Gedenken an Sven Gächter

Operettenkaiserin Dagmar Koller: Dagi la Douce

Sven Gächter (zum damaligen sechzigsten Geburtstag) über die Operettenkaiserin Dagmar Koller, die immer schon tiefe Einblicke in ihre eigene - und in die österreichische Seele gewährte.

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Der langjährige profil-Chefredakteur Sven Gächter ist im Alter von 60 Jahren gestorben. Aus diesem Anlass bringen wir einige Texte aus dem Archiv. Dieser Artikel erschien ursprünglich in der profil-Ausgabe vom 16.8.1999.

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Den größten Triumph ihrer langen Karriere feierte Dagmar Koller am 19. Juni 1999 auf dem Wiener Karlsplatz, kurz nach acht Uhr abends. Koller war Stargast bei der Schlusskundgebung der lesbi-schwulen "Regenbogenparade" und restlos überwältigt von den Ovationen, die ihr von den abertausend Fans entgegenbrandeten. "I Am What I Am" schmetterte sie, sozusagen die schwule Internationale, und der Jubel schwoll ins Ohrenbetäubende, als Koller ihren Seidenfoulard, der ihr von der Schulter auf den Boden gerutscht war, graziös wieder aufhob, ohne ihr Lächeln auch nur eine Sekunde auszuknipsen. Sichtlich benommen taumelte Koller hinter die Bühne, wo ihr Mann Helmut Zilk sie nur mit Mühe davon abhalten konnte, die Zugabe zu singen, nach der die Menge minutenlang johlend verlangte.

"Erzählen Sie um Himmels willen meiner Frau nicht, dass ich angerufen habe", röhrt Zilk einen Tag später durchs Telefon. "Aber ich muss Ihnen einfach erzählen, was für ein Triumph das war. Die Koller" - die Koller sagt Zilk, wenn er nicht von seiner Frau, sondern von der Bühnenkünstlerin spricht - "die Koller war hin und weg. Hin und weg, sag ich Ihnen! Sie hat so etwas noch nie erlebt."

Und die Koller hat weiß Gott viel erlebt. "Aber so etwas ist mir noch nie passiert", schwärmt Koller eine halbe Stunde später am Telefon. "Die lagen mir zu Füßen!" Und was "meine lieben homosexuellen Fans" so unwiderstehlich an ihr finden, weiß Koller ganz genau: "Die spüren einfach, wenn wer was leistet. Ich habe es ja nie leicht gehabt in meinem Leben, und das verbindet uns."

Tatsächlich gab es an diesem Abend niemanden, der die Koller kopfschüttelnd belächelt, niemanden, der sich über ihre künstlerischen Primärqualitäten oder ihre operettenhafte Melodramatik das Maul zerrissen hätte. Die Koller wurde für zehn ekstatische Minuten als ungekrönte Kaiserin des Austro-Kitsches zelebriert. Sie wurde, mit einem Wort, geliebt, und für einen Menschen, der sich sein ganzes Leben lang so nach Liebe verzehrt hat wie Dagmar Koller, ist das eine späte Genugtuung. Eine Art Apotheose.

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"Notes on Camp" hieß ein legendärer Essay, in dem die amerikanische Philosophin Susan Sontag 1964 die Kultur "des Unnatürlichen, des Künstlichen und Übertriebenen" analysierte, vor dem Hintergrund der landläufigen Ästhetik klassischer "Schönheit". Damals war Camp noch das Monopol einer kleinen urbanen, vornehmlich schwulen In-Clique, die sich gleichsam konspirativ am gewollt Schrägen und Schrillen delektierte. Spätestens mit dem ersten Abba-Revival in den frühen neunziger Jahren wurde Camp zu einem Massenkult-Phänomen.

Dagmar Koller ist die einzige echte Camp-Ikone der österreichischen Trivialkultur, die sich von einschlägigen Koryphäen wie Liberace oder Dame Edna allerdings dadurch unterscheidet, dass sie ihre campness nicht augenzwinkernd inszeniert, sondern ohne jeden Anflug von Selbstironie lebt und dadurch eine fast auratische Naivität ausstrahlt. Das lässt sie gleichzeitig lächerlich und unangreifbar erscheinen. Koller ist damit von derselben Psychomotorik beseelt wie die österreichische Society, die seit jeher ganz in sich selbst ruht, um sich selbst kreist, niemals über sich selbst hinaus, sondern immer nur unbeirrt auf sich selbst zurück verweist.

Die Austro-Schickeria, und nicht nur sie, ist hoffnungslos immun gegen Selbstzweifel, weil ihr das Bewusstsein ihrer eigenen Begrenztheit prinzipiell abgeht. Das kann durchaus als eine Form von Glück gelten, und deshalb muss man sich die gebürtige Österreicherin Dagmar Koller als glücklichen Menschen vorstellen, der es liebt, sein Glück mit anderen, auch weniger berühmten Menschen freigebig zu teilen. In Dagmar Koller spiegelt sich nicht die dunkle Seite Österreichs - aber die seichte, lieb-reizende und selbstverliebte.

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"Hal-lo, wie geht's?", ruft Dagmar Koller und streckt strahlend ihre Arme aus. "Womit kann ich Sie verwöhnen?" Die Gastgeberin, heute ganz in Schwarz, nutzt den kurzen Weg zum Wohnzimmer, um auf eine Marionette an der Wand hinzuweisen, die dem früheren Wiener Bürgermeister zum Verwechseln ähnlich sieht. "Ist er nicht süß?"

Die gemeinsame Wohnung von Helmut Zilk und Dagmar Koller in der Wiener Naglergasse erstreckt sich über zwei Stockwerke, die durch eine gläserne Wendeltreppe verbunden werden. "Wenn da jemand runterfällt, also, der is tot", meint Koller kopfschüttelnd. Auf einer Kommode im Wohnzimmer liegt eine Batterie antiker Waffen: Pistolen, Dolche. Jede freie Fläche in der Wohnung ist dekorativ mit Nippes vollgestellt. "Alles Geschenke", erklärt Koller, "nur die großen sind vom Zilk. Ich kann Ihnen zu jedem Stück die Geschichte erzählen."

Aber eigentlich würde sie jetzt lieber über Hotels reden. Denn Dagmar Koller liebt Hotels. "In den schönsten Suiten hab ich gewohnt. Und da ist man dann irgendwann so versaut, dass man keinen eigenen Geschmack mehr hat. Und so sieht es bei mir aus: kitschig. Aber das ist doch schön." Koller lächelt. "Und der Helmut dankt mir das. So schön hab ich ihm die Wohnung gemacht, sagt er jeden zweiten Tag. Ich stell auch ununterbrochen um. Man bleibt jung dabei."

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Am 26. August wird Dagmar Koller 60 Jahre alt. Das Datum ist verbürgt. Vor einigen Jahren hatte sie sich, nach dem Vorbild amerikanischer Glamour-Diven, die zehnmal hintereinander ihren vierzigsten Geburtstag feiern, kurzerhand um fünf Jahre verjüngt. "Ich bin nicht die Einzige in der Branche", hatte sie trotzig erklärt, als der Schwindel aufflog. Heute steht Koller lässig zu ihren Lenzen. "Alter war für mich nie ein Problem. Denn wissen Sie, ich war immer zu jung, immer. Und auf einmal war ich immer die Älteste." Richtig alt jedoch habe sie erst ein kurzer Flirt mit einem jungen Mann gemacht, der irgendwann bemerkte, sie hätte zu viele Falten auf der Stirn. "Frechheit! Wie ich das dem Helmut erzählt habe, sagt der, die Falten hätte ich schon gehabt, als wir uns kennen lernten, und da war ich 31." Koller lächelt kokett. Aus einem der Nebenzimmer hört man ein gutturales Grummeln. "Der Helmut wacht grad auf", flüstert Koller und beugt sich verschwörerisch vor: Wenn sie nicht verheiratet wäre, hätte sie "sicher auch einen fünfzehn Jahre jüngeren Mann. Und wenn der mir sagen würde, ich habe Falten, würde ich zu ihm sagen: Wart nur, in zehn Jahren hast du dieselben Falten, und ich hab einen noch Jüngeren!"

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Dagmar Koller macht aus ihrem Herzen keine Müllgrube. Was immer ihr gerade durch den Kopf geht, wird sofort und umstandslos entsorgt. Im Koller-Diskurs wirkt alles gleich wichtig und dadurch auch gleich gültig. Sie spricht mit derselben Unbekümmertheit über einen Spezialtee aus Japan ("Schmeckt wie Rindsuppe"), über Liebe und Sex ("Jede Liebe fängt ja überhaupt erst über den Sex an. Alles andere ist doch lächerlich"), über ihren neuen Laptop ("Können Sie mir übrigens erklären, wie ich meine Post öffnen kann?"), über ein Aquarell, das sie aus Portugal mitgebracht hat ("Zwölftausend Mark habe ich dafür bezahlt! Dabei kennt den doch kein Mensch - kennen Sie den etwa?"), über die Schlafmarotten ihres Mannes ("Der Zilk schnarcht alle weg. Nach der ersten Nacht mit ihm in Hamburg habe ich gedacht, diesen Mann kannst du nie ernst nehmen"), über eine tragisch gescheiterte Liebe ihrer Mutter ("Ich hab Onkel Stan zu ihm gesagt, und ich hab ihn gehasst!") und über den schlimmsten Abend ihres Lebens, den Abend des 5. Dezember 1993, als in der Naglergasse, kurz vor acht, eine Briefbombe explodierte und den damaligen Wiener Bürgermeister lebensgefährlich verletzte.

Eine knappe halbe Stunde dauert die Schilderung dieser grauenhaften Episode. Koller lässt kein Detail aus, redet sich ihre Rolle nicht im Nachhinein heroisch. Sie steht zu ihrer Panik, ihrer Ohnmacht, ihrer Schusseligkeit. Schließlich geht Koller auf die Knie und robbt auf allen vieren durchs Wohnzimmer, um anschaulich zu demonstrieren, wie sie damals nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus, nachts um vier, die über und über mit Blut bespritzte Wohnung sauber geschrubbt habe. In diesem Moment ist Koller ganz bei sich selbst - weil sie nicht versucht, jemand anderen zu spielen als Dagmar Koller: eine große Schauspielerin im kleinen österreichischen Welttheater.

"Sie ist hemmungslos, von einer vollkommenen Offenheit. Wenn sie redet, sagt sie alles, ob es um Abtreibung, Schönheit, Geschlechtsverkehr, Faltenverminderung oder Kleidung geht. Sie redet sich um Kopf und Kragen", erzählt eine Insiderin, die von Berufs wegen oft mit Koller zu tun hatte und deren Unbekümmertheit durchaus zu schätzen weiß: "Nur manchmal kommt sie dir so nahe, dass es fast zu viel wird."

Dagmar Koller hat kein sehr scharf ausgeprägtes Gefühl für Distanz, weder sich selbst noch anderen gegenüber. Andererseits nehme sie gerade damit vielen Menschen die Verkrampfung, meint "Krone"-Kolumnistin Marga Swoboda. "Ich habe oft erlebt, dass Leute sich entspannen, weil die Koller den Job von Pleiten, Pech und Pannen übernimmt. Das kann sie sehr gut. Inzwischen halte ich sie ja für eines der unpeinlichsten Geschöpfe überhaupt." Dagmar Koller und Richard Lugner etwa in einem Atemzug zu nennen käme ihr nie in den Sinn.

Swoboda lernte Koller Anfang der achtziger Jahre in Bregenz kennen. Koller sang die Eliza in "My Fair Lady", und Swoboda sollte ein Koller-Porträt für die "Neue Vorarlberger Tageszeitung" schreiben. "Sie war für mich in der ersten Sekunde ein Hammer", erzählt Swoboda, "das war so, wie wenn man sich in jemanden verliebt." Koller ließ sich im offenen Cadillac (pink!) durch Bregenz chauffieren, die verdutzte Journalistin neben sich auf dem Rücksitz. "Seither habe ich nicht aufgehört, sie zu mögen", gesteht Swoboda ungeniert. "Ich habe nie auch nur einen Millimeter Falschheit in ihr geortet, obwohl das Ganze im Gerüst so wirkt, als ob die Frau eine einzige Fassade wäre. Tatsächlich kann sie außergewöhnlich loyal und hilfsbereit sein. Sie ist auch nicht schadenfroh; das interessiert sie überhaupt nicht." Nur Kollers Umgang mit Kränkungen, sagt Swoboda, sei ihr "bis heute nicht klar geworden".

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Man kann Kollers Leben als eine fortgesetzte Serie von Kränkungen lesen - und die Erfolge, die sie sich mit eherner Disziplin und stählernem Lächeln erarbeitete, als trotzige Kettenreaktion darauf. Die erste tiefe Kränkung bedeutete die Scheidung ihrer Eltern, als Dagmar sechs Jahre alt war. "Ich hätte sehr gern einen Vater gehabt", sagt Koller mit gesenkter Stimme, "jemanden, der mich beschützt." Mit dreizehn kam Dagmar von Klagenfurt nach Wien, "mutterseelenallein", weil ihre Mutter der vermeintlichen Liebe ihres Lebens überstürzt nach England gefolgt war. "Das hat mich alles sehr verletzt." Dagmar wurde in einem Lehrlingsheim in Simmering untergebracht und in-skribierte an der Akademie für Musik und Darstellende Kunst, "ganz allein". Sie schämte sich für die schäbigen Schmalzbrote, die sie aus dem Wohnheim mitbrachte, während die anderen Mädchen mit Orangen und Schinkensemmeln prassten. Sie wurde von den höheren Töchtern für ihre zu große Nase gehänselt und von den Lehrern für ihre zu dicken Schenkel. "Euch zeig ich's!", dachte sie mit kindlicher Verbitterung, arbeitete verbissen an ihrer Technik und wurde mit sechzehn als Gruppentänzerin an die Volksoper engagiert. Ja, sagt Koller, beim Ballett habe man sich schon eine gewisse Härte aneignen können.

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Die Meinungen über Dagmar Kollers Qualitäten und Talente sind durchaus geteilt. Was ihr jedoch an klassischer Anmut fehlte, machte sie durch Chuzpe wett, und die Grenzen, die ihr als Sängerin und Tänzerin gesetzt waren, verschob sie durch Ehrgeiz und Zähigkeit Millimeter um Millimeter nach außen, bis sie schließlich eine Klasse für sich geworden war. "Sie ist der erste, der letzte und der einzige Musicalstar, den Österreich je hervorgebracht hat", sagt Opernführer Marcel Prawy, in dessen erster Wiener Produktion auch die junge Koller tanzte: 1956 in "Kiss me, Kate". Sechzehn Jahre später verhalf er ihr im Musical "Carousel" zu ihrer ersten Hauptrolle an der Volksoper. Da hatte Koller schon mehrere US-Tourneen (u. a. mit Giuseppe di Stefano), eine Reihe von Gastspielen an deutschen Provinzbühnen und ein paar Fernsehauftritte für ARD und ZDF hinter sich. Sie war für ihre Verhältnisse ein Star, der sich in Interviews immer wieder schmollend über die mangelnde Anerkennung in der Heimat ausließ. Auf den Vergleich mit Kollers großen amerikanischen Vorbildern Shirley MacLaine oder Liza Minnelli lässt Prawy sich taktvollerweise gar nicht erst ein: "Das ist eine sehr unfaire Frage."

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Es gibt die Theorie, wonach Paare, die lange genug zusammen sind, einander immer ähnlicher werden. Dagmar Koller und Helmut Zilk verliehen dieser Theorie beim jüngsten "Lifeball" in der Wiener Hofburg sehr augenfällig Ausdruck. Zilk, dem schrillen Dresscode des Events trotzend, kreuzte zwar brav im dunklen Anzug auf, über den Kopf jedoch hatte er sich eine alte Rothaarperücke von seiner Frau gestülpt. "Er sieht doch fast aus wie Cher", sagt Koller zwei Tage später und zeigt lachend auf ein Foto in der Zeitung. Zilk steht daneben und lacht auch, ein wenig verlegen. Er trägt einen weißen Bademantel und Saunaschlapfen. "Schaun Sie sich diese Wadln an", sagt Koller anerkennend. "Geh Helmut, zeig deine Wadln!" Helmut Zilk, der frühere Unterrichtsminister und Wiener Bürgermeister, dreht sich um und zeigt seine Wadln. Dagmar Koller strahlt. Ein Paar bei der Arbeit.

Dagmar Koller und Helmut Zilk lernten einander im Dezember 1970 kennen. Sie heirateten im Juli 1978 - standesamtlich; die kirchliche Trauung wurde zwölf Jahre später klammheimlich in Wien vollzogen - von Kardinal Hans Hermann Groer. Es sollte der Gipfel der Diskretion in der Beziehung zweier Menschen bleiben, denen zeit ihrer Karriere das grelle Rampenlicht über alles ging. Was sie erreichten, für sich selbst und gemeinsam, schafften sie weniger kraft genuiner Begabungen als vielmehr kraft des unbedingten Willens, öffentliches Interesse zu wecken, wobei die Grenzen zum öffentlichen Ärgernis immer sehr fließend waren.

Wie kein anderes Paar stehen Koller und Zilk für die so putzige wie bedrückende Janusköpfigkeit des öffentlichen Lebens in Österreich. Koller hat von Zilk gelernt, dass Peinlichkeit nicht von Schaden sein muss, wenn sie nur offensiv und konsequent genug zelebriert wird; und Zilk hätte sich keine symbolträchtigere Prinzessin für seinen bunten Wanderzirkus zwischen Society und Politik aussuchen können.

Man mag dem Powerduo Koller/Zilk krankhafte Glamoursucht nachsagen und es dafür verhöhnen, amerikanische Entertainment-Kultur auf austriakisches Operetten-Niveau heruntergewirtschaftet zu haben. In Wahrheit haben die beiden ihr Land immer souverän auf der Höhe seines natürlichen Niveaus repräsentiert. Was die Nation wirklich an "Dagi und Helmerl" hatte, weiß man spätestens zu schätzen, seit dahergelaufene Faschingsduette wie "Mörtel" und "Mausi" Lugner das heimische Society-Parkett aufmischen.

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So bedingungslos schienen Koller und Zilk auf Öffentlichkeit programmiert zu sein, dass immer wieder über die Wahrhaftigkeit ihrer Liebe spekuliert wurde. Jedes der unzähligen publiken Schreiduelle zwischen Koller und Zilk - bis hin zu Handgreiflichkeiten - galt als Nachweis der Brüchigkeit einer Beziehung, die zu krass auf Außenwirkung angelegt war, um nach innen mehr sein zu können als ein lustvolles Zweckbündnis. Tatsächlich aber zweifelt keiner, der das Paar näher kennt, an der tiefen Loyalität der beiden füreinander. Koller hat in Zilk den Typus Mann gefunden, zu dem es sie immer schon magisch hingezogen hat: den Mann, zu dem sie aufschauen, an den sie sich anlehnen, von dem sie sich unverhohlen dominieren lassen kann. "Und wissen Sie was? Ich genieße es. Ich hab immer schon den Brutalen wollen, den Macho." Kollers Ideal ist der junge Marlon Brando im Unterhemd oder Clark Gable in "Vom Winde verweht" - "nicht der andere, wie heißt er, dieser Sanfte - der hat doch auch was Scheinheiliges". Darum, flötet Koller, "hat mir der Helmut so gefallen". (Noch besser gefiel ihr, hartnäckigen Gerüchten zufolge, nur einer: Pistengott Karl Schranz, die große unerfüllte Liebe ihres Lebens.)

Die Vorzeichen haben sich allerdings etwas verschoben. Inzwischen scheint Koller den starken Part in der Ehe übernommen zu haben. Zilk, 72, ist sichtlich geschwächt von einer schillernden Karriere, den Folgen des verheerenden Briefbombenanschlags und den Spionagevorwürfen im vorigen Jahr. "Man wird mit Leid viel schwächer", sagt Koller ungewohnt ernst. "Wenn wir heute Nachrichten schauen, sitzen der Helmut und ich mit dicken Tränen da. Ist das nicht lächerlich? Und deshalb sag ich jetzt jedes Mal, wenn dem Helmut die Tränen kommen: Geh, Helmut, schäm dich!" Koller denkt lange nach. "Mein Mann braucht sehr viel von mir. Mehr als früher. Aber ich hab heute so viel Kraft. Ich bin durch so viel Dreck in meinem Leben gegangen, dass ich sehr stark bin."

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Der Dreck in Kollers Leben ist mehr als nur eine kokette Metapher. Bis vor kurzem hatte sie alle Hände voll damit zu tun, sich vom Schmutz freizuschaufeln, mit dem sie ununterbrochen beworfen wurde, öffentlich und hinter den Kulissen. Auch wenn sie es aus Rücksicht auf ihren Mann nicht zugibt, dürfte die Zeit als First Lady von Wien eine der schlimmsten ihres Lebens gewesen sein. Ihre Karriere stagnierte, zumindest in Österreich, weil Koller sich als Frau des Herrn Bürgermeisters mit jedem Engagement dem Verdacht der Protektion aussetzte. Ihre Auftritte an der Seite von angereister Weltprominenz wurden abwechselnd skandalisiert und belacht - sei es, dass sie sich mit Prinz Charles gemeinsam nach einer Serviette bückte und den königlichen Gast danach pikanterweise auch noch "zum Abknuddeln" fand; sei es, dass sie, von keinerlei Selbstbescheidung angekränkelt, Frank Sinatra von ihren großen Erfolgen in Amerika berichtete und niemand so recht wusste, ob Frankies glasige Augen eher dem Alkohol oder stoischem Desinteresse geschuldet waren.

Anderseits ließ Koller zu ihren besten Zeiten kaum eine Gelegenheit aus, sich wenigs-tens um Haaresbreite daneben zu benehmen, und in einem für Indiskretion und Schadenfreude so empfänglichen Land wie Österreich endet das unweigerlich vor dem brutalsten aller Scharfgerichte: dem Boulevard.

Doch die Koller, obschon immer wieder tief gekränkt, wie sie heute bekennt, reagierte darauf nicht mit Kapitulation, sondern mit der aufrechten Sunshine-Mentalität, die sie auf der Bühne internalisiert hatte. Immer nur lächeln, immer vergnügt - und wenn es dir am dreckigsten geht, dann wird erst recht bis zum Umfallen gesungen und getanzt! So rettete Koller die Operetten- und Musicalseligkeit nahtlos in ihren Alltag herüber. Auch wenn sie außer Dienst war, spielte sie immer noch die Hauptrolle in "Land des Lächelns" und lächelte alle Anfeindungen und Gehässigkeiten tapfer nieder.

Johann Strauß, sagt Nikolaus Harnoncourt über Österreichs heiligsten und beharrlich missverstandenen Operettenkomponisten, "zeigt immer, was hinter dem Lachen steht: ein großer Zynismus, eine große Satire und eine große Traurigkeit. Lachen ist ja immer eine Gemeinheit. Man lacht nicht über positive Sachen." Die Operette, der Genre gewordene Inbegriff österreichischer Identität, ist in Wahrheit ein Minenfeld der Perfidien, rundum nahtlos gesäumt von gähnenden Abgründen, und die penetrante Lustigkeit des Genres hat letztlich keine andere Funktion, als das latente Grauen erträglich zu machen, notfalls durch hys-terische Autosuggestion.

Der Schweizer Christoph Marthaler kam diesem Zwiespalt mit seiner Inszenierung von Jacques Offenbachs "La Vie Parisienne" voriges Jahr beklemmend nah, indem er die klassische Operette zu einem Gruselkabinett der Tragikomik dekonstruierte. Es war keine Inszenierung, in der Dagmar Koller glaubhaft hätte mitwirken können, ohne abrupt mit allen Traditionen zu brechen, die sie in ihren Operettenauftritten so innig verkörpert hatte. Doch es war eine Inszenierung, die bei distanzierter Betrachtung als Metapher nicht nur für Dagmar Kollers Innenleben, sondern für die österreichische Seelenwelt schlechthin hätte dienen können. Es wäre eine grandiose Hommage gewesen.

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Aber noch sorgt Koller selbst für ihre Hommagen. Im März nahm sie Abschied von der Volksoper, mit einem Galaabend, der ganz auf die Grande Dame des Hauses zugeschnitten war: "Lieder meines Lebens". Auf dem Cover des Programmhefts produzierte sich die in hautenges Leder geschnürte Koller in ihrer Lieblingspose: den Kopf zurückgeworfen, die Arme zum triumphalen V hoch gereckt, die Zähne zu einem strahlenden Lächeln gebleckt. Das Programm war eine Reminiszenz an Kollers große Musical- und Operettenerfolge, von "Irma La Douce" über "My Fair Lady" und "Hello Dolly" bis zu "Der Mann von La Mancha". Koller tanzte nur andeutungsweise ("Ich bin ja nicht die Marika Rökk!"), sang dafür umso inbrünstiger und überbrückte die kurzen Pausen mit kleinen Anekdoten aus ihrem Leben, die die Klischeehaftigkeit des Abends mal ins Groteske, mal ins Quälende verlängerten. Den Abschluss bildete das unvermeidliche "My Way", von Koller zu einem herzzerreißenden "So leb dein Leben" eingedeutscht und mit dekorativen Tränen in den Augen zur Gattenloge hoch gehaucht.

Die Gästeliste hatte Helmut Zilk persönlich erstellt; sie fiel, vom Bundespräsidentenpaar abwärts, standesgemäß erstklassig aus. Die treuesten Dagi-Fans allerdings hatten ihre Karten selbst bezahlt: Selten dürfte die Volksoper so erdrückend schwule Klientel verzeichnet haben, und hätte die Koller ihren Galaabend im Rahmen des einschlägigen Festivals "Wien ist andersrum" gegeben, wären ihr Standing Ovations ohne Ende sicher gewesen. "Lieder meines Lebens" hätte als österreichisches Trauerspiel in die Annalen eingehen können. Dagmar Koller - la Koller - erhob den Abend zu einem Camp-Ereignis erster Klasse.

Sven   Gächter

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