"Da gibt es viel Hobbypsychologie"

Sonja Aziz, spezialisiert im Bereich Opferschutz, über den Schuldspruch für Harvey Weinstein als Triumph für die #Metoo-Bewegung und die Praxis in Österreich.

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profil: Empfinden Sie das Urteil gegen Harvey Weinstein wie viele #Metoo-Aktivistinnen als Meilenstein? Aziz: Es ist mit Sicherheit ein Fortschritt, zeigt aber auch, wie belastend ein solcher Prozess für die Opfer sein kann. Und wie schnell die Stimmung in Richtung Victim-Blaming umschlagen kann.

profil: Cyrus Vance, der Bezirksstaatsanwalt von Manhattan, hat den Weinstein-Prozess zu seiner persönlichen Schlacht gemacht. Wäre diese Haltung eines Staatsanwalts bei uns zulässig? Aziz: Nein, im Gegensatz zum amerikanischen darf in unserem Rechtssystem ein Staatsanwalt nicht parteiisch agieren. Ein großes Defizit bei uns sind die Ermittlungsressourcen. Da werden oft Verfahren eingestellt, weil nicht die notwendigen Ermittlungsschritte seitens der Staatsanwaltschaft gesetzt wurden.

Der Versuch, eine Mitschuld des Opfers zu konstruieren oder es als unglaubwürdig darzustellen, ist durchaus üblich

profil: Ist Victim-Blaming noch immer die gängige Strategie bei Vergewaltigungsprozessen? Aziz: Der Versuch, eine Mitschuld des Opfers zu konstruieren oder es als unglaubwürdig darzustellen, ist durchaus üblich. Da werden von den Strafverteidigern oft schon die polizeilichen Vernehmungen Wort für Wort zerpflückt, wobei die begleitenden Schreiben keine wortwörtlichen Mitschriften sind, sondern nur Zusammenfassungen nach der Vernehmung seitens des Polizisten. Das gehört dringend geändert. Ihre Unterschrift setzen die Betroffenen dann oft in einem emotionalen Ausnahmezustand. Die Polizei wird oft als Obrigkeit empfunden, und manche Frauen wagen es nicht, da im Nachhinein noch Korrekturen einzufordern.

profil: Seit 2016 ist im Strafgesetzbuch durch die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung mit einem Strafausmaß von bis zu zwei Jahren zu rechnen. Wie praktikabel ist das in der Umsetzung? Aziz: Schwierig. Es geht ja hier nicht nur um das klare Nein, sondern auch um andere Möglichkeiten, zu signalisieren, dass es sich nicht um Einvernehmlichkeit handelt - wie zum Beispiel ein Weinen oder dass eine Betroffene die Handlung aus Angst vor vorangegangener Gewalt stumm über sich ergehen lässt. Zur Urteilsfindung muss der Vorsatz des Täters nachweisbar sein, diese sexuelle Selbstbestimmung zu verletzen. Das ist selten möglich. Viele dieser Verfahren werden aus Mangel an Beweisen eingestellt.

profil: Wo liegt denn der größte Verbesserungsbedarf? Aziz: In der Wissensvermittlung. Staatsanwälte und Richter haben keine psychologische Expertise und keinerlei Schulung, was häusliche und sexuelle Gewalt betrifft. Da gibt es viel Hobbypsychologie seitens der Strafverteidiger, der dann Richter und Staatsanwälte nichts entgegenzusetzen haben.

profil: Im Weinstein-Prozess führte die Verteidigung das Verhalten der Opfer ins Treffen, die nach den Delikten oft noch freundschaftlichen oder auch sexuellen Verkehr mit Weinstein hatten. Aziz: Dass das kein Widerspruch sein muss, ist eine in der Traumaforschung verankerte Erkenntnis. Womit wir auch wieder beim Victim-Blaming sind. Ein solches Nachtat-Verhalten bekommt dann oft in Prozessen eine weit größere Dimension als die Straftat selbst.

Sonja Aziz ist Rechtsanwältin in Wien mit den Schwerpunkten Opferschutz und Familienrecht. Sie kooperiert intensiv mit Opferschutzeinrichtungen und begleitete Frauen, die Opfer von Gewalt wurden, juristisch bei ihren Prozessen.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort