Dagmar Koller

Dagmar Koller: "Und ich liebe mich"

Im August wird Dagmar Koller amtliche 80. Die Ehrungsmaschinerie läuft auf Hochtouren – ihre Selbstdarstellungslust auch.

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Klassische Interviewsituationen sind in diesem Leben nicht vorgesehen: zu brav, zu bieder, zu vorhersehbar. Zuerst ein Rundgang durch die Naglergasse, eine verwinkelte Zimmerflucht, die stellenweise einem Helmut-Zilk-Mausoleum gleicht. Überall blinzelt einem Wiens Altbürgermeister entgegen, in Pappe, als Foto, als Karikatur. Psst, eigentlich darf da niemand hinein. Aber das war sein Schlafzimmer. Auf dem gemusterten Bettüberwurf liegt ein Stoffhäschen. Der Zilk hat ja so gern Haserln gehabt. Auf der anderen Seite schläft sie – die Koller, wie man sie in Wien nennt. Die höhere Zärtlichkeitsstufe in der Bevölkerung lautet „Dagi“. Täglich wird hier auf dem Bett Morgengymnastik gemacht, schon beim Aufwachen. Sie legt sich rücklings und quer über das Bett und lässt ihren Oberkörper und Kopf dabei auf den Boden fallen. So fließe das Blut ins Hirn, erklärt sie. Dann langsames Hochziehen, um die Bauchmuskeln zu straffen.

Die Koller ist eine Supermacht an Authentizität. Bei ihr hat man tatsächlich den Eindruck, dass da eine ist, die keine andere sein will und ihre Biografie als eine Art Lottogewinn sieht: „Ich musste zwar immer hart arbeiten, denn ich wollte immer in der ersten Reihe stehen. Und manchmal haben sie mich in die zweite verbannt – nicht dünn genug, zu große Nase. Aber ich bin überzeugt, dass es auf der ganzen Welt kaum eine Frau gibt, die so ein Leben leben durfte. Ich habe alles ausgekostet, sowohl künstlerisch wie auch privat.“

Die Schlafzimmer in der Ehe Zilk-Koller waren getrennt. Über dem Koller-Bett prangt ein Gemälde mit der Rückenansicht eines Paars. Der Mann hält der Dame die Hand, schützend, wie die Koller meint, auf der Pobacke. Der Zilk sei immer so mit ihr gegangen. Jaja, ihr „Popscherl“ sei noch immer ganz gut beinander. Auf einer Konsole im Koller-Schlafzimmer prangt ein besonders großes Zilk-Fotoporträt. Anfangs dachte sie, wie rührend, da weint er ja, der Zilk, und schaut so lieb traurig. Dabei hatte er nur Heuschnupfen. Männer! Mit den täglichen Friedhofsbesuchen hat sie auch aufgehört. Die ersten zwei Jahre nach seinem Tod 2008 ging sie, versteinert in Trauer, nahezu täglich auf den Friedhof, schlug dabei immer wieder auf die Grabskulptur und rief: „Gib mir Kraft!“ Aber irgendwann hat sie sich die Witwen, die an den anderen Gräbern getrauert haben, genauer angesehen. Da wusste die Koller, dass diese Art alles zudeckender Trauer ihr das Leben abgrub und sie aber genau dorthin so schnell wie möglich wieder zurückwollte. Es war ein hässlicher Novembertag, als sie beim Nachhausekommen den Entschluss fasste, dass nun tatsächlich Schluss mit traurig sein musste. Bitte hier, die Laden, alles voll noch mit den schönsten Krawatten vom Zilk. Brioni, Versace, nur die feinsten Marken. Und da, seine Anzüge. Sie öffnet den Schrank. „Sehen Sie, der ist von Tlapa. Er war sehr bescheiden. Nur hat er sich sein ganzes Leben einen Maßanzug vom Knize gewünscht, Und den habe ich ihm geschenkt. Sieben Mal musste er ihn probieren, weil er immer wieder stark abgenommen hat. Und dann, als er endlich fertig war, ist er gestorben.“ Aber jetzt trage der Zilk den Anzug wenigstens für immer, denn natürlich hat sie ihm das wertvolle Stück für die letzte Reise angezogen.

INTERVIEW: ANGELIKA HAGER

profil: Jede Lebensphase hat auch ihre Vorteile. Welche mögen Sie knapp vor Ihrem 80. Geburtstag am 26. August? Koller: Dass man sich auch ein bisserl vergesslich stellen kann – eine fantastische Notlüge, die einem jeder in diesem Alter nachsieht. Um fünf denke ich manchmal: Jössas, in zwei Stunden holt mich das Taxi ab, zum Beispiel zu einem Abendessen. Und dann sage ich mir manchmal: Bitte, das ist doch kein Leben. Jetzt, wo ich endlich Zeit habe, für mich und nur für mich, kann ich doch einfach so tun, als ob ich’s vergessen hätte. Endlich bin nur ich mir wichtig. Und ich liebe mich, von Herzen! Ich verrate Ihnen eines: Eine 80-Jährige braucht viel Zuwendung. Die gebe ich mir selber. Mich umarmt doch keiner, die haben Angst vor mir. Aber ich schwöre Ihnen: Ich vermisse das männliche Geschlecht nicht.

