Lady Dada

Elsa Schiaparelli - die größte Exzentrikerin in der Modegeschichte

Elsa Schiaparelli. Die größte Exzentrikerin in der Modegeschichte

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Sie hassten sich mit Inbrunst und auf höchstem Niveau. Coco Chanel und Elsa Schiaparelli waren die Mode-Ikonen im Paris zwischen den Weltkriegen. Während Chanel sich bemühte, den Frauen die Eleganz der Schlichtheit mittels hoher Handwerkskunst einzutrichtern, war die nur 1,50 Meter große Italienerin mit den melancholischen Augen von ganz anderen Visionen beseelt. Nähte und Schnittkunst waren „Schiap“ (Skiap gesprochen), wie sie sich selbst nannte, weil sie ihren Vornamen als zu spießig empfand, egal. Sie wollte Extravaganz, Glamour, Theatralik, Provokation und Outfits, die eine Brücke zwischen Kunst und Mode schlugen und ihre Trägerinnen „zu Persönlichkeiten machten, die sie sich selbst nie zugetraut hätten.“ In ihrem Vokabular existierte das Wort „unmöglich“ nicht, wie sie in ihrer Autobiografie „ Shocking Life“ nie müde wurde zu betonen: „Ein Leben auf der markierten Linie hätte mir nichts als Kopfschmerzen bereitet.“

„Bürgerliche Hutmacherin”
Der Zickenkrieg zwischen „dieser bürgerlichen Hutmacherin”, wie Schiaparelli Chanel verächtlich nannte, und „der angeblichen Künstlerin, die auch Kleider macht“, so Chanels Retourkutsche und ihre Anspielung auf Elsas nicht vorhandenen Schneiderkenntnisse, eskalierte bei einem todschicken Kostümfest auf einem Schloss in der Nähe von Paris 1952. „Schiap“ kam als Kastanienbaum verkleidet, und Chanel stieß ihre Erzrivalin in einen mannshohen Kandelaber, so dass deren aufwändiger Blätterrock an den Kerzen Feuer fing und sie, dermaßen gedemütigt, verfrüht den Abgang machen musste.

„Shocking pink“
Das Match zwischen den beiden so unterschiedlichen Mode-Königinnen ging schlecht für Schiaparelli aus. Während Coco Chanel, die nach dem Zweiten Weltkrieg von der Modepresse häufig als innovationsarme Langeweilerin abgetan wurde, mit 71 Jahren und nach neun Jahren Pause 1954 noch einmal ein fulminantes Comeback schaffte, musste die Großmeisterin der Dekadenz, Opulenz und Subversivität Elsa Schiaparelli im selben Jahr ihr Couture-Haus auf der legendären Place Vendôme schließen. Um 1930 hatte sie in den legendären Räumen, die vollgestopft mit Dalí-Gemälden, Man-Ray-Fotos und Giacometti-Skulpturen waren, 400 Mitarbeiter beschäftigt, die rund 7000 bis 8000 Kleidungsstücke und Accessoires fertigten. Diven wie Greta Garbo und exzentrische Milliardärinnen wie Peggy Guggenheim hatten sich dort in Robenskulpturen in „shocking pink“, jenem Rosa knapp an der Rotschwelle, dessen Erfindung auf das Konto von Schiaparelli ging, gehüllt, sich die von Man Ray inspirierten Spiralen-Sonnenbrillen auf die Nase gesetzt oder aus Pferdedecken genähte Westen und mit Jean-Cocteau-Gemälden verzierte Abendmäntel umgeworfen. Der propere, unkomplizierte „New Look“ von Christian Dior und seinen Epigonen sollte ihrem Ruhm Anfang der 1950er-Jahre den langsamen Todesstoß versetzen. Mit dem „harten, höchst individuellen Schiap-Chic“ („Vogue“) hatten die funktionswütigen Nachkriegsfrauen nichts mehr am Hut.

„Vor dem Krieg hatten die Leute keine Angst, anders zu sein“, notierte sie in ihren Memoiren, „ich habe nicht erkannt, dass jene Eleganz, wie wir sie damals kannten, gestorben war.“ Exakt 60 Jahre nach jenem unrühmlichen Ende – Schiaparelli verbarrikadierte sich danach in ihrer Villa in Paris und ihrem Ferienhaus in Tunesien – wird nun der Mythos bei den kommenden Haute-Couture-Schauen in Paris wiederbelebt.

Erbe eines Mythos
Es wäre für die 1973 in Paris verstorbene Großmutter von Ex-Supermodel und Schauspielerin Marisa Berenson ein Triumphgefühl allererster Güte, wüsste sie, dass Chanel-Mastermind Karl Lagerfeld erst einen Tag nach dem in der Modewelt mit Höchstspannung erwarteten Comeback des „Schiap“-Mythos am 20. Jänner seine Models auf den Laufsteg schicken wird. Denn so viel ist sicher: Die Reanimierung des Labels Schiaparelli, das sein Hauptquartier wieder an seiner angestammten Adresse, der Place Vendôme, bezogen hat, wird die am 19. Jänner mit Versace startende Haute-Couture-Woche in Paris dominieren. Als Chefdesigner der Wiederauferstehung erkor der italienische Luxus-Unternehmer Diego Della Valle, der die Lizenzrechte an der Marke 2006 erworben hatte, den 42-jährigen Mailänder Marco Zanini. In der Branche ist bekannt, dass ein Mann wie Della Valle, unter dessen Führung sich Tod’s, Hogan und Fay zu höchst profitablen Luxus-Marken entwickelt haben, nichts dem Zufall überlässt. Mit Zanini, der in den letzten fünf Jahren die angestaubte Marke Rochas wieder in der Modelandschaft satisfaktionsfähig gemacht hat, setzt er auf einen Innovationsgeist, der kontrollierbar ist und genau kapiert, dass er das Erbe eines Mythos zu verwalten hat und Selbstverwirklichung nicht in seiner Job-Beschreibung steht. „Schiap war eine Frau, die Intelligenz als Waffe benutzte“, erklärte der schüchterne Brillenträger Zanini in einem Interview mit der „Zeit“, „sie war provokant und elegant zugleich. Und extrem humorvoll. Ich werde versuchen, diesen Spirit weiterzutragen, und trotzdem meine Elemente einzubringen.“

Ihre Lust an der Provokation hatte die kleine Frau, die selbst im hohen Alter abends allein zu Hause beim Fernsehen voll geschminkt und im Leopardenpyama saß, schon als Kind zu kultivieren gelernt. Bei ihrer Erstkommunion trat sie vor den Priester mit den Worten: „Ich habe Unzucht getrieben“ und fiel dann pittoresk in Ohnmacht. Als ihre konservativen Eltern, eine neapolitanische Aristokratin und ein römischer Orientalistik-Professor, bei ihrer Teenager-Tochter erotisch hochexplosive Gedichte fanden, die sie noch dazu selbst verfasst hatte, steckten sie das so frühreife Kind in ein strenges Internat in der Schweiz, aus dem es sich mittels eines Hungerstreiks befreite. Ein Sprung aus dem Fenster mit dem Regenschirm, von dem sie sich Mary-Poppins-Kräfte erwartet hatte, endete wenig später nur knapp nicht tödlich. Danach flüchtete sie nach London, wo sie sich als Kindermädchen über Wasser hielt. Dort fand sie auch ihren ersten und einzigen Ehemann, den verarmten französisch-polnischen Aristokraten William de Wendt de Kerlor, „der mich gelehrt hat, dass schwache Männer starke Frauen zwar verehren, sie aber nicht lieben können.“ Das Paar übersiedelte ins New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village, wo sie erste Kontakte mit Man Ray und Marcel Duchamp knüpfte.

Dass ein solch exzentrischer Charakter andere kreative Egomanen anzog wie die Motten das Licht, war nur eine Frage der Zeit. Als es Schiaparelli, vollkommen pleite und geschieden von ihrem Filou-Grafen, der ihr nach wenigen Jahren Ehe mit der Tänzerin Isidora Duncan durchgebrannt war, im Alter von 32 Jahren von New York nach Paris verschlug, landete sie sofort in der im Surrealismus, Dadaismus und Kubismus fiebernden Bohème. Auf ihre kleine Tochter „Gogo“ passte Gabrielle Picard, die Ex-Frau des Surrealisten Francis Picard, auf, während Schiaparelli auf Flohmärkten nach Antiquitäten suchte, die sie dann zu verkaufen versuchte, und als Gesellschaftsdame für reiche Pariserinnen jobbte. Man Ray, Marcel Duchamp, der Dadaismus-Mitbegründer Tristan Tzara, Pablo Picasso, der Komponist Eric Satie, Meret Oppenheim und Jean Cocteau wurden zu ihren engsten Freunden. Ihr Durchbruch als Modeschöpferin gelang ihr mit einer subversiven Strategie. An einem Novemberabend 1927 kam sie mit deutlicher Verspätung zu einer Dinnerparty des Chefredakteurs der französischen „Vogue“, bei der alle Meinungsmacher der Modewelt versammelt waren. Für ihren Auftritt hatte sie einen schwarzen, kompakt modellierten Pullover aus ihrer eigenen Produktion gewählt, in den eine weiße Schleife als Trompe-l’œil-Effekt eingestrickt war. Nahezu alle anwesenden Damen beknieten die kleine Italienerin mit dem legendär großen Vorbau, sie so schnell wie möglich auch mit einem solchen Modell zu versorgen. Der Schleifenpullover wurde zum fulminanten Auftakt einer Weltkarriere; drei Wochen später eröffnete „Schiap“ ihren ersten Salon in der Rue de la Paix. „Ich habe meiner Armut und Paris alles zu verdanken“, schrieb sie später.

