„Man kann in ­Hollywood auch unter die Räder kommen“

Christian Bale: „Man kann in Hollywood auch unter die Räder kommen“

Interview. Christian Bale über Gänsehaut und Hollywoods Abgründe

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Interview: Stefan Grissemann

profil: Betrachten Sie Ihren Beruf eher als Vergnügung oder als richtig harte Arbeit?
Christian Bale: Er ist beides – und viel mehr: Manchmal macht das Schauspielen extrem Spaß, manchmal hasse ich es oder halte es für komplett sinnlos. Es kann wunderbar sein zu spielen, und plötzlich meint man zu erkennen, dass Filme tatsächlich Kunst sein könnten. Dann wieder erscheint einem das Kino so weit von jeder denkbaren Form der Kunstausübung entfernt, dass man in tiefe Zweifel versinkt. Schauspielen ist all das für mich. Deshalb liebe ich es und verachte es, und deshalb kehre ich auch immer wieder dahin zurück – es lässt mich einfach nicht kalt.

profil: An Nordamerikas Kinokassen blieb Ihr beeindruckender jüngster Film, „Auge um Auge“, überraschend erfolglos.
Bale: Das verstehe ich selbst nicht. Was ist das? Ein Marketingproblem? Zeitgeist? Ich hoffe, dass der Respekt vor diesem Werk mit den Jahren wachsen wird. Ich finde, „Auge um Auge“ ist ein überaus nuancierter Film, der nur an der Oberfläche ein typischer Rachethriller ist, aber in Wahrheit sehr präzise und subtil die amerikanische Männlichkeit auslotet. Es geht auch um Patriotismus, um Menschen, die eine genuin positive Heimatliebe in sich tragen – und eben nicht die bösartige, fremdenfeindliche Form des Patriotismus. Das Finale wirft viele Fragen auf. Ich liebe Filme, die das tun. Sie gehen von der Intelligenz ihres Publikums aus.

profil: Aber „Auge um Auge“ ist auch äußerst trist. Hatten Sie nie die Sorge, die Story könnte zu trostlos erscheinen?
Bale: Ich weiß sehr genau, dass ich wenig Begabung habe zu erraten, was Kinogänger wirklich sehen wollen. Aber ich will auch Filme nicht deshalb machen, weil ich denke, sie seien an der Kasse wirksam.

profil: Sie haben doch extrem kommerzielle Filme gemacht – die „Batman“-Serie etwa.
Bale: Klar, aber nicht, weil ich sie für lukrativ hielt, sondern weil es mir Freude machte, in ihnen zu spielen. Und diese Freude wäre durch einen Flop an den Kinokassen nicht geschmälert worden. Um also Ihre Frage zu beantworten: Nein, ich fand und finde „Auge um Auge“ nicht trostlos. Denn der Mann, den ich da spiele, tritt für universale Werte ein, auch wenn dies fatale Konsequenzen hat. Er ist ein Repräsentant des guten Amerika. Er glaubt nicht an den Materialismus. Sein Maßstab des Erfolgs ist nicht Geld. Er glaubt an den inneren Reichtum. Das finde ich sehr erbaulich. Er liebt seine Stadt, sein Land aufrichtig. Trist ist nur die Missachtung eines solchen Mannes.

profil: Sie sind Engländer, sprechen ein prononciert britisches Englisch, das man von Ihnen aus dem Kino kaum kennt. Betrachten Sie Amerikas Patriotismus von außen, oder ist Ihnen das Amerikanische schon zur zweiten Natur geworden?
Bale: Ich lebe schon seit mehr als 20 Jahren in den Vereinigten Staaten, länger als ich je in England gelebt habe. Natürlich habe ich das Gefühl für meine alte Heimat nicht verloren, und wenn die englische Nationalelf auf dem Fußballfeld steht und unsere Hymne singt, kriege ich nach wie vor Gänsehaut. Obwohl der Text so lächerlich ist, spüre ich den unvermeidlichen Kloß im Hals. Aber Nordamerika ist meine Wahlheimat, meine Tochter ist Amerikanerin. Nein, ich kenne den US-Patriotismus mittlerweile so genau, dass ich ihn durch die Augen dieses Mannes, den ich in „Auge um Auge“ darstelle, sehen kann. Aber ebenso genau erkenne ich den Unterschied zu jenem idiotischen Patriotismus, den politische Parteien meinen und der nichts als Entzweiung propagiert.

profil: Sie changieren in Ihrer Arbeit gern zwischen unabhängigen, oft eher marginalen Autorenfilmen und teuren Studio-Produktionen. Ist das eine bewusste Karriereentscheidung?
Bale: Nein. Aber es gibt einen natürlichen Rhythmus, der sich aus der Abwechslung ergibt. Großproduktionen erfordern eine ganz andere Disziplin, viel mehr Stehvermögen und üblicherweise auch eine ganz andere Art des Schauspiels. Hollywood laugt mich oft derart aus, dass ich das raue Durcheinander kleiner Filme als Ausgleich dringend brauche. Ich liebe die Geschwindigkeit und den Schwung unabhängiger Produktionen, sogar das geringe Budget, das schnelles, entschiedenes Handeln erfordert. Not macht erfinderisch. Ganz ehrlich: Ich genieße kleine Projekte einfach mehr als die großen. Aber nach ein paar Autorenfilmen kehre ich ganz gerne auch zu einem Blockbuster zurück.

profil: Ist die US-Filmindustrie denn noch ein guter Ort für Schauspieler, die ihren Beruf ernst nehmen?
Bale: Nur manchmal. Es würde zwar niemand zugeben, aber man kann in Hollywood auch unter die Räder kommen. Letztlich geht es nur um die Geschichten, nicht darum, wie viel ein Film kostet. Man muss darauf achten, dass man zu positiven Arbeitspartnerschaften findet. Ein Regisseur wie David O. Russell, mit dem ich „American Hustle“ gemacht habe, ist so ein Künstler: ein launen- und lebhafter Typ, dessen Persönlichkeit sich in seinen Filmen deutlich spiegelt. Aber auch ein Filmemacher wie Terrence Malick …

profil: … mit dem Sie bereits drei Mal gearbeitet haben …
Bale: Ja, 2005 in „The New World“, vergangenes Jahr in dem noch unveröffentlichten Film „Knight of Cups“ – und gerade absolvierte ich ein paar wenige Drehtage für den noch titellosen übernächsten Malick-Film. Das wird allenfalls eine sehr kleine Rolle werden. Aber ich bin mit Terry gut befreundet, mag seinen unkonventionellen Stil. Wieder völlig anders arbeitet Michael Mann, mit dem ich 2009 „Pub-lic Enemies“ gedreht habe. Mich erfreuen die ungeheuren Unterschiede zwischen all diesen Regisseuren.

profil: Wie arbeitet der mysteriöse Terrence Malick denn? Immer ohne Drehbuch?
Bale: Unterschiedlich: Bei „The New World“ gab es eines, bei „Knight of Cups“ definitiv nicht. Ich habe jedenfalls nie eines gesehen.

profil: Fühlen Sie sich auch ohne die Sicherheit eines Skripts wohl?
Bale: Ja, mit Terry schon. Er ist immer fröhlich und ungeheuer herzlich. Er erklärt einem die Figur, die man zu spielen hat, vorab sehr genau. Dann konfrontiert er einen, während die Kamera läuft, mit anderen Figuren, von denen man nicht weiß, was sie tun und sagen werden. Manchmal sind das Schauspieler, manchmal nicht – auch das wusste ich nicht immer. Und bisweilen gibt er mir eine Dialogzeile mit, die ich irgendwann sagen, für die ich einen passenden Platz im Spiel finden soll. Terrys Arbeitsprozesse sind sehr offen, seine Figuren reden, wie wir beide jetzt reden: impulsiv, manchmal einander überlappend. Man lässt sich einfach überraschen. Ich habe allerdings keine Ahnung, wie „Knight of Cups“ am Ende aussehen wird. Vermutlich hat Malick zehn verschiedene Versionen seines Films im Kopf, aus denen er wählen kann.

profil: Sind Sie eigentlich am besten gleich in der ersten oder zweiten Aufnahme einer schwierigen Szene – oder laufen Sie oft erst nach etlichen Versuchen zu einer bestimmten Qualität auf?
Bale: Das hängt erneut vom Stil des Regisseurs ab, aber durchaus auch vom Kamerateam, mit dem man erst so etwas wie eine gemeinsame Geschwindigkeit entwickeln muss. Bei manchen Crews kann es aber auch so sein, dass man nicht einmal ansatzweise besprechen muss, was man vorhat, und bang! – sie kriegen’s mit und machen alles richtig: So etwas liebe ich! Natürlich wäre es ideal, wenn man nie mehr als einen Take bräuchte – und schon zur nächsten Einstellung gehen könnte. Realistisch gesehen braucht man oft mehrere Versuche. Aber in „Auge um Auge“ gibt es, genau wie in „The Fighter“ oder in „American Hustle“, viele Szenen, die gleich beim ersten Mal saßen, oft mit großartigen Unfällen, mit ungeplanten Details, die aber genau passten. Ich bin alles andere als ein Perfektionist, sehe mich viel lieber als Anti-Perfektionisten. Ich habe keine exakte Vorstellung dessen, was es zu erreichen gilt – daher muss ich dieser Vorstellung auch nicht verzweifelt hinterherjagen. Meine Utopien sind vage, ich kann den Dingen erlauben, anders zu laufen als geplant. Sie sind deshalb ja noch nicht falsch.

profil: Wenn ein Regisseur eine Szene immer wieder drehen lässt, sagen wir 18 oder 20 Mal, weil er meint, Sie hätten sie noch nicht ganz auf den Punkt gebracht: Geht Ihnen das auf die Nerven?
Bale: Klar! Ist mir schon passiert. Dann muss ich ein bisschen streiten – oder ich erkenne rechtzeitig, dass der ungeheuer langweilige Wahnsinn doch eine Methode hat. Dann füge ich mich, weil ich einsehe, dass man mir etwas entlocken will, das erst kommen kann, wenn ich vom Drehen wirklich demoralisiert bin. Das kann ja alles sein. Wenn ich Ihnen jetzt denselben Witz 20 Mal hintereinander erzähle, werden Sie nicht lachen können, und ich werde am Ende selbst nicht mehr wissen, was genau daran einmal lustig gewesen sein soll. Aber möglicherweise geht es manchmal gerade darum: zu vergessen, worum es eigentlich ging. Wenn es allerdings auch darum nicht geht, ist solcher Perfektionismus nur unnötiger Luxus und Mangel an Respekt vor den Menschen, mit denen man arbeitet.

profil: Hinter der exzentrischen Fassade jenes Mannes, den Sie in „American Hustle“ spielen, ist Christian Bale kaum noch erkennbar. Lieben Sie es, hinter bizarren Frisuren und Fett, hinter Ihren Figuren zu verschwinden?
Bale: Absolut. Ich kann meine Filme überhaupt nur dann genießen, wenn ich mich darin nicht wiedererkenne. Wenn ich mich selbst auf der Leinwand wahrnehme, tendiere ich dazu, peinlich berührt zwischen meine Finger zu blicken. Da geht es übrigens gar nicht nur um Physisches. Ich kann mir selbst sehr ähnlich sehen und trotzdem jemand ganz anderer sein.

profil: Sie starteten Ihre Karriere sehr früh – kein Geringerer als Steven Spielberg gab Ihnen 1986 in „Das Reich der Sonne“ Ihre erste große Rolle. Da waren Sie erst zwölf. Sie wollten immer schon ins Kino?
Bale: Nein, damals dachte ich, das sei wohl eine einmalige Erfahrung, die sich niemals wiederholen werde. Ich kannte wenig Filme, ging kaum ins Kino. Ich wusste gerade mal, wer Spielberg war. Aber es machte Spaß, ich reiste viel und spielte ganz instinktiv, was Kinder ja viel besser können als Erwachsene. Ich hatte damals die Ahnung, dass es nur ums Spielen ging, dass es am Ende gar kein Produkt, keinen Film geben werde. Dieses Gefühl, dass am Ende keine Ergebnisse stehen werden, die man einem Publikum zeigen kann, habe ich mir bis heute erhalten. Man erreicht seine allerbesten Leistungen, wenn man vollständig verdrängt, dass es um Resultate geht. Es sollte immer nur ums Machen, um den Augenblick gehen.

Christian Bale, 40
Der gebürtige Brite gehört zu den virtuosesten Darstellern des Gegenwartskinos. Neben Auftritten in Autorenfilmen („Velvet Goldmine“, 1998; „The Fight­er“, 2010) und Blockbuster-Rollen wie in der „Dark Knight“-Kinoserie, in der er seit 2005 den maskierten Comics-Rächer Batman spielt, gilt er als Spezialist für abgründige Figuren. Derzeit ist Bale in gleich zwei Kinofilmen zu erleben: in der Gaunerkomödie „American Hustle“ und in dem Thriller „Auge um ­Auge“. Das profil-Gespräch fand im Rahmen der Filmfestspiele Berlin statt.