ist der "Standard“ Ihr Lebensprojekt?
Bronner: Ich war schon 45, als ich ihn gegründet habe, deswegen hat auch schon vorher einiges stattgefunden. Aber er ist sicher eines der wichtigsten Projekte meines Lebens.

profil: Womit durch dieses Interview auch widerlegt ist, dass Oscar Bronner Fragen mit nur vier Worten beantwortet.
Bronner: Es war also nicht so arg?

Fotos: Monika Saulich für profil