Jahresausgabe

Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Produzierbarkeit

Maschinen können jetzt auch kreativ sein. Sebastian Hofer erfährt die Freude am Malen mit einer Künstlichen Intelligenz.

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Ein Schüttbild à la Hermann Nitsch? Kann doch jeder! Und braucht nicht einmal Farbe dafür, auch keine Leinwand, es reichen ein bis zwei Finger und eine Tastatur. Bitte geben Sie hier Ihre Bestellung ein: „Hermann Nitsch Style Painting“. Heraus kommt – nun ja, Unerwartetes.

Die Bestellung wurde bei Dall-E 2 abgegeben, einer online zugänglichen Künstlichen Intelligenz (KI), die aus x-beliebigen Schlagworten vollautomatisch künstlerische Arbeiten generiert – und damit heuer zum heißesten Anschauungsbeispiel für die uralte Debatte wurde, wie kreativ Maschinen sein können und ob sie das denn überhaupt sollen – denn was wäre das für eine Kunst, die sich so mir nichts, dir nichts mit der eigenen Automatisierung verträgt?

Seit die Künstler der Chauvet-Höhle vor mehr als 30.000 Jahren ihre Zeichnungen anbrachten, hat sich an der Art und Weise, wie Kunst produziert wird, wenig geändert, vor allem nicht an ihrem Quell und Ursprung. Dieser liegt tief im Menschen, man nennt ihn Kreativität. Der Mensch definiert seine Besonderheit nicht ganz zu Unrecht gern mit seiner Fähigkeit zur Kunstproduktion. Das ging etliche Jahrtausende lang gut. Dann kam die digitale Revolution, und mit ihr kamen künstliche neuronale Netzwerke, digitale Gehirne – künstlerische Intelligenzen.

Dall-E 2 wurde von dem kalifornischen Startup OpenAI entwickelt, das mit seiner Arbeit an künstlichen Intelligenzen, eigenen Angaben zufolge, bloß die Welt verbessern will: „Die Mission von OpenAI ist es, sicherzustellen, dass Generelle Künstliche Intelligenz – damit meinen wir hochgradig autonome Systeme, die Menschen in den meisten ökonomisch sinnvollen Tätigkeiten überflügeln können – zum Wohl der gesamten Menschheit eingesetzt wird.“

Das Versprechen wirkt, so formuliert, zumindest zwiespältig.

Und wozu dann überhaupt noch Menschen?

Wird die Automatisierung in Zukunft nicht nur Fließbandarbeiter oder Datenstapler überflüssig machen, sondern auch Kreativschaffende und Künstler (nebenbei sogar Journalisten)?

Tatsächlich beherrscht Dall-E 2 sämtliche Genres, von der fotorealistischen Kreation über das klassische Aquarell bis zum Expressionismus Marke van Gogh – und sie erzeugt dabei angenehm wenig künstliche Aufregung oder egozentrisches Getöse, was ja einer der wenigen Nachteile herkömmlicher, menschgemachter Kunst sein kann.

Die erste Generation von Dall-E ging Anfang 2021 als Beta-Version online, im vergangenen April gefolgt von dem stark verbesserten Dall-E 2, das seit Oktober als kommerzielle Anwendung offen verfügbar ist. Zur Anmeldung gibt es 50 sogenannte Credits gratis, monatlich kommen automatisch 15 dazu; wer mehr will, muss zahlen – 15 Dollar für 115 Credits. Pro Gestaltungsauftrag wird ein Credit fällig. Die Kunstproduktion ist also günstig und googleeinfach: ein Textfeld, ein paar Stichworte, Knopfdruck, fertig. Ist uns die Maschine überlegen? Sie überlegt jedenfalls nicht lange, in knapp drei Sekunden entsteht ein, sagen wir: Meisterwerk.

Dall-E bedient sich bei einer gigantischen, stetig wachsenden Datenbank aus verschlagworteten Bildern, die digital verknüpft und kombiniert werden, wobei der Algorithmus ständig mitlernt und aus dem Rauschen millionenfacher Möglichkeiten ein sinnvolles Signal herausfiltert. Es wird dabei also nicht nur plump collagiert, sondern genuin neues Material erzeugt, man könnte sagen: Kunst produziert.

Urheberrechtsfragen und Kunstbegriffsdefinitionen werden seit dem Massentauglichwerden solcher Algorithmen heiß diskutiert, Fälschung und Missbrauch befürchtet, teils gar der Teufel an die Wand gemalt.

Wobei Dall-E und das ähnlich geartete System Midjourney einigermaßen streng überwachen, welche Anträge gestellt werden, und unlautere Wünsche – Gewalt, Pornographie, Urheberrechtsverletzungen – verweigern. Andere Programme wie Stable Diffusion sind bei der Moderation der Kundenwünsche weniger streng.

Welchen „Nitsch“ Dall-E bei seinem Entwurf (siehe erste Abbildung) genau im Hinterkopf hatte, lässt sich für den Laien leider nicht so schnell nachvollziehen, die Inspiration für das künstliche Nachbild scheint eher aus der frühen Sowjetavantgarde zu stammen oder aus dem expressionistischen Teil Frankreichs als aus der österreichischen Avantgarde. Möglicherweise ist der im April verstorbene Wiener Aktionist und niederösterreichische Großkünstler im Silicon Valley einfach nie ganz angekommen, wir versuchen es also mit einem in den USA wahrscheinlich bekannteren Künstler: „Basquiat Style Frame“.

Hier gelingt die Übung deutlich besser, wenn man davon ausgeht, dass ein nachgemachter Basquiat in etwa wie ein echter Basquiat aussehen sollte und dabei die Frage ignoriert, ob das nun schon Betrug oder noch ein kindischer Streich ist. Dall-E 2 selbst bleiben solche Spitzfindigkeiten verborgen; der Algorithmus macht keine erkennbaren Anstalten, das eigene Tun zu hinterfragen. Ein Bewusstsein seiner Kreativität lässt Dall-E nicht erkennen.

Die eigentliche Kunst liegt immer noch in der Eingebung, die der Eingabe vorausgeht; der Algorithmus ist in diesem Fall mehr ein Sparringpartner, der erstaunliche Anregungen und Vorschläge stiftet; Dall-E 2 erscheint in diesem Stadium weniger für die Kunstproduktion geeignet als fürs visuelle Brainstorming und für die schnelle Entwurfszeichnung. Darüber hinaus ist die Kunst, die Dall-E erzeugt, ein Meisterwerk der Rechenleistung. Diese ist inzwischen schlicht so groß, dass die Unwahrscheinlichkeit einer maschinellen Kreativität einfach weggerechnet werden kann. Wenn ein Affe unendlich lange auf einer Schreibmaschine herumtippt, kommt irgendwann ein Artikel wie dieser hier heraus. Und wenn man das Tippen unendlich beschleunigt, wird dieses Irgendwann wahrscheinlich ein bisschen früher eintreten.

Aber so lange können wir nicht warten. Ein Schlussgag muss her, sofort. Und wenn schon, denn schon: ein politischer Witz. Selten so gelacht!

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.