profil: Und die Nachteile? Koller: Dass ich mir die Blumen selber kaufen muss. Ich war ja so verwöhnt. Jeden Abend habe ich in der Volksoper Berge von Blumen gekriegt. Wir hatten immer 25 Vasen im Haus, die gefüllt waren.

profil: Durch die Presse geisterte immer wieder ein junger Mann namens Michael Balgavy, mit dem Sie mehr verbinden soll. Koller: Dieser für mich so wichtige Mensch ist 40. Er hat ja auch den Prachtband über mich, „Goldene Zeiten“, gemacht. Und ist ein Freund geworden. Ein Freund ist viel wichtiger als jeder Liebhaber. Und glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede.

profil: War Sexualität wichtig in Ihrem Leben? Koller: Nein, gar nicht so sehr. Zärtlichkeit, Zuwendung, das hatte mehr Bedeutung. Der Zilk hat mir immer in der Früh einen Zettel geschrieben: dass er ohne mich nicht leben kann, dass ich alles für ihn bin. Er hat mich sooo geliebt. Wenn ich spät nach Hause gekommen bin, konnte ich noch so mäuschenstill sein – er ist trotzdem in seinem langen Nachthemd wie das Darmol-Männchen bei der Tür gestanden und hat mit vorwurfsvoller Miene auf die Uhr geklopft.

Meine Männer haben mich immer verwöhnt.

profil: Neuerdings führen Menschen wieder häufig offene Beziehungen. Haben Sie eine solche geführt? Koller: Unvorstellbar. Ich war ja eigentlich untypisch für den Helmut, er stand mehr auf Dunkelhaarige. Der Zilk war ja ein solcher Womanizer. Wenn wir gemeinsam verliebt durch die Stadt gegangen sind, haben viele der Verflossenen zornig ihre Türen zugedroschen. Die haben mich gehasst.

profil: In Ihrer Generation herrschte unter vielen Frauen noch ein geringes Selbstbewusstsein, was Sexualität betrifft. Sind Sie auf Ihre Rechnung gekommen? Koller: Immer! Meine Männer haben mich immer verwöhnt. Und ich war sehr wählerisch.

profil: Sie sind seit Langem eine Galionsfigur der Schwulenbewegung. Koller: Darauf bin ich stolz. Ich liebe es, wenn etwas an mir glitzert. Ich bin gerne eine Glamour-Ikone.

profil: Unter Künstlern gehört Bisexualität häufig zum guten Ton. Haben Frauen Sie je erotisch angezogen? Koller: Nein, ich hab’s nun einmal mit den Männern.

profil: Wo waren Sie, als der Ibiza-Skandal ausbrach? Koller: Das habe ich natürlich gleich in den Nachrichten gesehen. Durch den Helmut habe ich auch gelernt, die Zeitungen nicht mehr von hinten, sondern von vorn zu lesen.

Den Kern mochte ich sehr gern – sehr fesch und sehr sympathisch. Den Hass auf den habe ich nicht verstanden.

profil: Was waren Ihre ersten Gedanken? Koller: Grauenhaft! Das Getue von dem Strache war mir immer zu vordergründig. Er hat wunderschöne Augen und ist ziemlich redegewandt. Und er hat mich immer freundlich gegrüßt, wenn wir uns am Graben begegnet sind. Aber sich so aufzuführen, ist doch unerträglich. Die Leute um den Zilk haben auch immer gern ein paar Spritzer getrunken. Aber so dämlich hätte sich bei denen kein Einzelner benommen. Den anderen, diesen Gudenus, kenne ich gar nicht. Aber nach diesen politischen Turbulenzen bleibt doch das Gefühl der Verunsicherung.

profil: Die SPÖ ist heute in einem Zustand, der zu Ihrer Verunsicherung wahrscheinlich noch beitragen wird. Koller: Ich äußere mich dazu nicht. Viele Menschen aus der SPÖ sind meine Freunde. Den Kern mochte ich sehr gern – sehr fesch und sehr sympathisch. Den Hass auf den habe ich nicht verstanden.

profil: Was halten Sie von der neuen Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner? Koller: Eine sehr hübsche Person. Und Ärztin, durchaus beeindruckend. Sie werden von mir nichts Negatives über Frauen hören. Ich verachte Stutenbissigkeit, weil ich selbst so viel davon erleben musste.

profil: Wo schwächeln Politiker am meisten? Koller: Bei der Körpersprache. Ich war ja einmal mit dem Marcel Marceau zusammen. Der hat mir viel diesbezüglich beigebracht. Ich wäre ein super Coach für Politiker.

profil: Wann war das mit Marceau? Koller: Als er behauptete, 48 zu sein und in Wahrheit 56 war. Der hat dermaßen schamlos in Bezug auf sein Alter gelogen.

