Kinderlosigkeit

Kalt, karrieregeil und egoistisch? Wie Frauen ohne Kinder bis heute stigmatisiert werden

Bis heute sehen sich Frauen, die ob freiwillig oder ungewollt, keine Kinder haben, ständig mit übergriffigen Fragen und argwöhnischen Blicken konfrontiert. Männer hören hingegen selten „Na, ist schon was unterwegs?” oder „Jetzt wird's aber bald Zeit” anhören.

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„I’m slaying at work“, lautet die Kampfparole der volltrunkenen Charlotte, als sie nach langer Auszeit im Genre des Superweibchens endlich einmal wieder richtig Spaß hat. Ihrem verdatterten Mann und den perplexen Kindern erklärt die „Sex and the City“-Figur in dem Sequel „And Just Like That …“  lauthals und mit Zungenschlag: „Bevor ich Mutter und Ehefrau wurde, war ich eine Persönlichkeit, ich hatte ein Leben, ein echtes Leben …“

Die schwächelnden Geburtenraten in der westlichen Welt zeigen, dass die Angst von Frauen, ihr eigenes Leben hintanstellen zu müssen, kein urbanes Bubble-Phänomen ist. Zumindest ist das ein Teil der Erklärung. Dass die durch Inflation und finanzielles Long Covid schwer angeschlagene Mittelschicht zu einem wachsenden Anteil   aus purer Abstiegsangst an Vermehrungszögerlichkeit laboriert, ist für die britische Starfeministin Laurie Penny, 38, im profil-Interview das durchschlagende Argument: „Schon mit dem Zusammenbruch des Kapitalismus 2008 zeigte sich, dass Genderpolitik und Wirtschaft untrennbar miteinander verbunden sind.  Der Mittelstand meiner Generation wurde mit völlig falschen Erwartungen ins Leben geschickt.“ Denn heute könnten sich Menschen „mit nur einem Einkommen oder zwei schwachen kaum mehr ein Kind leisten“, die klassische Kernfamilie erweise sich zunehmend als „lächerliche Idee“.

Simone de Beauvoirs Credo „Mutterschaft ist eine wahre Form der Sklaverei“, einer der am häufigsten zitierten Sätze  aus ihrem bahnbrechenden Grundlagenwerk „Das andere Geschlecht“ aus dem Jahr 1949, wurde von vielen jungen Feministinnen wie Laurie Penny nahtlos in den Glaubenskatalog übernommen.

Jenseits von Europa, konkret: in Südkorea, hat sich unter jungen Feministinnen eine neue Verweigerungskultur  manifestiert. Eine Frauenbewegung, die unter dem Kürzel 4B firmiert, wobei „bi“ auf Koreanisch „nein“ heißt und ein Nein zu Ehe, Kinder, heterosexuellem Sex und Beziehungen formuliert. Sie kämpft nicht mehr gegen das Patriarchat, sondern „lässt es gänzlich hinter sich“, so  eine „Bi“-Frau im „New York Magazine“. Wie viele 4B-Mitglieder in dem 52 Millionen Einwohner starken Land tatsächlich subversive Anti-Patriarchats-Rebellion betreiben, bleibt im Dunklen, geschätzt wird die Zahl auf maximal 50.000.  Was hingegen sicher ist: dass die südkoreanische Bevölkerung sich bei gleichbleibender Geburtenrate in den nächsten zehn Jahren nahezu halbieren wird. Gleichzeitig eskalieren häusliche Gewaltdelikte. Südkorea ist das OECD-Land mit der größten Gehaltsschere zwischen den Geschlechtern und damit ein Paradebeispiel dafür, wie negativ sich ein misogynes Klima auf den Fortbestand einer Gesellschaft auswirkt. 
In unseren Breiten sehen sich Frauen im gebärfähigen Alter, vor allem wenn sie in Beziehungen stehen, bis heute mit hartnäckiger Rücksichtslosigkeit und übergriffigen Fragen, meist aus der eigenen Verwandtschaft, wie „Ist schon was Kleines unterwegs?“, „Jetzt wird’s dann aber bald Zeit“ oder „Das wirst du später bereuen“, konfrontiert. Und werden damit unter permanenten Rechtfertigungszwang gesetzt.

Was für jene, deren Kinderlosigkeit keine freiwillige Entscheidung, sondern medizinischen Ursachen geschuldet ist, besonders schmerzhaft ist. Männer, die bei einem nicht erfüllten Kinderwunsch laut den Statistiken von Kinderwunschzentren weit häufiger die Reproduktion erschweren (meist durch schlechte Spermienqualität), kommen ohne solche Erklärungszwänge aus. Die deutsche Psychologin Christine Carl  bilanzierte in ihrem Buch „Leben ohne Kinder“: „Viele Frauen empfinden ihre Lebensform als gesellschaftlich diskreditiert und haben große Schwierigkeiten, die Ursachen ihrer Kinderlosigkeit überhaupt zu artikulieren.“ 

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort