Der "Wutwirt" von Millstatt: Warum bitte keine Araber?
Als „Wutwirt von Millstatt“, der „keine Araber und Veganer“ bedienen möchte, sorgte Stefan Lercher vor einem Jahr für Aufregung. Seither hat er sich noch weiter hineingesteigert. Aber warum nur? Besuch bei einem Unbeherrschten.
Am 5. Dezember gegen 9 Uhr ist Stefan Lercher südlich von Wien auf der A2 unterwegs. Der Kärntner Gastronom ist am Weg zu einer Verhandlung vor der Gleichbehandlungskommission des Bundeskanzleramts, er ist als Beschuldigter geladen (wegen „Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit“), als ihn eine Nachricht erreicht: Leider müsse der Termin kurzfristig abgesagt werden. Kurzfristig im Sinne von: zwei Stunden vorher. Lercher, der aus Millstatt in Kärnten angereist ist, fühlt sich, gelinde gesagt, nicht ausreichend wertgeschätzt und leider auch zu einer Trotzreaktion inspiriert. Prompt kündigt er auf Instagram an, in seinem Lokal ab sofort monatlich ein „arisches Gourmetfestival“ zu veranstalten. Die Provokation gelingt: Medien berichten flächendeckend, Beamte des Kärntner Landesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung bitten Lercher zum Verhör. Die Sache läuft grandios aus dem Ruder. Wieder einmal.
Seit dem Herbst 2014 betreibt Stefan Lercher, 47, gebürtiger Osttiroler, in Millstatt die Pizzeria „Peppino“. In der Region erfreut sich das Lokal großer Beliebtheit und der Chef eines recht zweifelhaften Rufs. Lercher gilt als kulinarischer Qualitätsfanatiker und tendenziell ruppiger Zeitgenosse mit Defiziten im Bereich Anger Management. Überregionale Bekanntheit erlangte er im Jänner 2023, ebenfalls mit einem Instagram-Posting: Er werde in seinem Lokal nur noch „einheimische Stammgäste“ bedienen, „Veganer, Hippies, Ökos und Araber“ dagegen nicht. Nach einem Bericht der „Kleinen Zeitung“ überschlugen sich die Ereignisse, es hagelte Medienberichte und Anzeigen, harsche Kritik im Netz sowie stark verfestigte Sturheiten auf Lerchers Seite.
Seit jenen Tagen ist der „Wutwirt von Millstatt“ ein klingender Name, der Boulevard-Journalist Wolfgang Fellner ernannte Lercher in seiner Talkshow „Fellner! Live“ gar zum „umstrittensten Österreicher“ und „Wahnsinnigen“. Aber wer ist dieser unverbesserliche Unbeherrschte? Was treibt ihn an? Was denkt er sich eigentlich? Ein Besuch am Millstätter See.
1. High End am Nordufer
Der M-Serien-BMW wird sportlich durch die 80er-Zone hinter Spittal gedroschen, Stefan Lercher geht gern ans Tempolimit, manchmal auch darüber hinaus, der Führerscheinverlust ist ihm ein wohlbekannter Vorgang. Im Radio läuft, absurd passend, „Don’t Believe the Hype“ von Public Enemy. So rasant er fährt, so schnell spricht Lercher auch. Es ist ein Stakkato im Osttiroler Dialekt, aus dem auch das provokante „Heil“ zur Begrüßung stammt, man könnte es natürlich auch missverstehen, Lercher rechnet fast damit. Herausfordernder Blick, vorgerecktes Kinn, er will es offenbar wirklich wissen.
Der Wutwirt trägt schwarze Jeans (von Hugo Boss) und schwarzes Hemd (von Pizzeria Peppino), dazu stark gegelte Haare. Die Pizzeria Peppino verfügt über einen spektakulären Seeblick und die typische Einrichtung eines Kleinstadtbeisls. Es läuft Radio Wien, die Sitzgarnituren sind in Hellholz und Mitteltürkis gehalten. Lediglich die an allen möglichen Ecken und Enden ausgestellten Weinflaschen deuten darauf hin, dass es hier nicht mit normalen Dingen zugeht: Es sind großteils Etiketten, die auch in Wiener Haubentempeln nur auf der Raritätenkarte stehen, wenn überhaupt. Zur Pizza mit Speck und Salami macht Lercher einen raren Burgunder auf, die Pizza selbst wird von einem diplomierten Pizza-Weltmeister zubereitet, einem sehr freundlichen, aber eher nicht redebedürftigen Herrn namens Paolo Monaco, außerdem gibt es hier Kobe-Beef, Balfegó-Thunfisch, Kapaun-Suppe und Sushi mit Kaviar, ein Hummerbecken und ein Dutzend verschiedene Austernsorten.
Was seinen Wareneinsatz betrifft, ist Stefan Lercher ein bisschen verrückt und ziemlich stolz drauf. Die leeren Weinflaschen, die sein Lokal zieren, repräsentieren einen Geldwert von drei bis vier Millionen Euro, behauptet er, und überschlagsmäßig erscheint das nicht einmal stark übertrieben.
Was seinen Wareneinsatz betrifft, ist Stefan Lercher ein bisschen verrückt und ziemlich stolz drauf. Die leeren Weinflaschen, die sein Lokal zieren, repräsentieren einen Geldwert von drei bis vier Millionen Euro, behauptet er, und überschlagsmäßig erscheint das nicht einmal stark übertrieben. „Ich habe nur High-End-Produkte, darum tu ich mir auch leicht“, meint der Wirt, „weil wegen meinem Charme kommen die wenigsten. Gut, ein paar gibt’s sicher, die mich mögen.“ Im Großen und Ganzen sind sie aber wohl in der Minderheit. In letzter Zeit kämen auch immer wieder Leute her, die bloß zum Stänkern da wären, die ihn provozieren, weil sie wissen, dass er eine kurze Zündschnur hat. Stefan Lercher fühlt sich belagert und verfolgt – und betoniert sich in seiner persönlichen Wagenburg ein: Er steht zu dem, was er gemacht hat, auch wenn es ganz eindeutig ein Blödsinn war. Weil er stur ist und weil er es wohl auch für Charakterstärke hält. Und weil es ihm sein Opa in Osttirol so beigebracht hat: Verantwortung ist etwas, das man tragen muss. Irgendwann während des Interviews macht Lercher ein paar Hemdknöpfe auf und zeigt eine Narbe, die sich vom Brustbein bis zum Bauchnabel zieht. Es sieht ein bisschen aus wie aus der Gerichtsmedizin und rührt von einem Frontalcrash in seiner Jugend in Osttirol her. Vier Monate war er damals im Krankenhaus, hat immer noch Metall im Körper und schiefe Knochen. Er könnte längst in Invaliditätspension sein, meint er, aber er will es nicht, er will arbeiten. Sich nicht schonen, das ist das Ethos des Stefan Lercher. Dafür möchte er respektiert werden. Und wenn das einer nicht macht, dann kann er unangenehm werden.
2. „So sind wir nicht“
„Mit der Arabersache habe ich mir nichts Gutes getan“, sagt Lercher. Die „Arabersache“, das war jenes Posting, das ihm vor einem Jahr unrühmliche Prominenz bescherte. Inzwischen ist ihm wohl klar, dass ihm die Sache entglitten ist, aber er hält es nach wie vor nicht für rassistisch. „Es gibt sicher auch höfliche Araber. Aber ich habe sie noch nicht kennengelernt. Die, die ich kenne, schikanieren mich und mein Personal.“
Die Leute machen es ihm aber auch wirklich nicht leicht. Auftritt, wie aufs Stichwort: ein stark aufgetakeltes Pärchen mit osteuropäischem Akzent und internationaler Arroganz. Als sie Lercher ein bisschen provokant fragen, ob das denn Dosenchampignons auf seiner Pizza wären, muss er sich schon recht zurückhalten.
Über den Bürgermeister von Millstatt, den die Zeitungen nach „der Arabersache“ natürlich auch interviewt haben, könnte er jetzt gut schimpfen, aber noch lieber schimpft er über Alexander Van der Bellen, den der Bürgermeister damals zitiert hat: „So sind wir nicht.“ „Wenn ich das schon höre“, definitives Kopfschütteln, keine Diskussion: Der Bundespräsident ist Lercher in Migrations- und Integrationsfragen eindeutig zu liberal. Lercher muss auch den Kopf schütteln, wenn er von Schulmenüs erzählt, in denen kein Schweinefleisch mehr vorkommen darf, oder von Asylwerbenden ohne Arbeitserlaubnis. Dafür hat er kein Verständnis, es kommt ihm im Verhältnis von Migranten und Österreichern überhaupt einiges Spanisch vor.
Am Tag vor dem profil-Besuch war er in Wien, schließlich hat die Verhandlung bei der Gleichbehandlungskommission doch stattgefunden, „die haben mir ganz schön Stoff gegeben“. Er hat seine Aussagen dann schließlich zurückgenommen, er will jetzt wirklich keinen Ärger mehr, er hat nämlich schon wieder ganz andere Sorgen. „Jetzt müssen wir einmal schauen, wie es überhaupt weitergeht.“
3. Am Wendepunkt
Lercher steht gerade vor einer Wand. Vor zehn Tagen hat sein Küchenchef kurzfristig Krankenstand angemeldet: Burnout. (Lercher meint: „Früher hätte man Liebeskummer dazu gesagt.“) Auch der Abwäscher hat sich vertschüsst, leider quasi über Nacht, und Lerchers Sohn Unico, als Sushi-Chef eine Stütze des Betriebs, musste in die Berufsschule einrücken. Also steht der Wutwirt heute persönlich in der Küche und schaut, was sich ausgeht. Die gewohnte Karte wird sich unter diesen Umständen jedenfalls nicht mehr lange anbieten lassen, er kann nicht gleichzeitig Kobe-Steaks anbraten und Austern öffnen, Pizza bonieren und sich über die Gäste ärgern. Die Leute machen es ihm aber auch wirklich nicht leicht. Auftritt, wie aufs Stichwort: ein stark aufgetakeltes Pärchen mit osteuropäischem Akzent und internationaler Arroganz. Als sie Lercher ein bisschen provokant fragen, ob das denn Dosenchampignons auf seiner Pizza wären, muss er sich schon recht zurückhalten. Als sie auch noch Mayonnaise dazu bestellen, sieht man den Wirt bereits kochen. Zum Abkassieren schickt er vorsichtshalber seinen Pizzabäcker. „Wenn ich da jetzt einen Stress gehabt hätte, wäre das vielleicht nicht so glimpflich gegangen.“
Der Stress, ein gutes Stichwort. An einem guten Sommersamstag hat er nach eigenen Angaben 1000 Gäste, im Winter immer noch ein paar hundert, das schafft er nicht in der aktuellen Mini-Belegung, er bräuchte eigentlich 15 Leute, und die hat er nicht. Das stresst ihn, und mit dem Stress kommt der Ärger, die Wut. Die 15-Stunden-Tage, die Personalsorgen, die undankbaren Gäste. Stefan Lercher kommt ins Grübeln, findet den Fehler: Die anderen sind schuld. Im vergangenen August, Hochbetrieb am Millstätter See, verkündete er per Schiefertafel: „Heute Pizza nur für Österreicher“. Die Aufregung folgte natürlich prompt, die Schutzbehauptung war gleichermaßen aufgelegt: „Ich schwimme! Deshalb gibt es Pizza nur für Einheimische“, erklärte Lercher damals der „Kronen Zeitung“. Er beharrt: „Ich bin kein Rassist. Ich bin gesund rechts, ich bin ein Patriot, und ich bin eigentlich ein sehr höflicher Mensch. So bin ich erzogen.“
4. Die große weite Welt
Lercher stammt aus einer Osttiroler Bergbauernfamilie. Den Hof in Ainet hat der Onkel übernommen, er selbst hat in einem Hotel in Lienz Koch/Kellner gelernt und früh begonnen, sich für Wein zu interessieren. Von 1998 bis 2000 arbeitete er im legendären „Altwienerhof“ von Rudi Kellner in Wien, machte danach Station in New York City, arbeitete in hochdekorierten Häusern, im „Danube“ mit Mario Lohninger und in David Bouleys „Bouley Bakery“. Er hat die Terroranschläge von 9/11 hautnah mitbekommen. „Damals haben wir für die Emergency Workers gekocht.“ Er wollte auch gern „drüben bleiben“, da hätte er sich schon wohlgefühlt, „weil wenn du da fleißig bist, dann kannst du da was erreichen“, und fleißig ist er ja zweifellos. Er hat immer viel gearbeitet, und er ist stolz darauf, und noch stolzer ist er darauf, was er damit verdient. Zu seinen Lieblingsvokabeln zählt „de luxe“, das gilt für sein Auto, seine Wohnung, seinen Weinkeller. Aber dann – damals, in New York – ist er in eine Messerstecherei geraten, die entsprechende Narbe über der rechten Hüfte zeigt er gerne. Leider hatte er zu dem Zeitpunkt gerade kein gültiges Visum und deswegen Probleme mit der Social Security, sprich: Heimreise. Vor 18 Jahren ist er dann in Kärnten gelandet, zuerst in einem Strandlokal in Pesenthein, dann ab November 2014 im „Peppino“. Was er aus dem Laden gemacht hat, ist tatsächlich beeindruckend. Die Qualitäten, die er in Manhattan kennengelernt hatte, sollten auch in Millstatt möglich sein, also servierte Lercher in seiner Pizzeria auch frische Kaisergranate, Grüll-Kaviar und Périgord-Gänseleber. Und in seine Schlutzkrapfen kommt natürlich 30 Monate gereifter Comté. Seine Gäste reichen vom Schüler, der sich bei ihm eine Pizza holt, bis zum Konzernvorstand, der hier einen edlen Tropfen zu den in Barolo geschmorten Kalbsbackerln schwenkt. „Mir sind die alle gleich viel wert“, sagt Lercher – mit den besagten Ausnahmen. Und dabei bleibt er, das lässt er sich nicht nehmen, ist so, Punkt, Kopfnicken.
Mit dem Stress kommt der Ärger, die Wut. Die 15-Stunden-Tage, die Personalsorgen, die undankbaren Gäste. Stefan Lercher kommt ins Grübeln, findet den Fehler: Die anderen sind schuld.
5. Und was ist jetzt der Sinn?
Nach zwei oder mehr Achterln kommt Stefan Lercher ins Grübeln. Er zweifelt ein bisschen an seinen Entscheidungen, womöglich hat er immer einfach zu viel gearbeitet, zu wenig gelebt, war auch zu wenig Vater für den Buben Unico – benannt nach einem berühmten Wein aus Spanien –, den er im eigenen Betrieb vielleicht „ein bisschen verheizt“ hat und dem er wohl kein ideales Vorbild war für eine sinnstiftende Karriere in der Gastronomie.
Vielleicht sperrt er jetzt einfach einmal zu, vielleicht macht er eine Zeit lang nur Pizza, zu zweit mit Herrn Monaco, aber näher liege ihm doch der radikale Schnitt, weil: „Ich mach keine halben Sachen.“ Aber ist man mit 47 nicht langsam zu alt für radikale Veränderungen?
Der Blick auf den See mag ihn beruhigen, der ist hier noch nicht so verbaut, quasi naturbelassen sogar, ein Stück gute alte Zeit. Die Gegenwart erscheint Stefan Lercher ja immer mehr aus den Fugen zu geraten, „das passt doch alles nicht mehr so richtig zusammen, oder“? Kopfschütteln, Schluck Wein, noch mehr Kopfschütteln. Und dann reißt er sich zusammen: „So, jetzt zeig ich dir meine Champignons. Die sind nämlich nicht aus der Dose. Schau, die sind weißer als weiß, das sind die besten Champignons, die du kriegen kannst, und der Käse auf der Pizza ist Büffelmozzarella, und der Speck ist vom Vater hausgemacht, und der Teig ist 48 Stunden gereift.“
Nein, da lässt sich Stefan Lercher nichts erzählen. Oder er erzählt einem was.