Wenn ich Sebastian Kurz sehe, denke ich mir immer: So einen hätte ich gern als Sohn.

profil: Jetzt haben Sie mich an eine möglicherweise heikle Stelle geführt: Ihnen sagt man nach, dass Sie im Pass ein falsches Geburtsjahr stehen haben. Koller: Das stimmt nicht, da steht 1939. Aber natürlich habe ich immer gelogen, was mein Alter betrifft. Und das ging schon mit 20 los, als ich bei einer amerikanischen Agentur unter Vertrag war.

profil: Und diese 80 jetzt sind echt? Koller: Wasserdicht.

profil: Was halten Sie von Sebastian Kurz? Koller: Wenn ich den sehe, denke ich mir immer: So einen hätte ich gern als Sohn.

profil: Wollten Sie nie Kinder? Koller: Ich habe meinen Beruf geliebt. Das wäre doch unmöglich gewesen. Dabei habe ich so viel mitgemacht, als der Zilk Bürgermeister wurde. Ich wurde ja so heftig kritisiert die ganze Zeit.

profil: Hat Sie das gekränkt? Koller: Es war schwer. Ich habe insgesamt mehr verdient als der Zilk als Bürgermeister. An der Volksoper hatte ich Bombengagen. Darauf hat ihn der Rechnungshof aufmerksam gemacht. Da wurden meine Verträge dann gleich runtergesetzt.

profil: Hat Zilk darunter gelitten, dass Sie keine First Lady im klassischen Sinn sein wollten? Koller: Nein, überhaupt nicht. Er war mächtig stolz auf mich. Und wenn er mich öffentlich ein bisschen rüde behandelt und „Koller, grüß schön“ gekläfft hat, hat mich das überhaupt nicht gekränkt. Das war ein Spiel zwischen uns. Er hat immer gesagt: „Ich bin der Herr im Haus, aber bestimmen tut meine Frau.“

profil: Haben Sie profil verziehen, dass unser damaliger Innenpolitikchef Herbert Lackner 2009 Helmut Zilks Spionagetätigkeit für den tschechischen Geheimdienst aufdeckte? Koller: Der Mann steht auf meiner Liste. Das ist doch alles nicht wahr! Ich will davon jetzt nichts mehr hören, das ist für mich erledigt.

Ich finde es traurig, wie sich manche herrichten lassen. Diese veroperierten Gesichter, denen ihr Charakter abhandengekommen ist!

profil: Sind Sie manchmal einsam? Koller: Ja, durchaus. Vor allem an den Wochenenden, wo alle auf dem Land sind. Dann mache ich mir vielleicht einen kleinen Whisky, mit Cointreau gemischt, und gehe viel spazieren in der Innenstadt. Ich bin zu stolz, um jemanden anzurufen. Ich setze mich auch allein zu Fabios, zum Abendessen. Manchmal tue ich auch so, als ob ich jemanden suche, wenn mich die Frauen so anstarren.

profil: Whisky? Ist nicht eher Wodka Ihr Signature-Getränk? Koller: Damit habe ich aufgehört. Das war mir dann irgendwann zu fad. Die haben mir ja schon im Flugzeug, ohne zu fragen, welchen serviert. Aber ich wollte mir eben auch eine kleine Unanständigkeit leisten, weil ich ohnehin immer so brav sein und funktionieren musste.

profil: Die Frauen starren wahrscheinlich so, weil Sie es nicht glauben können, dass Sie so toll aussehen und Ihre Falten unbehandelt lassen. Koller: Ich finde es traurig, wie sich manche herrichten lassen. Diese veroperierten Gesichter, denen ihr Charakter abhandengekommen ist! Viele Frauen haben ja heute nach einer OP ein großes und ein kleines Auge. Und ab 55 sollte man auch seine Knie, wie schlank sie auch sind, bedeckt lassen.

profil: Ihre Wohnung strotzt vor Reminiszenzen an Ihren verstorbenen Mann. Macht das nicht traurig? Koller: Nein, da habe ich das Gefühl, dass er bei mir ist. Hier habe ich neben dem schrecklichen Attentat auch so viel Schönes erlebt. Dort, auf dem Corbusier-Stuhl, ist er gesessen, als die Bombe hochgegangen ist. Noch Monate danach habe ich die Haut- fetzen vom Helmut auf den Büchern gefunden. Die Blutflecken sieht man bis heute noch.

profil: Stört Sie das Image der naiven, nicht immer ganz schlauen Koller? Koller: Überhaupt nicht. Wenn die Menschen von einem glauben, dass man dumm ist, kann man sich viel mehr erlauben. Dummheit kann einen tatsächlich weit bringen. Und abgesehen davon: Ich liebe mein kindliches Gemüt. Ich liebe meine Naivität. Ich habe es oft sehr lustig mit mir.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort