Aus Wien - Budapest wurde Österreich - Ungarn

Österreich - Ungarn: Einst so etwas wie ein Derby

Um die einstige Verbundenheit nachvollziehen zu können, müsse man in den "Anfangsstunden des Fußballsports graben", formuliert der Geschichtswissenschafter der Universität Wien. Die Urzeit des Fußballs um die Wende zum 20. Jahrhundert sei ja noch in die österreichisch-ungarische Monarchie gefallen

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Um die einstige Verbundenheit nachvollziehen zu können, müsse man in den "Anfangsstunden des Fußballsports graben", formuliert der Geschichtswissenschafter der Universität Wien. Die Urzeit des Fußballs um die Wende zum 20. Jahrhundert sei ja noch in die österreichisch-ungarische Monarchie gefallen: "Da wäre es ja denkbar gewesen, dass bei der Gründung der Verbände um 1900 auch ein österreichisch-ungarischer Verband entsteht. Es wurde aber in dieser Doppelmonarchie sehr schnell entschieden, dass es zwei eigenständige Verbände in Osterreich und Ungarn gibt."

Dies kann laut Marschik nun historisch nicht unbedingt so interpretiert werden, dass sich damals auf sportlicher Ebene der Zerfall Österreich-Ungarns schon abzeichnete. Im Gegenteil. Es habe einen intensiven Spielverkehr zwischen den beiden Ländern gegeben. "Das war eher ein Signal, wir bleiben zusammen."

Zuerst handelte es sich um Städtespiele Wien gegen Budapest, die später dann in den Annalen nachträglich als offizielle Länderspiele anerkannt wurden. "Ab 1902/03 gab es jedes Jahr zumindest zwei Matches, eines in Wien, eines in Budapest. Da sind schon so 4.000 Zuschauer gekommen. Ab 1910 circa waren es auf dem WAC-Platz schon 10.000 bis 12.000. Da hat sich eine erste Massenkultur herausgebildet."

Dass das Gebälk des Reiches von Kaiser Franz Joseph schon etwas morsch war, zeigte sich eher an der Aufmüpfigkeit der Böhmen, die ebenfalls einen eigenen Fußballverband für sich beanspruchten. Da gab es Versuche, auf sportlicher Ebene etwas zu erreichen, was seit dem "Ausgleich mit Ungarn" (der Ausdruck hatte damals noch keinerlei fußballerische Konnotation) im Jahr 1867 politisch vergeblich versucht worden war, nämlich eine Dreiermonarchie aufzubauen. Ab 1906 gab es für zwei Jahre ein eigenes böhmisches Nationalteam. Dem wurde aber dann auf einem FIFA-Kongress in Wien der Garaus gemacht. Die Tendenz der Tschechen, sich von der Herrschaft in Wien zu lösen, sei da aber schon erkennbar gewesen, meint Marschik.

Österreich und Ungarn betreffend wurde der Spielverkehr während des Ersten Weltkriegs sogar intensiviert: "Die Einnahmen kamen dem Roten Kreuz zugute." Mit der Einführung des Professionalismus im österreichischen Fußball in den 1920er Jahren nahm dann auch der kommerzielle Aspekt zu. Um Geld zu lukrieren, mussten interessante Gegner gesucht werden, und die fand man auf internationaler Ebene damals unter anderem in Ungarn.

Der Wiener Fußball der 1920er Jahre war überhaupt von ungarischem Spielern geprägt. Auch weil manche von ihnen 1919 vor der ungarischen Räterepublik unter Bela Kun und nach der Konterrevolution vor dem autoritären Regime von Miklos Horthy flüchteten. So prägten die Bruder Jenö und Kalman Konrad das Spiel der Amateure (ab 1927 Austria) ebenso wie Alfred "Spezi" Schaffer, der es als einer der ersten verstand, als Fußballspieler Geld zu machen. Auch Imre Schlosser, der zeitweise als bester Spieler des Kontinents galt, spielte eine Saison beim WAC.

Die Hakoah wurde mit nicht weniger als sechs Ungarn sogar Fußballmeister 1924/25. "Das wurde dann heftig diskutiert." Der jüdische Club wollte die Ungarn aber nicht als "Ausländer" eingestuft sehen. "Als zionistischer Verein haben sie argumentiert, dass diese Spieler der jüdischem Nation angehören", erläutert der Historiker.

Damals entwickelte sich aus dem Prager Fußballspiel der "Mala ulica", artverwandt mit dem Budapester "Scheiberlspiel", das die Wiener mit etwas Spielwitz dann perfektionierten, eine mitteleuropäische Fußballschule heraus. Marschik nennt sie "Calcio Danubiano". So konnte - etwa durch das "Wunderteam" der frühen 1930er Jahre - sogar den damals noch ballführenden Briten Paroli geboten werden. Dies hielt sich mit einer Unterbrechung durch den Nationalsozialismus samt "Anschluss" bis nach dem Zweiten Weltkrieg. So war es Ungarn mit Stars wie Ferenc Puskas oder Gyula Grosics vorbehalten, England im Jahr 1953 als erstes Team vom Kontinent in London-Wembley mit 3:6 eine Heimniederlage zuzufügen.

Mit der Fußball-WM 1954 kam dann aber das Ende der mitteleuropäischen Fußballherrlichkeit, analysiert der Historiker. "Das geplante Finale konnte damals eigentlich nur Österreich gegen Ungarn heißen." Doch Deutschland schlug im Halbfinale Österreich mit 6:1 und brachte im Finale mit einem 3:2 gegen Ungarn auch noch das "Wunder von Bern" zustande. "Da mussten beide Länder einsehen, wir sind nicht mehr die Besten."

In Folge kam es mit der Einführung des Europacups auf Vereinsebene und regelmäßigen Europameisterschaften für Nationalteams überhaupt zu einer "Europäisierung des Fußballs", der die kleinräumige Verbundenheit von Österreich und Ungarn bedeutungslos machte. Zudem nahm durch die steigende Zahl an Qualifikationsmatches die Bedeutung von Freundschaftsspielen ab.

Dazu kam ein Knackpunkt nach dem Ungarn-Aufstand 1956 gegen das kommunistische Regime in Budapest. Die gesamte Unter-21-Mannschaft Ungarns sowie die Stars von MTK (damals "Vörös Lobogo", also "Rote Fahne" genannt) und Honved Budapest hatten sich nach Wien abgesetzt. Darunter auch Topstar Puskas, der mit dem Wiener Sportclub sogar einen Vorvertrag abschloss, sich letztlich aber doch nach Spanien zu Real Madrid verabschiedete. Auch die anderen Spieler blieben nicht in Wien, obwohl man sich dort sehr um sie bemüht hatte. Das wurde ihnen durchaus übel genommen, meint Marschik. "Da hört das spezielle Verhältnis zwischen Ungarn und Österreich eigentlich auf."

Es folgte ein höchst unerfreuliches Kurzkapitel: 1964 war mit Bela Guttmann noch ein gebürtiger Ungar kurze Zeit Teamchef. Er warf den Job aber bald hin, auch weil er sich nach eigenen Angaben antisemitischen Angriffen ausgesetzt sah. Eine kleine positive Renaissance erlebte die austro-magyarische Fußball-Freundschaft noch in den 1980er Jahren. Mit Tibor Nyilasi ließ ein veritabler Weltstar bei der Wiener Austria seine Karriere ausklingen.

Vom Können her hätte er wohl auch nach Deutschland oder Spanien gehen können. Marschik: "Er war damals nicht mehr der Jüngste und auch nicht der Fleißigste. Er hat genau gewusst, dass er in Deutschland 90 Minuten rennen müsste. Das konnte er nicht. In Österreich reichte sein Genie, und bei der Austria war er ja noch einmal ein Star."

(Das Gespräch führte Edgar Schütz/APA)