"Die Sau rauslassen"

"Die Sau rauslassen": Prügelnde Mädchen beim Roller-Derby

Brutalsport. Beim Roller-Derby prügeln sich die Mädchen

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Von Salomea Krobath

Ein Pfiff ertönt. Die Mädchen in der Sporthalle im 20. Wiener Bezirk gehen in aggressive Kauerstellung - Startbereitschaft nennt man das im "Roller Derby“. Die Spielerin mit dem Trikot "Bitch Buchanan“ trägt, um ihrem Namensvetter gerecht zu werden, ein rotes "Lifeguard“-Höschen über der zerrissenen pinkfarbenen Strumpfhose. Ein ausgefallener Spielername, wildes Make-up und die "Old School“-Rollschuhe gehören zur obligaten Grundausstattung der "Roller Derby“-Mädchen. Ein zweiter Pfiff - und schon beginnen die Spielerinnen einander brutal anzurempeln.

Ellbogen und Hände sind tabu
Es handelt sich um ein Match der Junior League des "Vienna Roller Derby“: Die "Black Bruisers“ spielen gegen die "Sisi Smashers“. Eine Ansagerin ruft eifrig in ihr Megafon, doch die Versuche, die Zuseher über die Spielregeln aufzuklären, verlaufen sich in unverständlichem Getöse. Nachdem die Frauen einige Runden lang verbissen gekämpft haben, wird klar, dass hinter der chaotisch anmutenden Brutalität ein System steckt: Ellbogen und Hände sind tabu; gerammt wird mit Schultern, Brust oder eben dem Hintern, den die Mädchen weit hinaus strecken, um ihre Gegnerinnen abzuwehren. Zwei "Jammer“ (auf Deutsch: "Störer”) müssen sich an den jeweils vier Blockerinnen des anderen Teams vorbeidrängen und sammeln für jede überholte Gegnerin einen Punkt. Die Aufgabe der anderen ist es, die gegnerische Jammerin um jeden Preis zurückzuhalten, und wer bei der wilden Jagd aus der Bahn fällt, muss sich wieder hinten einreihen und erneut nach vorne arbeiten, wie beim "Mensch ärgere Dich nicht“. 60 Minuten dauert ein Spiel, das Team mit den meisten Punkten siegt.

Als die "erwachsene“ Liga der "Vienna Roller Derby“-Damen das Spielfeld betritt, gewinnt das Spiel noch einmal an Geschwindigkeit, Spannung und Brutalität. "Wargina“ kickt eine Gegnerin aus der Bahn. Dahinter schlittert eine "Jammerin“ den Boden entlang. Der Saal tobt.

"Punk-Rock"-Sport
Roller Derby nahm seinen Anfang in den 1930er-Jahren in Chicago. Ursprünglich als Show-Element gedacht, ähnlich den Schlamm-Wrestlerinnen, die sich halbnackt im Dreck wälzen, drehten kurz berockte Skaterinnen ihre Runden mehr zur Unterhaltung des männlichen Publikums als um der sportlichen Ambitionen wegen. Seit 1970 existiert Roller Derby in der heutigen Form - weiblich, wild, in der Punk-Rock-Szene angesiedelt und mit neo-feministischen Elementen angereichert. Das Rollschuh-Sausen in dieser harten Variante wird von seinen Betreiberinnen durchaus auch als Statement wider die herrschenden Genderklischees verstanden. Seit der Jahrtausendwende existiert das brutale Hau-drauf-Spiel, ausgetragen von Frauen, auch in Österreich.

Die österreichische Mannschaft kann sich inzwischen über 50 Spielerinnen freuen, von denen sich einige schon für den Profi-Status qualifiziert haben. Früher unter "Vienna Roller Girls“ laufend, änderte das Team vergangenes Jahr seinen Namen zu "Vienna Roller Derby“, denn inzwischen wären sie "dem Mädchendasein entwachsen“, erklärt die 29-jährige Barbara. Wie viele ihrer Teamkolleginnen hat auch die Steuerberaterin aus Unlust auf stereotypes Fitnessstudio-Gehopse zum Roller Derby gefunden. Mit dem Trikot, das den Namen "Babs Van Hel“ trägt, schlüpfe sie in ein Alter Ego - klappt ihren ansonsten versteckten Nasenring hinunter und lässt den Büroalltag hinter sich. "Untertags bin ich gewöhnt, in Kostüm und High Heels herumzudackeln und immer freundlich zu sein. Im Roller-Derby-Outfit fühle ich mich anders. Da kann man endlich ein bissl bös sein und einfach die Sau rauslassen.“

Wer blutet, darf nicht still stehen
Gewalt als Weg, der noch dazu Spaß macht. Das lässt Rückschlüsse auf eine Psyche zu, die einen sanktionierten Aggressionsabbau bitter nötig hat. Doch von derartigen psychologischen Deutungsmodellen wollen die fröhlichen Rollerinnen nichts wissen: Es gehe rein um Strategie und martialische Taktiken. Diese tragen trügerisch possierliche Geheimnamen wie "Papa“, "Mama“, "Rocky“ und "Olga“. Denn die Verletzungsgefahr ist hoch, wie die Spielerinnen sichtlich ungern erzählen. "Na ja, einmal hatte ich ein Schleudertrauma“, gibt "Dr. Callie Collision“ zu. Auch mit aufgeplatzten Lippen, gebrochenen Ellbogen und verstauchten Knöcheln muss man rechnen. Aber egal, wie hart man rangenommen wurde, es gilt eine oberste Regel, der Roller-Derby-Ehrenkodex sozusagen: Wer blutet, darf nicht still stehen. Denn dann könnte sich eine Lacke bilden, die eine extreme Rutschgefahr für die Teamkolleginnen darstellt.

"Dass du so etwas machst, hätt ich mir nie vorgestellt!“, hört "Knock out Nora“ oft. Die 23-Jährige studiert Englisch, Niederländisch und Geschichte, "Dr. Callie Collision“, 26, hat soeben ihr Kunstgeschichte-Studium abgeschlossen, und "K.arma K.alashnikov“, 28, war bis vor Kurzem stellvertretende Restaurantleiterin. Statt gewalttätiger Rowdys handelt es sich hier also um gebildete Mittelschichtfrauen, die sich viermal die Woche zum Training treffen. Die monatliche Sporthallenmiete muss bezahlt werden, daneben müssen Bootcamps und internationale Spiele organisiert werden. Eigentlich gibt es österreichweit nur ein Team. Zwar entstand vor einem Jahr ein zweites in Salzburg, nur ist das für die Vienna-Roller-Derby-Ladys, die in der Weltrangliste Platz 53 aus 250 belegen, noch keine würdige Konkurrenz. Also pilgert das Team für jedes Spiel auf eigene Kosten in eine andere Stadt. Sponsoren haben sich noch keine gefunden. Zum Glück sind die internationalen Beziehungen stark. "Wir übernachten bei den Teams, gegen die wir antreten, und beherbergen im umgekehrten Fall die Konkurrenz, der wir auch unsere Stadt zeigen. Vor und nach dem Spiel sind wir die besten Freundinnen. Aber währenddessen, da schenken wir uns nichts“, erklärt "Crazy Cristalline“, unterstützt von den anerkennenden Lachsalven ihrer Kolleginnen.

Ausschließlich männliche Cheerleader
Seit 2012 haben die Rollschuhfahrerinnen der Genderdebatte noch einen zusätzlichen Twist versetzt. Sie besitzen als einziges Team weltweit ihre eigenen und ausschließlich männlichen Cheerleader, die sich, den brutalen Spielen angemessen, als "Fearleader“ inszenieren. In knallengen Hosen und mit oftmals nacktem Oberkörper schlagen sie Saltos, wackeln mit Hüften, Hintern und wedeln mit Pom-Poms.

Dieses Jahr erschien ihr personalisierter "Fearelli“-Kalender im Pin-up Stil.

Männer, die die Hüften schwingen, während sich die Frauen brutal niederrempeln: Ein derart brisanter Tausch herkömmlicher Geschlechterrollen bleibt von der breiten Masse natürlich nicht immer unkommentiert. "Ständig fragen Leute nach, ob wir schwul sind. Welche Rolle spielt das eigentlich?“, ist Max, dessen Freundin zur Mannschaft gehört und der die Idee zu den "Fearleadern“ vor zwei Jahren hatte, genervt. "Solange das, was wir tun, Fragen aufwirft, müssen wir weitermachen, da es offensichtlich noch reichlich Aufholbedarf gibt“, meint sein Pom-Pom-Kumpel Jakob. "Roller Derby ist uns nun mal zu brutal, wir haben Angst um unsere schönen Körper. Also tanzen wir. Sollen die Mädchen sich doch prügeln.“

Für Roller-Girls ist das die ideale Arbeitsteilung, so "Babs Van Hel“: "Natürlich machen wir diesen Sport auch, um aus veralteten Rollenklischees auszubrechen. Gerade für junge Frauen ist der Gedanke hilfreich, dass es da eine Gruppe gibt, in der man so sein kann wie nirgendwo anders. Wir Rollerinnen können schreien, saufen, und wir scheren uns einen Dreck, was andere von uns denken. Und unsere Partys sind legendär!“

Foto: Philipp Tomsich