Doch die mit Sicherheit kreativ wichtigste Begegnung in diesem „schockierenden“ Leben war ihre Freundschaft mit dem surrealistischen Malerfürsten Salvador Dalí, dessen legendäres Hummertelefon sie zur Kreation eines Abendkleids für Wallis Simpson inspirierte. Knapp vor ihrer Hochzeit mit dem Herzog von Windsor posierte die geschiedene Amerikanerin 1937 in der Robe, in der das Schalentier just über ihr Geschlechtsteil kletterte, vor der Linse Cecil Beatons in der amerikanischen „Vogue“. Die darauf folgende Empörung fiel zur vollen Zufriedenheit Schiaparellis aus. Animiert von Dalí, der gerne mit den Schuhen seiner Frau Gala herumspazierte, kreierte sie auch den „Schuh-Hut“, den vor
allem sie selbst mit der notwendigen Verve zu tragen imstande war.

Wie sehr die Designer-Elite von Schiaparellis subversiver Kreativität profitierte und sie bis heute zu plündern versteht, wird deutlich, wen man ihr Œuvre genauer durchforstet. 70 Jahre bevor Lady Gaga die vegetarische Weltöffentlichkeit mit einem Abendkleid aus Fleischstücken bei den MTV-Awards zu provozieren versuchte, hatte Schiaparelli bereits mit Hüten und Roben aus Lammkotlett-Imitaten experimentiert. Der legendäre schwarze Skelettpullover mit den aufgesetzten Rippen, der seine Trägerinnen wie lebende Röntgenbilder wirken ließ, hat den inzwischen verstorbenen Briten Alexander McQueen mit Sicherheit zu seinem großflächigen Skelett- und Totenkopf-Kult inspiriert. 40 Jahre bevor Yves Saint Laurent, ein großer „Schiap“-Bewunderer und Profiteur ihrer Ideen, mit seinen Damensmokings ein feministisches Befreiungsstatement setzte, hatte die zeitlebens als extrem herrschsüchtige verschriene Exzentrikerin ihre glamourösen Kundinnen wie Marlene Dietrich und Katharine Hepburn, in Hosenanzüge und Smokings gesteckt. Lange vor allen anderen hatte sie begriffen, dass Leinwandidole die effizientesten Kleiderständer präsentieren. Wickelkleider und Wickelröcke aus Jersey gehörten, Dekaden vor Diane von Fürstenberg, zu ihrem Repertoire. Die mit Schulterpolstern martialisch aufgerüsteten „Powersuits“, die Giorgio Armani und Gianni Versace in den 1980er-Jahren für selbstbewusste Karrieristinnen kreierten, trugen Schiaparellis Handschrift. Sie nahm vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Anleihen beim Military- und Camouflage-Look, in dem John Galliano für Dior und Marc Jacobs für Louis Vuitton – vermeintlich rebellisch – in den 1990er-Jahren ihre Models über den Laufsteg schickten. Die Kosmopolitin zitierte chinesische Arbeitsuniformen, russische Bauernblusen und Commedia-dell’Arte- und Zirkus-Kostüme bei ihren Kreationen.

„Schiap“ entdeckte die ästhetische Wirkung von Reißverschlüssen und war die Erfinderin des Hosenrocks. Ihre damals so avantgardistischen Courageakte finden sich bis heute in Variationen in den Kollektionen von Jean-Paul Gaultier, Yves Saint Laurent, Dolce & Gabbana, Moschino und Vivienne Westwood.

Gaultier kopierte ihren Parfumflakon „Shocking“ aus dem Jahr 1937, der einen nach den Maßen Mae Wests modellierten Frauentorso darstellt, 1993 bei seinem Duftdebut. Die Namen, die Schiaparelli ihren Düften gab, wirken wie Schlagwörter, die ihre Psyche umreißen: „Flippant“, „Shocking“, „Arrogance“, „Zut“, der französische Ausdruck für „Mist“, „Scent of Mystery“, der Geruch von Geheimnis.

„Schiaparellis Entwürfe wirken heute oft moderner, als es Kreationen von heute tun“, schrieb die „Vogue“ anlässlich des „Relaunches“ der Marke. „Das Wort Genie ist im Zusammenhang mit ihrem Talent zur subversiven Überraschung durchaus angebracht.“Schiaparelli bezeichnete Krisensituationen immer als die fruchtbarsten für die Mode: „Schwierige Zeiten bringen die Kreativität und das Bedürfnis nach Individualismus zum Blühen.“

So gesehen stehen die Zeichen für ein fulminantes posthumes Comeback bestens. Und in den Entwurfslabors der Diskontriesen H&M und Zara bastelt man sicher bereits an den ersten Hummer-Sweatern, „Shocking Pink“-Boleros und Schuhhütchen.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort